Jugendarbeit und Rechtsextremismus

Weder das Phänomen Rechtsextremismus noch die Forderung an Jugendarbeit, rechtsextremistischen Jugendlichen Einhalt zu gebieten, ist etwas neues. Dennoch lassen sich nachhaltige Erfolge im Bereich der Jugendarbeit mit rechten Jugendlichen kaum verzeichnen. Deshalb ist es notwendig »tabula rasa« – reinen Tisch – mit den bestehenden Ansätzen und Konzepten von Jugendarbeit zu machen, die auf den Weg geschickt worden sind, um den rechten Mainstream zurück zu drängen. Was hat akzeptierende Jugendarbeit bewirkt und geleistet? Wie kann langfristig eine Dominanz des rechten Mainstream eingedämmt und wie kann sich eine demokratische, auf Selbstbestimmtheit und Selbstständigkeit beruhende Jugendkultur etablieren?

Rechtsextremismus und Rassismus sind gesamtgesellschaftliche Probleme. Das wird oft betont, es scheint jedoch, dass die Dimension dieses Satzes offensichtlich nicht klar ist. Rechtsextremismus ist kein von der Jugendarbeit produziertes und auch kein von der Jugendarbeit zu lösendes Problem. Daher ist es absurd, ein Jugendarbeitskonzept erfinden zu wollen oder nach diesem zu suchen, das diese ’Krankheit’ heilen soll. Denn Rechtsextremismus ist keine Krankheit, von der Menschen unschuldigerweise befallen worden sind, so wie auch rechtsextreme Täter keine ’verlorenen Schafe’ sind, die zurückgeholt werden müssen. Rechtsradikale Einstellungen, Organisationen und Taten sind Resultat und Ausdruck einer politischen Ideologie, welche Menschen auf Grund von rassistischen Kategorien wie Hautfarbe, Religion, Nationalität, Kultur verschiedene Eigenschaften zuordnet und auf Grundlage dieser Zuordnungen diskriminiert, ausgrenzt, verfolgt und ihnen Lebensberechtigungen abspricht, dabei autoritäre, hierarchische Organisationsformen proklamiert und individuelle, persönliche Bedürfnisse von Menschen der ’führenden Gruppe’ unterordnet. Es handelt sich hierbei also nicht um ’Verfehlungen’, sondern um ein klares rassistisches Menschenbild und die Umsetzung dessen. Dabei ist nicht gesagt, dass auch dem rechtsextremen Jugendlichen Änderungsprozesse zugetraut werden können, etwa ein anderes Menschenbild zu entwickeln und ein anderes Leben zu führen. Aber in der Diskussion um Rechtsextremismus ist, wie auch der Arbeitskreis deutscher Bildungsstätten (AdB) konstatiert, »eine Sozialpädagogisierung des Problems, eine Pädagogik des Verstehens um jeden Preis, die Eigenverantwortlichkeit weitgehend ausklammert, (…) fehl am Platz.«

