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Geschichte und Perspektiven des Widerstandes gegen die Residenzpflicht
von Anke Schwarzer
Bereits seit der Einführung der sogenannten Residenzpflicht für Flüchtlinge im Jahr 1982, versuchen die betroffenen Asylsuchenden sich gegen die Einschränkung ihrer Bewegungsfreiheit zu wehren. Das blieb lange Zeit auf individuelle Vorgehensweisen beschränkt: Manche fragten einfach nicht um Erlaubnis, andere erstritten auf gerichtlichem Wege eine Genehmigung. Zahlreiche wurden aber auch wegen der Residenzpflicht »straffällig«, weil sie bei Polizeikontrollen erwischt wurden. Nur wenige RichterInnen wehrten sich dagegen, einen Menschen allein dafür zu bestrafen, weil er unsichtbare, innerdeutsche Grenzen überquert hat. Einzelne von ihnen bereiteten eine Klage vor dem Bundesverfassungsgericht vor. Auf den Vorlagenbeschluss des Amtsgerichts Kirchhain/Hessen befasste sich das Bundesverfassungsgericht mit der Residenzpflicht. 1997 erging dazu ein Urteil. Das oberste deutsche Gericht entschied darin, dass sowohl die Pflicht, sich grundsätzlich im zugewiesenen Bezirk aufhalten zu müssen, als auch die Tatsache, dass der Verstoß gegen diese Verpflichtung strafrechtlich sanktioniert ist, nicht gegen die Grundrechte des Grundgesetzes verstoßen. Spätestens seit dem Flüchtlingskongress »Gemeinsam gegen Abschiebung und soziale Ausgrenzung« in Jena im Frühjahr 2000 wandelte sich der individuelle Protest in eine politische Kampagne. Bereits im Vorfeld des Kongresses war deutlich geworden, wie stark einzelne Behörden daran interessiert waren, Asylsuchende nicht zu diesem politischen Treffen fahren zu lassen. Cornelius Yufanyi von der Flüchtlingsorganisation The Voice, einer der Veranstalter des Kongresses, schätzte damals, dass die Hälfte der Asylsuchenden, die nach Jena kommen wollten, an ihrer Reise gehindert wurde. Das Innenministerium Brandenburg hatte die Ausländerbehörden im Land aufgefordert, die Reisen nicht zu gestatten. »Die Teilnahme liegt weder in einem dringenden öffentlichen Interesse noch stellt die Versagung der Erlaubnis eine unbillige Härte dar,« hieß es dort. Auch in anderen Bundesländern wurde Asylsuchenden die Teilnahme verweigert. Grundlage für das Verbot war die Residenzpflicht. Nach dem Kongress intensivierten bereits engagierte Flüchtlinge ihre Bemühungen, andere Asylsuchende zu informieren und sich zu organisieren. Unterschriftenlisten und Petitionen wurden auf den Weg gebracht, Demonstrationen, beispielsweise am 3. Oktober 2000 in Hannover, durchgeführt. Die Flüchtlingsorganisationen setzen auf zivilen Ungehorsam: Niemand soll um Erlaubnis betteln müssen, niemand soll auch nur einen Pfennig an Strafe zahlen. Insbesondere mit dem Prozess gegen Cornelius Yufanyi gelang es der Kampagne, das Thema Residenzpflicht in die Öffentlichkeit zu bringen. Der Asylsuchende aus Kamerun hatte sich mehrmals geweigert, Geld für seine Bewegungsfreiheit zu zahlen. Geplant war, seinen Fall bis vor den Europäischen Gerichtshof zu bringen und dort die Praxis der deutschen Residenzpflicht gerichtlich überprüfen zu lassen – mit der begründeten Hoffnung, dass sie dort zu Fall gebracht würde. Nach Einschätzung seiner Anwälte ist aber Yufanyis Prozess dazu nicht geeignet. Um bis vor den Europäischen Gerichtshof zu gehen, wäre ein Fall nötig, der von Anfang an über den Rechtsweg verfolgt wurde. Sobald aber Flüchtlinge eine Reiseverweigerung der Behörden gerichtlich überprüfen lassen, erhalten sie in der Regel auch die Genehmigung. In diesem Zusammenhang wies der Asylrechtsreferent der Beauftragten der Bundesregierung für Ausländerfragen, Michael