Interview mit Stefan Glaser von jugendschutz.net

jugendschutz.net ist eine Stelle, die von den Jugendministerinnen und Jugendministern der Länder eingerichtet wurde, um für die Beachtung des Jugendschutzes in den neuen Informations- und Kommunikationsdiensten (Multimedia, Internet) zu sorgen. jugenschutz.net strebt eine freiwillige Herausnahme oder Veränderung durch diejenigen an, die jugendgefährdende Inhalte im Netz zugänglich machen. Wir sprachen mit Stefan Glaser über eine u.a. von ihm durchgeführte Studie zu rechtsextremen Internetseiten.

Was gab den Anlass zur Untersuchung von rechtsextremistischen Angeboten im Internet?

jugendschutz.net hat bereits seit Frühjahr 2000 insgesamt drei Projekte zum Thema Rechtsextremismus im Internet durchgeführt. Anlass der ersten Untersuchung war die Feststellung, dass es neben den ja bereits länger existierenden Websites von rechtsextremen Parteien und »klassischen« Revisionistensites Homepages mit neonazistischen oder rassistischen Inhalten gibt, die sich von den früheren textlastigen und eher langweilig gestalteten Angeboten im Internet abheben. Diese neueren Angebote bedienen jugendliche Seh- und Kommunikationsgewohnheiten und verbinden rechtsextreme Propaganda in Form von Texten und Bildern mit modernster Technik zum Beispiel Flash-Animationen und jugendkulturellen Elementen wie Musikfiles, Downloadmöglichkeiten von Spielen oder spezifische Kommunikationsangebote wie Chats, Gästebücher oder Foren. Diese neue Präsentationsform – neonazistische Propaganda modern medial verpackt – nahm jugendschutz.net zum Anlass, sich dieser rechtsextremen Jugendszene im Internet zu zuwenden und die Entwicklungen in diesem Bereich genauer unter die Lupe zu nehmen. Anlass für die Beschäftigung waren also nicht tagespolitische Ereignisse oder die politische Konjunktur des Themas, sondern die Feststellung, dass sich ein Spektrum rechtsextremer Internetpräsenzen herausgebildet hat, das unter Jugendschutzaspekten eine gewisse Brisanz birgt.

Wie sind Sie vorgegangen? Wurden Jugendliche befragt, welche Seiten sie nutzen oder ging die Recherche von bekannten Seiten aus?

Im Rahmen des ersten Projektes zu Beginn des Jahres 2000 wurden, um an relevante Internet-Adressen zu gelangen, zum einen Jugendliche persönlich und schriftlich befragt, zum anderen Proxy-Caches und History-Listen aus Jugendeinrichtungen ausgewertet. Anspruch dieser ersten Auswertung war nicht, eine wissenschaftliche Untersuchung im großen Stil zu machen, sondern an relevante Einstiegssites zu gelangen, die Jugendlichen bekannt sind. Ausgehend von diesen Adressen führten unsere Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen dann eine Handsuche nach einschlägigen rechtsextremen Websites in den dortigen Gästebüchern und Foren durch. Schließlich hatten wir einen Datenbestand von etwa 400-500 deutschsprachigen rechtsextremen Homepages, die für uns die Ausgangsbasis weiterer qualitativer Analysen waren.

Sind rechtsextreme Internetseiten leicht zu finden?

Grundsätzlich werden rechtsextreme Internetsites nicht wie beispielsweise pornographische Websites mittels Banner oder Pop-up beworben, d.h. wer eine derartige Site besuchen will, muss diese gezielt aufsuchen. Dies geschieht zum Teil mittels Suchmaschinen, zum Teil sind einige Webadressen unter Jugendlichen einfach auch bekannt. Hat man eine »Einstiegsadresse« gefunden, so gelangt man in der Regel über die interne Verlinkung, also über Link-Liste, Gästebücher, Foren oder Top-Liste, auf den einzelnen Homepages zu anderen Websites aus dem rechtsextremen Subnetz.

Wie schätzen Sie das Angebot von rechtsextremistischen Seiten im Netz ein?