Wenn wir von Rechtsextremismus reden, so meinen wir eine ganze Facette von Problemen, beispielsweise Darstellungen in den Medien, die fremdenfeindliche Klischees reproduzieren, oder problematische Äußerungen von Spitzenpolitikern, die rassistische Stimmungen in der Bevölkerung verstärken. Anstelle von Diskussionen um Ursachen und mögliche Lösungsansätze zur Verhinderung rassistischer Einstellungen rücken Standortdebatten in den Vordergrund. In sämtlichen gesellschaftlichen Bereichen lassen sich Verantwortlichkeiten und Handlungsaufforderungen formulieren, um dieses gesamtgesellschaftliche Problem Rechtsextremismus zu bekämpfen. Einer dieser Bereiche ist die Jugendarbeit. Jugendarbeit hat eine Verantwortung in dem gesamten gesellschaftlichen Feld der Auseinandersetzung und damit auch verschiedene Möglichkeiten und Notwendigkeiten, sich zu positionieren und zu handeln. In der Jugendarbeit werden neben der Schule und dem Elternhaus Werte vermittelt und Normen durchgesetzt. Gerade hier finden für Jugendliche oftmals die ersten Versuche statt, sich in gesellschaftliche Prozesse einzubringen. Hier geschehen gesellschaftliche Aushandlungsprozesse, die oftmals auch prägend sind für die Sozialisation, aber auch für ein Klima oder einen Trend unter den Jugendlichen einer Kommune. Damit sind die verschiedenen Handlungsbereiche umrissen: 1. die individuelle Ebene der Wertevermittlung, die Jugendlichen widerfährt, die in der Jugendarbeit ’betreut’ werden; 2. die jugendkulturelle Ebene, auf der in Jugendklubs und -zentren oftmals Trends gesetzt oder zumindest beeinflusst werden; 3. die Ebene der politischen Sozialisation, auf der Jugendklubs als außerschulische Institutionen oftmals die ersten Orte sind, an denen verschiedene eigene Interessen erkannt, ausgehandelt und umgesetzt werden. Mitbestimmung und Partizipation an gesellschaftlichen Prozessen kann in außerschulischen Jugendeinrichtungen geübt und praktiziert werden, wenn entsprechende Rahmenbedingungen dies gestatten. In der Schule, wo Leistungsanforderungen im Mittelpunkt stehen, geht es in erster Linie um Wissensvermittlung und -aneignung. Die Interessen der Schülerinnen und Schüler sind dabei dem Erziehungsauftrag der Schule untergeordnet. Es geht vorrangig darum, dass eine bestimmte Anzahl von Schülerinnen und Schülern in einer bestimmten Zeit ein bestimmtes Wissen und bestimmte Fähigkeiten erworben haben soll. Neben der Schule und dem Elternhaus setzen sich Jugendliche vor allem innerhalb ihrer Freizeit untereinander auseinander. In einer demokratischen Gesellschaft, die davon lebt, dass ihre BürgerInnen sich verantwortlich fühlen und am gesellschaftlichen Leben aktiv teilnehmen, sind also Orte unerlässlich, an denen demokratisches und solidarisches Engagement und Verantwortungsbewusstsein vermittelt und gestärkt werden. Jugendarbeit hat somit den Auftrag zur außerschulischen ’Erziehung’ zu demokratischen Werten und Normen. Solche Orte, in denen dieser Auftrag und diese Verantwortung umgesetzt werden, sind Jugendfreizeiteinrichtungen. Genaugenommen kann zu demokratischen Werten nicht erzogen, sondern nur sozialisiert werden. Eine Jugendarbeit kann in diesem Sinne nur Umgebungen schaffen, die zur Annahme von demokratischen Werten motivieren so wie JugendarbeiterInnen Engagement lediglich fördern und unterstützen können.

Dieser Exkurs ist notwendig, wenn Jugendarbeit in der Praxis betrachtet wird. So wird in vielen Kommunen Jugendarbeit als freiwillige Aufgabe in der Form begriffen, dass die kommunale Jugendförderung in der realen Umsetzung oft einer immensen Mangelfinanzierung gleich kommt. Auch scheint nicht klar zu sein, dass die Umsetzung eines Erziehungsauftrages mit Fachlichkeit verbunden ist, die weder Ehrenamt noch Arbeitsbeschaffungsmassnahmen leisten können. Ohne bessere Rahmenbedingungen wird die Jugendarbeit gerade in den neuen Bundesländern immer mehr auf das Eigeninteresse, die Eigenverantwortung und das Eigenengagement von Jugendlichen hoffen müssen, ohne einen Einfluss darauf haben zu können, welche Interessen und welches Engagement sich dort organisiert – ob das nun demokratische oder neofaschistische sind. In einem Land, in dem es Jugendklubs gibt, die nur von rechtsextremen Jugendlichen genutzt werden, um sich zu organisieren, so wie auch Sportvereine von Rechtsextremen inzwischen schon genutzt werden, um Zugang zu Räumlichkeiten oder um Ausbildungen in Kampfsportarten zu erhalten, trägt die Jugendpolitik der Länder, wie auch die der Kommunen eine wesentliche Verantwortung für die Etablierung eines sogenannten rechten Mainstreams unter Jugendlichen. Die Bezeichnung ’rechter Mainstream’ beschreibt das Phänomen, das in vielen Kommunen in Ostdeutschland zu beobachten ist: es ist ’in’ rechts zu sein – Neofaschismus ist zu einer Modeerscheinung geworden. Diese Mode hat den Effekt, dass andere Jugendkulturen kaum wahrgenommen werden. Gleichzeitig wächst der Anpassungsdruck für Jugendliche an und die gesellschaftliche Akzeptanz von rechtsextremen Einstellungen.