Meier-Borst, darauf hin, dass das Gesetz von den Behörden nur »unnötig restriktiv gehandhabt« werde. Doch auch wenn Flüchtlinge jederzeit die Möglichkeit haben, eine Reiseverweigerung gerichtlich überprüfen zu lassen – es ändert nichts an der demütigenden Praxis, die Flüchtlingen einen nervenaufreibenden Alltag beschert. Die Kampagne ruft deshalb weiterhin zu weniger schikanösen und teuren Maßnahmen auf, damit Asylsuchende ihren Freund in einer anderen Stadt besuchen oder an einem politischen Treffen teilnehmen können: Sie sollen sich weigern, nach einer Reiseerlaubnis zu fragen und Bußgelder zu bezahlen. Die Gesetzesverletzungen sollen offensiv in die Öffentlichkeit – beispielsweise durch Selbstanzeigen bei der Polizei – getragen werden. Mittlerweile hat Cornelius Yufanyi vom Amtsgericht Worbis Post bekommen: Die Richterin will das Verfahren gegen ihn wegen geringer Schuld einstellen. Die Kosten hätte er in diesem Falle selbst zu tragen. Die Einstellung erfordert Yufanyis Zustimmung, die er aber verweigert, da das Ziel nicht ein individueller Freispruch ist, sondern die Abschaffung der Residenzpflicht. Wenn das Verfahren weitergeführt wird, droht dem Asylsuchenden aus Kamerun eine Gefängnisstrafe bis zu einem Jahr. Neben Cornelius Yufanyi sind auch andere Flüchtlinge bereit, ihren Protest gegen die Residenzpflicht vor Gericht zu bringen: Am 6. Februar stand Sunny Omwenyke aus Nigeria, einer der Organisatoren des Flüchtlingskongresses in Jena und Aktivist von The Voice, wegen der Verletzung der Residenzpflicht vor Gericht. Auch er weigert sich, eine Strafe oder Bußgelder für das Recht auf Bewegungsfreiheit zu akzeptieren. Ebenso ein Asylsuchender aus Kamerun, der zur Zeit in Edewecht bei Oldenburg lebt. Die Prozesse werden nicht allein deshalb offensiv geführt, um Öffentlichkeit herzustellen. Auch andere Flüchtlinge sollen darin bestärkt werden, sich gegen dieses diskriminierende Gesetz zu wehren. Neben den öffentlichkeitswirksamen Prozessen trugen auch die Aktionstage in Berlin vom 17. bis 19. Mai dazu bei, Aufmerksamkeit zu erregen – wenn auch das Medienecho klein war. Nach einer Reiseerlaubnis haben sie an jenem Wochenende nicht gefragt: Rund 300 Flüchtlinge haben sich in Berlin getroffen, um an den »bundesweiten Aktionstagen gegen die Residenzpflicht« teilzunehmen. Zur Demonstration am 19. Mai kamen neben den 1.000 UnterstützerInnen weitere 1.200 AsylbewerberInnen – die meisten aus afrikanischen Staaten – mit Bussen u.a. aus Suhl, München, Meiningen, Mühlhausen, Rathenow, Hamburg, Karlsruhe und Magdeburg. Viele Flüchtlinge sahen es als »Akt des zivilen Ungehorsams« an, für die Aktionstage keinen »Urlaubsschein« bei den Ausländerbehörden zu beantragen und dafür zu bezahlen. Auf dem zentral gelegenen Schlossplatz in Berlin campierten sie in Zelten (soweit dies die Polizei zuließ) und machten mit Ausstellungen und Flugblättern auf ihre Situation aufmerksam. Am ersten Tag der Aktionstage überreichte eine sechsköpfige Delegation der Bundestagsabgeordneten Annelie Buntenbach (Bündnis 90/Die Grünen) ein »Memorandum der Flüchtlinge in Deutschland«, das 250 Organisationen, darunter Pro Asyl und mehrere Flüchtlingsräte, unterzeichnet haben. »Die deutsche Regierung kann nicht vorgeben, Rassismus zu bekämpfen, während gleichzeitig rassistische Gesetze den Hass schüren,« heißt es in dem Memorandum. Die Initiatoren The Voice und die Brandenburger Flüchtlingsinitiative werteten die Aktionen als Erfolg: Trotz Einschüchterung durch die Ausländerbehörden im Vorfeld und der Polizeirepression (u.a. in Jena wurde ein Bus gestoppt, weil die Polizei die Namen der AsylbewerberInnen