Quantitativ ist schwierig einzuschätzen, wie viele rechtsextreme Angebote im Netz zu finden sind. Der Verfassungsschutz ging in seinem letzten Bericht davon aus, dass es weltweit mehr als 3000 Websites sind, hiervon etwa 1000 deutschsprachige. Unserer Erfahrung nach ist es aber sehr schwer, die genaue Anzahl von Homepages mit rechtsextremen Inhalten zu beziffern, es sind lediglich grobe Schätzungen möglich. Grund hierfür ist die sehr starke Fluktuation und Unbeständigkeit der Angebote, das heißt, Seitenbetreiber wechseln die Anbieter und damit die URL oder verwenden Weiterleitungsdienste. Zudem sind die meisten Sites mehrfach im Netz gespiegelt, was dazu führt, dass ein und dasselbe Angebot unter mehreren Adressen zu erreichen ist. Qualitativ lässt sich sagen, dass auf den von uns gesichteten Websites in den meisten Fällen offen neonazistische Propaganda betrieben wird. Gerade die Mischung zwischen rassistischen Einstellungen und medial moderner und ansprechender Präsentation macht die besondere Brisanz der Angebote aus. Jugendgemäße Ausdrucksformen, der Reiz des Verbotenen oder die Ablehnung gängiger Wertvorstellungen, Denkmuster und Verhaltensweisen mit einem konkreten Angebot der Hineinnahme in ein eigenes rassistisches bzw. neonazistisches Weltbild – all das kann für junge Menschen einen besonderen Anziehungspunkt darstellen. Insbesondere die vielfältigen Musikangebote zum Download, aber auch rechtsextreme Spiele könnten als Türöffner für bzw. zu rechtsextremen Gruppierungen fungieren.

Überwiegen »private« Seiten oder solche von rechtsextremen Parteien, Organisationen, etc.?

Der größte Teil der von uns erfassten und analysierten rechtsextremen Websites wird unserer Ansicht nach von Privatpersonen betrieben, ohne kommerziellen Hintergrund. Oftmals lässt sich jedoch eine Nähe zu rechtsextremen Parteien wie der NPD oder insbesondere in der letzten Zeit verstärkt zu rechtsextremen Gruppierungen wie sogenannte freie Kameradschaften feststellen. Außerdem gibt es natürlich zahlreiche Websites von rechtsextremen Bands, Verlagen, Versandhandel oder ähnliche.

Welche auffälligen Unterschiede gibt es zwischen »privaten« Seiten und Webauftritten von rechtsextremen Organisationen und Parteien?

In der Regel sind Angebote von Parteien textlastiger als Angebote aus der rechtsextremen Jugendszene. Hinzu kommt die Tatsache, dass sich Websites aus dem rechtsextremen Spektrum, die einer bestehenden Organisation oder Gruppierung und somit juristisch greifbaren Person zu zuordnen sind, in Inhalt und Symbolik unterhalb der Strafbarkeitsschwelle bewegen und weder eindeutig volksverhetzende oder ähnliche Aussagen noch verbotene Zeichen benutzen. Diese Hemmschwelle fällt bei Privatpersonen, die Ihre Website anonym beispielsweise mittels Freeserver aus dem Ausland ins Netz einstellen, weg.

Ist erkennbar, welche Ziele die Anbieter der Seiten verfolgen?

Auch bei rechtsextremen Seitenbetreibern ist das Web zuvorderst eine Selbstdarstellungsplattform. Es geht darum, das Podium Website für die Verbreitung der eigenen Einstellung und Meinung zu nutzen. In vielen Fällen dient der Internetauftritt auch Agitationszwecken. Gerade rechtsextreme Kameradschaften versuchen verstärkt rechtsextreme Internetuser und Userinnen zu Aufmärschen oder Demonstrationen zu mobilisieren beziehungsweise für die Mitarbeit in der eigenen Gruppe vor Ort zu motivieren.

Kann mensch feststellen, wie häufig die einzelnen Seiten genutzt werden?

Seriös und genau kann nur der Website-Betreiber selbst oder der betreffende Host-Provider feststellen, wie oft eine Site besucht wird. Einige Seiten haben zwar Online-Counter auf ihre Homepage integriert, doch sind diese, weil manipulierbar, nur bedingt Anhaltspunkt für die eigentliche Frequenz einer Website. Hinweise geben die Einträge in einschlägigen Gästebüchern und Foren. Es ist davon auszugehen, dass Websites mit vielen aktuellen Postings auch zu den am meisten frequentierten Sites in der rechtsextremen Internetszene zählen. Um festzustellen, wer welche rechtsextremen Angebote nutzt, müssten längerfristige Feldstudien in Form von Nutzer-/Nutzerinnen- und Nutzungsanalysen durchgeführt werden. Erfahrungen aus der medienpädagogischen Arbeit mit Jugendlichen deuten darauf hin, dass die Seiten zunächst hauptsächlich für ein Publikum aus der rechtsextremen Szene große Bedeutung haben.

Wie wird die Wirkung der Seiten auf Jugendliche eingeschätzt?