Akzeptierende Jugendarbeit – der Versuch, Rechtsextremismus zu therapieren.

Der Umgang, der in den letzten Jahren mit dem Thema Rechtsextremismus gepflegt wurde, zeigt ganz deutlich, wie gefährlich ein vorschnelles Übertragen von Konzepten der Jugendsozialarbeit ohne Berücksichtigung der Spezifika der jeweiligen Situation sein kann. Statt eine offensichtlich unterrepräsentierte demokratische Jugendkultur zu fördern, wurden jahrelang alle Varianten der Akzeptierenden Jugendsozialarbeit ausprobiert: ein Versuch, die Täter zu reintegrieren, ein Versuch Rechtsextremismus zu therapieren. Dass der Versuch scheitern musste, liegt auf der Hand: die akzeptierende Sozialarbeit ist ein Konzept, dass in den 70er Jahren entwickelt wurde, um einen Umgang mit offenen Drogenszenen und der damals erstmals vermehrt eingesetzten Repression gegen diese zu finden. Es sollte die Möglichkeit geschaffen werden, einen Zugang zu einem gesellschaftlich ausgegrenzten Klientel zu erhalten. Dafür wurde ihr sogenanntes delinquentes Verhalten (Drogenkonsum) zunächst akzeptiert, um sie durch eine Stabilisierung und durch entsprechende Pädagogik ’eines besseren zu belehren’, ihnen ’den Weg raus’ zu zeigen, sie wieder ’in die gesellschaftliche Mitte’ zu holen. Dieses Konzept aus der BRD der 70er/80er Jahre wurde in den Osten Deutschlands der 90er Jahre übertragen und Drogenabhängigkeit durch Rechtsextremismus ersetzt. Die Unterschiede sind offensichtlich. Während Drogenabhängige wirklich eine isolierte Randgruppe darstellten, waren das Rechtsextreme im Osten Deutschlands nie gewesen. Während Drogenabhängigkeit noch als therapierbares Phänomen eingeordnet werden kann, ist das bei Rechtsextremismus absolut nicht haltbar. Und schließlich: während im Westen der BRD eine Struktur von Jugendeinrichtungen und ausgebildeten Fachkräften etabliert wurde, war das in den neuen Bundesländern nie der Fall. Leider wurden beim Übertragen der Akzeptierenden Jugendsozialarbeit von West nach Ost diese wesentlichen Unterschiede übersehen, was in der Endkonsequenz eine fatale Verschlechterung der Situation brachte: Anfang der 90er Jahre gab es im Osten Deutschlands erschreckend viele rechtsextreme Organisierungen gerade unter Jugendlichen; es gab erschreckend viele Übergriffe auf Menschen, die zu sozialen Minderheiten gehören; es gab Pogrome, Überfälle und Brandanschläge auf Jugendklubs, Wohnheime von Asylsuchenden etc. Heute hat sich im Osten Deutschlands ein rechter Mainstream etabliert, eine rechtsextreme Jugendkultur sowie ein breiter gesellschaftlicher Konsens, der dies duldet und stillschweigend unterstützt. Weder hat sich die Zahl der Übergriffe auf Menschen aus sozialen Minderheiten minimiert, noch sind Brandanschläge und Übergriffe Rechtsextremer auf öffentliche Einrichtungen aus den Zeitungsmeldungen verschwunden. Die Folgen sind erschreckend: Rechtsextreme wurden real integriert, salonfähig gemacht und haben so noch leichter ihren Weg in die gesellschaftliche Mitte geschafft. Das soll nicht heißen, dass die Anwendung eines falschen Konzepts allein solch dramatische Folgen haben konnte, oder der Akzeptierenden Jugendarbeit im Umkehrschluss solche Wirkung zuzurechnen ist. Auch andere Problemlösungsstrategien im Umgang mit Rechtsextremismus dienten weder als Vorbilder noch zeigten sie einen differenzierteren Umgang mit dem Thema. Die Pogrome von Rostock, Mölln und Solingen als ’Volkswille’ zu interpretieren und daraufhin das Asylgesetz dramatisch einzuschränken, folgte der gleichen Logik: rechtsextreme Gedanken und Wünsche ernst nehmen, sie zu akzeptieren und damit gesellschaftlich zu rehabilitieren.