haben wollte) gelang es, zahlreiche Flüchtlinge zu dem Treffen zusammenzubringen. Enttäuscht waren die VeranstalterInnen aber über das geringe Interesse der Medien. Auch die permanente Präsenz von Polizei und deren Schikanen (u.a. Körperabtastungen, versuchte Festnahmen, Schlafverbot auf dem Platz) hätten ein bedrohliches Klima geschaffen und Diskussionen unter den Flüchtlingen gehemmt, so Cornelius Yufanyi von The Voice. Er kritisierte auch Teile der deutschen AntirassistInnen: »Viele warten nur auf uns, weil sie nicht wissen was sie selbst machen können.« Es sei notwendig, dass auch, diejenigen, die nicht unmittelbar betroffen sind, eigene Widerstandsformen und Positionen zum Thema Residenzpflicht entwickeln müssten. Cornelius Yufanyi befürchtet, dass die Mobilisierungsfähigkeit der Flüchtlinge überschätzt wird. Für sie sei es immer noch eine enorme Kraftanstrengung, den Einschüchterungsversuchen standzuhalten und das Risiko, beim Übertreten der Residenzpflicht erwischt zu werden, auf sich zu nehmen. Viele AktivistInnen sind erschöpft, wollen aber auf jeden Fall weitermachen. Über die weiteren Schritte wird noch diskutiert. Für die meisten ist aber klar, dass man mit Unterschriftenlisten, Petitionen und Memorandum nicht mehr weiter kommt. »Wir werden nichts verändern, wenn wir nicht radikaler werden«, so ein Flüchtling. Das Bündnis gegen Residenzpflicht, dem The Voice, die Brandenburger Flüchtlingsinitiative, die Antirassistische Initiative Berlin, die Hamburger African Refugee Association, die Karawane und weitere Initiativen und Einzelpersonen angehören, hat für das nächste Jahr wieder einen zentralen Aktionstag in Berlin anvisiert. Einige AktivistInnen möchten diesmal gerne noch offensiver auftreten, um ernst genommen zu werden und um wenigstens kleine Teilziele sofort durchsetzen zu können. Die Resignation unter den Flüchtlingen, die sich engagieren, sei manchmal sehr groß, sagt einer der AktivistInnen: »Seit wir angefangen haben, ist die Situation immer schlimmer geworden.« Neben dem chronischen Geldproblem machen (drohende) Abschiebungen von MitstreiterInnen den Flüchtlingsorganisationen das Leben schwer. Manche von ihnen werden in andere Heime verlegt, kommen in Abschiebehaft oder müssen in die Illegalität abtauchen. »Wir kommen einen Schritt vorwärts, aber der Staat zieht uns wieder 20 Schritte zurück«, so ein Mitglied von The Voice. Sicher sei die Residenzpflicht nicht das einzige oder das größte Problem, doch bei allen Aktionen, Versammlungen und Demonstrationen seien Asylsuchende auf das Problem der Bewegungseinschränkung und der damit verbundenen Repression zurückgeworfen. »Wenn wir die Residenzpflicht abschaffen, können wir auch besser gegen Abschiebungen kämpfen,« sagt der Aktivist von The Voice. Im Vordergrund steht für Flüchtlingsorganisationen nach wie vor die Kontaktaufnahme und Vernetzung von Asylsuchenden und Besuch von Asylheimen, auch wenn sie nicht ausschließlich Flüchtlinge mobilisieren möchten. Ziel ist es, ein Netz von möglichst verbindlichen Regionalgruppen aufzubauen. In verschiedenen Städten und Regionen werden dezentrale Aktionen zum Thema Residenzpflicht stattfinden. Und die Karawane für die Rechte von Flüchtlingen und MigrantInnen soll 2002 wieder durch Deutschland touren. Dabei wird auch die Residenzpflicht Teil der Aktionen sein. Nächster Artikel: Residenzpflicht -- keine Änderung in Sicht |
Dossier #1: Debatten, Aktionen und Projekte, die sich mit der sogenannten Residenzpflicht auseinandersetzen und dabei Methoden der medialen Vermittlung und Vernetzung erproben. |
Letzte Änderung: 2005-05-22 22:55:56 | info@d-a-s-h.org Impressum |