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Keine Änderung in Sicht: Die Residenzpflicht soll nicht abgeschafft, sondern ausgeweitet werden.
von Anke Schwarzer
Der Widerstand von Flüchtlingen gegen die Residenzpflicht lässt die Politik kalt. Innenminister Otto Schily setzt sich bei den Verhandlungen über Mindestnormen der Europäischen Union für die Aufnahme von AsylbewerberInnen vehement dafür ein, dass Deutschland auch weiterhin an der Beschränkung der Bewegungsfreiheit festhalten kann. Die Residenzpflicht soll aber nicht nur weiter bestehen bleiben, sie soll auch auf weitere Flüchtlingsgruppen ausgedehnt werden: Im Frühjahr 2001 legten die rot-grün regierten Bundesländer Hamburg und Nordrhein-Westfalen dem Bundesrat einen Gesetzentwurf vor. Dieser besagt, dass Menschen, die unerlaubt eingereist sind und nicht abgeschoben werden können und deshalb eine Duldung besitzen, ihren Aufenthaltsort nicht frei wählen dürfen. Sie sollen nach Quoten auf die Länder und Kommunen verteilt werden. Eine bundesweite – länderübergreifende und anschließende landesinterne – Verteilungsregelung zur Zuweisung eines Landkreises oder einer Kommune und der damit verbundenen Wohnsitz- und Residenzpflichtauflage gilt bislang nur für AsylbewerberInnen. Geduldete AusländerInnen unterliegen zwar auch einer Residenzpflicht. Diese bezieht sich aber in der Regel nur auf das Bundesland, in dem sie wohnen, und seltener auf den Landkreis oder einzelne Kommunen. Geduldete AusländerInnen, etwa Kriegsflüchtlinge aus Bosnien oder Afghanistan, können bislang – im Gegensatz zu AsylbewerberInnen – den Ort ihres Duldungsantrags und damit auch ihren Wohnsitz innerhalb Deutschlands frei wählen. Damit wirkt sich die Residenzpflicht im Alltag weniger hart aus als für Asylsuchende. Sollte der neue Gesetzesentwurf in Kraft treten, würde sich die Bewegungsfreiheit für geduldete Flüchtlinge stark einschränken. Der Gesetzentwurf sieht vor, Geduldete auf das Bundesgebiet entsprechend dem für Asylbewerber geltenden Schlüssel zu verteilen. Begründet wird die geplante Maßnahme mit einer ungerechten Finanzbelastung der Bundesländer: »Die Dringlichkeit des Handlungsbedarfs ergibt sich aus dem bundesweit erheblichen Finanzvolumen. Ein Verzicht auf eine Verteilungsregelung kann zu deutlich spürbaren Lastenverschiebungen zwischen den Ländern führen.« In der Begründung des neuen Gesetzentwurfes heißt es: »Wie Asylbewerber und Kriegs- und Bürgerkriegsflüchtlinge haben auch unerlaubt einreisende Ausländer keinen Anspruch darauf, sich in einem bestimmten Land oder an einem bestimmten Ort aufzuhalten.« Georg Classen vom Flüchtlingsrat Berlin weist darauf hin, dass Behörden bereits in den vergangenen Jahren versucht hätten, geduldete AusländerInnen umzuverteilen, indem den Flüchtlingen an ihrem Aufenthaltsort rechtswidrig Anmeldung, Duldung und Sozialhilfe verweigert worden sei. Zudem seien sie rechtsmissbräuchlich auf das, für Kriegsflüchtlinge gerade nicht vorgesehene, Asylverfahren verwiesen worden. Noch ist das neue Gesetz auf Eis gelegt. Zwar unterstützt die Bundesregierung grundsätzlich das Anliegen einer »gerechteren Verteilung der Lasten«, die den Ländern entstehen. Sie bemängelt aber zahlreiche unausgegorene Punkte, die zuvor geklärt werden müssten. So seien noch Fragen der technischen Durchführbarkeit und der Finanzierung offen. Auch mögliche Ausnahmefälle, die Regelung der erkennungsdienstlichen Behandlung sowie der Rechtsbehelfe seien überarbeitungsbedürftig. Die Grünen/Bündnis90 können sich eine Zustimmung zum neuen Gesetzentwurf prinzipiell vorstellen. Ihre Zustimmung könne erfolgen, wenn der Innenminister verbindlich die Vorbehaltserklärungen zur UN-Kinderkonvention zurücknehme und dies auch öffentlich verlautbare, heißt es in dem Papier »Änderungsbedarf aus grüner Sicht«. Zudem führen die Grünen/Bündnis90 verschiedene Punkte an, in denen das geplante Gesetz abgeschwächt werden soll. Sie plädieren dafür, »humanitäre Härten« zu berücksichtigen, den Personenkreis klarer zu definieren und die neuen Bundesländer nicht zusätzlich zu belasten. Statt einer Residenzpflicht schwebt ihnen eine Regelung vor, die vergleichbar ist mit dem Wohnortzuweisungsgesetz für Spätaussiedler. Die Genehmigungspflicht zum Verlassen des Bezirks der Ausländerbehörde wäre dann überflüssig. Die PDS lehnt den Vorstoß der beiden Bundesländer ab: »Statt Menschen hin und her zu schieben wie Schachfiguren, können die Kosten für Unterbringung und Versorgung bundesweit ausgeglichen werden«, so die innenpolitische Sprecherin der PDS-Fraktion im Bundestag, Ulla Jelpke. Nach Auffassung der PDS gehört die Residenzpflicht abgeschafft. Um dies zu erreichen hat sie bereits einen Gesetzentwurf eingebracht der vorsieht, die aufenthaltsbeschränkenden Maßnahmen, insbesondere die sogenannte Landkreisregelung, im Asylverfahrensgesetz zu streichen. Die PDS verzichtete aber von vornhereindrauf, Flüchtlingen freie Wohnortwahl zu gewähren. Dazu heißt es: »Die räumliche Beschränkung des Aufenthalts ist zur Lastenverteilung unter den Kommunen nicht notwendig. Auch nach ihrem Fortfall bleiben die Bestimmungen bestehen, nach denen Asylsuchenden ein Wohnort zugewiesen wird.« Auch wenn das Gesetz noch nicht auf der großen Tagesordnung steht, so ist immerhin öffentlich geworden, dass ein solches diskriminierendes Gesetz in Deutschland existiert. Noch vor einem Jahr wussten selbst viele PolitikerInnen nicht, dass es eine Residenzpflicht für Flüchtlinge gibt und was sie bedeutet. Dass diese Aufmerksamkeit erreicht wurde, ist Verdienst der Kampagne gegen die Residenzpflicht, die von der Flüchtlingsinitiative The Voice ins Leben gerufen wurde und von der Brandenburger Flüchtlingsinitiative sowie einem Bündnis verschiedener Initiativen mitgetragen wird. Nächster Artikel: Für das Menschenrecht auf Bewegungsfreiheit |
Dossier #1: Debatten, Aktionen und Projekte, die sich mit der sogenannten Residenzpflicht auseinandersetzen und dabei Methoden der medialen Vermittlung und Vernetzung erproben. » Gesamtes Dossier als PDF-Datei
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Letzte Änderung: 2005-05-22 22:55:56 | info@d-a-s-h.org Impressum |