Lessons learned? Welche Forderungen lassen sich auf den verschiedenen Handlungsebenen für die Jugendarbeit im Umgang mit Rechtsextremismus ableiten?

Die individuelle Ebene der Wertevermittlung.

Um rechtem Mainstream etwas entgegen setzen zu können, muss es ein klares demokratisches und antifaschistisches Selbstverständnis der ’erziehenden’ Personen geben. Ohne dieses können selbstverständlich auch keine demokratischen antifaschistischen Werte vermittelt werden. Des weiteren ist konzeptionelles Arbeiten einer jeden Jugendeinrichtung Vorraussetzung, um Werte und Ideale zu vermitteln. Dies setzt wiederum eine fachliche Auseinandersetzung mit dem Wirken und den angewendeten Methoden und Angeboten der Einrichtung voraus. Leider sind solche Konzepte oftmals nicht vorhanden. So diffus wie das Angebot und die Umsetzung in Jugendeinrichtungen oftmals ist, so unbestimmt und unwahrscheinlich ist die Vermittlung von Werten und Handlungsmöglichkeiten, die sich gegen rechtsextremistische Einstellungen und Handlungen abgrenzen. Angesichts der Dominanz rechtsextremer Jugendkultur lässt sich inzwischen die berechtigte Forderung erheben, dass verantwortliche Personen in den Jugendeinrichtungen wissen, was Rechtsextremismus ist, wie er sich zeigt und welche jugendkulturellen Ausrichtungen darin oftmals zu finden sind. Das Erkennen von verfassungsfeindlichen rechtsextremistischen Symbolen gehört genauso dazu wie ein klares unmissverständliches Verhalten bei der Auseinandersetzung um solche Symbole. Das Tragen von verfassungsfeindlichen Symbolen und das Abspielen von verfassungsfeindlicher Musik hat mit Meinungsfreiheit nichts zu tun und ist auch nicht zu tolerieren. Beides gehört nicht in den öffentlichen Raum und erst recht nicht in eine Jugendeinrichtung. Wenn hier rechtsextreme Symbole, Liedtexte und Propaganda ungestört verbreitet werden können, so wird nicht die Akzeptanz des einzelnen Jugendlichen, sondern die Akzeptanz eines rechtsextremen Menschenbildes vermittelt. Das ist in der Frage der Wertevermittlung an Jugendliche schlichtweg katastrophal.

Die jugendkulturelle Ebene

Jugendzentren und -einrichtungen sind immer Orte, die einen Einfluss auf die örtliche jugendkulturelle Szene haben. Hier werden Trends gesetzt, etabliert oder beeinflusst – auf jeden Fall findet hier ein Aushandeln von Trends und Moden statt, zu denen neben Kleidung, Haarstyle und der dazugehörigen Sprache und Musik auch meistens bestimmte Identifikationen, Weltbilder und Ideale gehören. Diese verschiedenen Szenen und Trends sind unterschiedlich raumnehmend gegenüber anderen Trends. Das, was unter ’rechtsextremer Subkultur’ oft zusammengefasst ist, bezeichnet die Jugendmode, die inzwischen in vielen Kommunen in den neuen Bundesländern dominierend ist: die Musiktexte beWERKZEUGEen menschenverachtende rechtsextreme Propaganda, die Kleidung ist sehr militärisch und oft mit rassistischen und menschenverachtenden Parolen bestückt. Das ganze Auftreten ist sehr martialisch und die Frisuren sind eher kurz. Zur Freizeitbeschäftigung gehört neben der Teilnahme an NPD Aufmärschen auch das Betonen der Gemeinschaft, in der man zusammenhält und in der sich gegenüber allem abgegrenzt wird und alle anderen ausgegrenzt werden, die nicht dazugehören. Mit inbegriffen ist dabei das Nicht-Dulden und Verdrängen von anderen Jugendlichen, die sich nicht dieser Ideologie unterordnen oder sich gar abgrenzend oder ablehnend positionieren. Keine zweite Jugendkultur kann neben einer rechtsextremen existieren. Nur selten sind in einer Stadt, in der sich eine sogenannte rechtsextreme Jugendkultur etablierte, noch weitere Jugendkulturen zu finden, es sei denn, sie waren in der Lage, sich gegen die tätlichen Angriffe zur Wehr zu setzen und zu behaupten. Dies ist ein zweiter Grund, warum es in der Verantwortung von LeiterInnen und Angestellten von Jugendeinrichtungen liegt, in Gruppen auftretenden rechtsextremen Jugendlichen den Zutritt zu der Einrichtung zu verwehren. Auch wenn das Auftreten der rechtsextremen Jugendlichen wenig politisch und wenig organisiert erscheint, so ist der Einfluss, den sie auf das kulturelle Klima im Jugendklub genauso wie auf das öffentliche Klima in der Stadt haben, verheerend: rassistische Sprüche werden ’chic’, ausgrenzendes Verhalten wird normal und rechtsextreme Denkmuster finden ihren Weg in die gesellschaftliche Mitte. Gleichzeitig sind alternative Jugendkulturen nicht mehr wahrnehmbar, so dass Alternativen immer isolierter bzw. weniger vorhanden sind. Am Ende erscheint es, als sei die Mehrzahl der Jugendlichen ’rechts’.