Auch hierzu gibt es keine aussagekräftige Untersuchung unter Jugendlichen. Ein Großteil der von uns analysierten Websites ist mit modernen Mitteln professionell gestaltet und bedient zeitgemäße jugendliche Seh- und Kommunikationsgewohnheiten. Die Attraktivität einer Website wächst mit dem, was Sie dem User und der Userin bietet, seien es Informationen, kostenlose Tools oder Programme. Downloadangebote wie rechtsextreme Musik und Spiele sowie interaktive Elemente, zum Beispiel Chat,Gästebücher und Foren zählen zu den gegenwärtigen Standards und steigern natürlich auch die Attraktivität rechtsextremer Internetsites. Daneben existieren im Web auch zahlreiche revisionistische Angebote, die unter einem seriösen Deckmantel pseudowissenschaftliche, historisch verfälschte Sichtweisen des Nationalsozialismus verbreiten und beispielsweise die These der Holocaustleugnung oder die Legende von einer »jüdischen Weltverschwörung« publizieren. Diese Websites stellen in ihrer Wirkung dann ein Problem dar, wenn Jugendliche bei der Recherche nach verbürgten Informationen beispielsweise zur Erstellung eines Referats zur Thematik Holocaust im Internet per Suchmaschine auf solche Angebote treffen. Für ungeübte Leser und Leserinnen ist in der Regel nicht immer auf den ersten Blick erkennbar, dass es sich um ein revisionistisches und geschichtsverfälschendes Angebot handelt und die Gefahr von Fehlinformationen besteht.

Warum ist die Untersuchung nur auf Jugendliche beschränkt? Sind Erwachsene weniger durch rechtsextreme Internetseiten zu beeinflussen?

Aufgabe von jugendschutz.net ist es, sich um einen effektiven Jugendschutz im Internet zu bemühen und hier exemplarische Verfahrensweisen zu erproben, wie dem Anspruch Rechnung getragen werden kann. Im Bereich rechtsextremer Websites war daher unsere Ausgangsfrage, welche Sites potentiell jugendgefährdend wirken können. Dies bedeutet nicht gleichzeitig, dass Rechtsextremismus lediglich ein Jugendphänomen ist bzw. auf ein Problem der jungen Generation reduziert wird. Rechtsextreme Einstellungen und Denkmuster sind quer in allen Alters- und Sozialschichten vertreten ebenso wie sich das Phänomen Rechtsextremismus monokausalen Deutungen verschließt. Bezogen auf Rassismus und Neonazismus im Internet erscheint uns wichtig, diesen im Internet die Plattform und den Nährboden zu entziehen und das auf möglichst vielen Ebenen.

Welche Gegenstrategien sind aus Ihrer Sicht sinnvoll? Wie wirkungsvoll können Verbote per Gesetz oder technische Beschränkungen wie Filter sein?

Um gegen rechtsextreme Internetpropaganda effektiv vorgehen zu können, ist ein Maßnahmenbündel notwendig, in dem Tätigkeiten auf verschiedenen Handlungsebenen sinnvoll miteinander verknüpft werden. Bezüglich technischer Möglichkeiten lässt sich sagen, dass die derzeit verfügbaren Filtertechnologien nicht geeignet sind, einen vollständigen Schutz vor jugendgefährdenden rechtsextremen Inhalten zu garantieren. Bisher wurde in der Auseinandersetzung mit dem Thema Rechtsextremismus fast ausschließlich auf die Strafverfolgung von unzulässigen Angeboten gesetzt. Diese Strategie funktionierte, solange die Verbreitung rassistischer Ideen in Medien durch deutsche Gesetze reguliert werden konnte. Angesichts der Dynamik und grenzüberschreitenden Struktur des Internets und damit unterschiedlicher Werte- und Rechtssysteme wird dieser Handlungsansatz jedoch zunehmend ausgehebelt. Insbesondere in den USA ist Hate-Speech durch das Recht auf freie Meinungsäußerung zulässig.