Die Ebene der politischen Sozialisation äää

Wird diese Ebene der Betrachtung in den Mittelpunkt gestellt, so zeigt sich auch hier die Unvereinbarkeit von öffentlichen Einrichtungen in einer sich demokratisch nennenden Gesellschaft mit rechtsextremem Klientel. Aushandlungsprozesse können nicht nach dem Prinzip ’der Stärkere setzt sich durch’ stattfinden, wie es in rechtsextremen Gruppen passiert. Das geht an dem pluralistischen Gedanken, wie auch an dem Grundsatz des gleichen Rechts für alle Menschen, vorbei. Wenn Jugendliche in einem Jugendzentrum die Möglichkeit haben sollen, sich politisch zu sozialisieren, so müssen auch die dafür notwendigen Freiräume vorhanden sein. Diese sind nicht gegeben, wenn entweder rechtsextreme Jugendliche den Jugendklub dominieren können, oder wenn es im Jugendklub kaum Entscheidungsmöglichkeiten gibt. Deshalb ist es notwendig, dass Jugendeinrichtungen ihre Verantwortung, aber auch ihre Chance in der politischen Sozialisation Jugendlicher wahrnehmen.

Emanzipatorische/Partizipatorische Jugendarbeit – eine Frage der Perspektive, des Menschenbildes und des politischen Verständnisses von Rechtsextremismus.