Trotz allem kann auch über Ländergrenzen hinweg rassistischen Inhalten im WWW etwas entgegen gesetzt werden. In unseren letzten beiden Projekten haben wir durch eine direkte Kontaktaufnahme mit Hostprovidern und anderen Diensteanbietern im Ausland eine schnelle und unbürokratische Schließung dortiger rechtsextremer Angebote erreicht. Hierbei wiesen wir die entsprechenden Anbieter darauf hin, dass ein von ihnen gehostetes rechtsextremes Angebot gegen die eigenen Allgemeinen Geschäftsbedingungen verstößt – die meisten untersagen in ihren AGB die Verbreitung rassistischer oder diskriminierender Inhalte. In den meisten Fällen reagierten die Provider positiv und entfernten das Angebot von ihrem Server. Klar scheint, dass ohne eine Abstimmung mit anderen Ländern Maßnahmen in Deutschland nur Stückwerk bleiben. Es müssen zukünftig Formen der Zusammenarbeit von engagierten Nutzern und Nutzerinnen, anti-rassistischen Gruppen, Strafverfolgungsbehörden, Providern, Suchmaschinenbetreibern und anderen Diensteanbietern aus allen relevanten Ländern entwickelt werden. Insbesondere die Internetuser und -userinnen selbst müssen stärker in die Auseinandersetzung um rechtsextreme Inhalte im Web eingebunden werden. Denn auch im Internet gibt es vielfältige Möglichkeiten, Zivilcourage zu zeigen. Gerade die Spielerszene hat bereits vorgemacht, wie eine Auseinandersetzung mit rechtsextremen Äußerungen im Netz geführt werden kann. In vielen Signaturen von Clan-Spielern tauchen inzwischen Anti-Nazi-Signets auf, viele Clan-Pages bekennen sich mit Bannern zur Völkerverständigung, und sogar in Spielen selbst wird mit so genannten Sprüh-Logos Stellung gegen rechtsextreme Spieler und Clans bezogen. Die Gamer-Szene hat sich inzwischen auch für den Kampf gegen rechtsextreme Äußerungen im Netz organisiert und unter dem Motto »Clans gegen Rechts« verschiedene Homepages eingerichtet, um Erfahrungen auszutauschen und Gegenmaßnahmen zu koordinieren.

Was können medienpädagogische Projekte und Weiterbildungsangebote hier leisten? Wie ist die Resonanz der Jugendlichen auf derartige Projekte?

Jugendliche können im Rahmen von Workshops oder Seminaren zu einer kritischen Analyse und einer Auseinandersetzung mit rassistischen Angeboten im Web angeregt und dazu ermuntert werden, Stellung gegen Nazis und für Humanität, Demokratie oder Menschenrechte zu beziehen. Zahlreiche jugendliche Internetuser und -userinnen haben dem einfachen und in sich geschlossenen Weltbild rechtsextremer Überzeugungstäter auf der argumentativen Ebene nichts entgegen zu setzen. So bleibt neonazistische Propaganda nicht zuletzt aus Unbeholfenheit oft unwidersprochen. Medienpädagogische Projekte könnten dazu beitragen, Jugendliche auf die Konfrontation mit derartigen Angeboten vorzubereiten und ihnen ganz gezielt die Gelegenheit bieten, Möglichkeiten auszuprobieren, wie auch im Netz unter dem Motto »Fass meinen Kumpel nicht an« Flagge gezeigt werden kann. Die Resonanz von Jugendlichen auf diese Angebote zur Auseinandersetzung mit rechtsextremen Websites und deren Inhalten war bisher durchweg positiv. Insbesondere der handlungsorientierte Ansatz, d.h. die kreative Entwicklung und das Ausprobieren konkreter Schritte gegen Neonazis im Web macht Spaß und wirkt sich motivierend auf die jugendlichen Teilnehmenden aus. Sicherlich nicht zuletzt dadurch, dass ganz konkret die Frage, wie sich der einzelne Internetnutzer gegen rechtsextreme Propaganda zur Wehr setzen kann, im Mittelpunkt steht.

Sind die Ergebnisse der Untersuchung auf CD-Rom bereits erschienen? Wenn ja, wo ist die CD-Rom erhältlich?

Die Ergebnisse unserer ersten beiden Untersuchungen sind auf einer pädagogischen Handreichung zusammengefasst und in einer ersten Version über die Bundeszentrale für politische Bildung ab Ende des Jahres als CD-Rom zu erhalten.

Nächster Artikel: Meldemöglichkeiten für Neonaziseiten

Dossier #4: Einblick in Projekte und Initiativen im Netz, die auf ganz unterschiedliche Weise mit rechten Inhalten im Netz umgehen. Grundlagen zur Diskussion der verschiedenen Strategien gegen Nazis im Netz.

  1. Strategien gegen rechtsextreme Inhalte im Netz
  2. Was tun?
    (Katharina Hamann)
  3. Interview mit jugendschutz.net
  4. Meldemöglichkeiten für Neonaziseiten
  5. Schüler gegen rechts
  6. XPedient.org
  7. Aktion Kinder des Holocaust
  8. Links zum Thema
  9. Termine