Es gibt wahrscheinlich unzählig viele Konzepte der Jugendarbeit, die deshalb so verschieden sind, weil es unter den Fachkräften keinen Konsens über das Klientel, das angesprochen werden soll, wie auch über die Aufgaben und Ziele von Jugendarbeit gibt. Das mag zwar verwundern, aber es zeigt auch sehr deutlich, in welchen Spannungsfeldern sich Jugendarbeit bewegt. Wie oben bereits beschrieben, sind in Jugendeinrichtungen Fachkräfte genauso selten wie Konzepte, nach denen die Einrichtungen arbeiten. Diese konzeptionellen Lücken der Einrichtungen selbst werden oft gefüllt durch Erwartungshaltungen, die von kommunaler – oft geldgebender – Seite formuliert werden. Da wird die Jugendarbeit zu Hilfe gerufen und regelrecht in die Pflicht genommen, wenn jemand Drogen konsumiert, wenn es sogenannte ’jugendliche Randale’ gibt, wenn Rechtsextreme an den Schulen auftauchen oder wenn in der Innenstadt zu viele Fahrräder gestohlen werden. Jugendarbeit wird hier zur ’Sozialfeuerwehr’ funktionalisiert. Dies folgt der Logik, dass Jugendarbeit, für die schließlich Geld ausgegeben wird, ja auch irgendwas ’bringen’ muss. Eine gesellschaftliche Verantwortung, Räume zu schaffen, in denen Jugendliche die Möglichkeit haben, sich zu mündigen BürgerInnen dieser Gesellschaft zu entwickeln, wird in dieser Argumentation völlig ausgeblendet. Jugendzentren sind aus dieser Perspektive für Problemfälle da, die ’von der Straße geholt werden müssen’, damit sie unter Kontrolle sind, damit sie integriert werden können. Aus der gleichen Logik heraus wurden die Präventionskonzepte entwickelt, die eine Zusammenarbeit von Schule, Jugendarbeit und Polizei fordern, um eine eventuelle Kriminalität, die von Jugendlichen ausgehen könnte, einzudämmen. Jugend wird damit zum Problemfall und nicht zur Chance. Wenn sich diese Perspektive durchsetzt, so sind die in den 70er Jahren in der BRD erkämpften Freiräume wie selbstverwaltete Jugendzentren oder alternative Konzepte emanzipatorischer Jugendarbeit, passé. Jugendarbeit wird dann durch Jugendsozialarbeit ersetzt. Eine andere Perspektive, Jugend und damit auch Jugendarbeit zu begreifen, ist die der emanzipatorisch/partizipatorischen Jugendarbeit. Hier sind die einzelnen Jugendlichen nicht Problem- oder Sozialfälle sondern gleichberechtigte PartnerInnen. Jugendarbeit ist hier ebenso eine kommunale Aufgabe, fungiert aber nicht als ’Sozialfeuerwehr’, sondern als Unterstützung, Chance oder Möglichkeit für Jugendliche, in ihrer Entwicklung zu mündigen, verantwortungsbewussten und solidarischen Menschen. Jugend wird als Chance begriffen und Jugendarbeit muss unabhängig von Schule, Elternhaus und erst recht von Polizei begriffen werden. Denn innerhalb von Jugendarbeit kann es nicht darum gehen, den Jugendlichen möglichst schnell zu überführen, sondern möglichst gut zu unterstützen und auf seine/ihre Bedürfnisse einzugehen. Es ist Ziel, emanzipierte und an gesellschaftlichen Prozessen aktiv teilnehmende Menschen zu ’erziehen’, bzw. ihnen den Raum zu lassen, sich zu genau solch einem Menschen zu entwickeln.

Im Umgang mit Rechtsextremismus werden rechtsextreme Jugendliche ebenso wie andere Jugendliche als bewusst und absichtlich handelnde Personen ernst genommen. Aus dieser Perspektive heraus macht es keinen Sinn, sich um diese Täter mit sozialtherapeutischen Maßnahmen zu bemühen, da sie Täter und nicht Opfer der Situation sind. Es ist sinnvoll, die betroffenen Menschen und Menschengruppen (MigrantInnen, AusländerInnen, Behinderte, Obdachlose…) zu stärken und eine gesellschaftliche Solidarisierung einzufordern. Denn oftmals wird vergessen, dass ein rassistischer Angriff nicht nur Ausdruck einer gesellschaftlich marginalisierten Position der Betroffenen ist, nicht nur körperliche und psychische Schäden mit sich bringt, sondern auch eine gesellschaftliche Stigmatisierung als ’Opfer’ und damit einhergehende zusätzliche Ausgrenzung bedeutet. Jugendarbeit muss die gesamtgesellschaftliche Dimension dieser Ausgrenzungsproblematik selbstverständlich aufgreifen und gleichzeitig jedes Engagement Jugendlicher unterstützen, das sich gegen Rassismus und Neofaschismus wendet. In einer Situation, in der sich Jugendliche als rechtsextrem definieren, gibt es offensichtlich einen Mangel an demokratischer Attraktivität. Daher muss eine demokratische Jugendkultur gestärkt werden, um Alternativen vom rechtsextremen Mainstream wieder lebbar zu machen.

Nächster Artikel: Beispiel Zittau

Dossier #3: Unser drittes Dossier gibt einen Einblick in derzeitige Projekte und Ansätze und liefert anhand aktueller Anlässe Grundlagen zur erneuten Diskussion der akzeptierenden Sozialarbeit.

  1. Jugendarbeit gegen Rassismus
  2. Jugendarbeit und Rechtsextremismus
  3. Beispiel Zittau
    (Emma Schaaf)
  4. Interview mit Hagen Kreisel
  5. Netzwerk für Demokratie und Courage e.V.
  6. Aktion Analyse
  7. Schon den Schirm!
  8. Karikaturenwettbewerb »Anders – na und?«
  9. Links zum Thema
  10. Termine
  11. … zu ostlastig?