Interkulturelle Austauschbegegnungen am Beispiel des deutsch-französischen Jugendaustauschs

Von Stephanie Haan

Interkulturelle Austauschbegegnungen Jugendlicher finden heute innerhalb Europas und weltweit in verschiedensten Formen statt: Die Möglichkeiten reichen vom Europäischen Freiwilligendienst, über ein Erasmus-Studienjahr im Ausland bis hin zur einwöchigen Begegnungsveranstaltung Auszubildender, einem Praktikum im Ausland oder Sprachreisen. Für die meisten dieser Begegnungsarten gibt es dabei Fördertöpfe und Stipendien der EU oder anderer Institutionen.

Deutschland und Frankreich – das Deutsch Französische Jugendwerk

Besonders rege Austauschbeziehungen haben sich zwischen Deutschland und Frankreich entwickelt. Das erstaunt nicht, spielten doch in der jüngeren Geschichte das Verhältnis zwischen diesen beiden Ländern und die Bemühungen um ein gutes Verständnis eine große Rolle. Um die guten Beziehungen der beiden Länder offiziell und auch in der Bevölkerung zu stärken, schlossen Konrad Adenauer und Charles de Gaulle 1963 den Elysee-Vertrag. In diesem Zusammenhang wurde das Deutsch-Französische Jugendwerk/ Office franco-allemande pour la jeunesse (DFJW/ OFAJ) ins Leben gerufen. Diese Institution erhielt die Aufgabe, »die Bande zwischen der Jugend der beiden Länder enger zu gestalten«.(1)

Seither sind »gegenseitiges Kennenlernen, Verständigung, Solidarität und Zusammenarbeit«(2) die ständigen Ziele des Jugendwerks. Nach Ansicht des DFJW können die Besonderheiten des Nachbarlandes, seiner Einwohner und ihrer Lebensgewohnheiten nur dann wahrgenommen und verstanden werden, wenn eine »Einführung in die grundlegenden individuellen und gesellschaftlichen Tatsachen…, die das Leben des einzelnen bestimmen« erfolgt.(3) Dahinter steht der Gedanke, dass die Jugendlichen in einem anderen Land mit den alltäglichen Gewohnheiten einer anderen Kultur direkt konfrontiert sind. Sie müssen sich mit ihr auseinandersetzen und ein Mindestmaß an interkultureller Kompetenz oder Offenheit entwickeln um sich in der neuen Umgebung zurechtzufinden. Sie können die Vielfalt der anderen Kultur erleben und die Ähnlichkeiten zu der eigenen entdecken. Besonders durch den Kontakt zu Gleichaltrigen können sie eine persönliche Beziehung zum Austauschpartner aufbauen.

(1) Hrsg.: Deutsch Französisches Jugendwerk Directives/ Richtlinien, 40 Jahre DFJW, Berlin, Paris 2003, S.5.
(2) Hrsg.: Deutsch Französisches Jugendwerk Directives/ Richtlinien, 40 Jahre DFJW, Berlin, Paris 2003, S.5.
(3) Hrsg.: Deutsch Französisches Jugendwerk Directives/Richtlinien, 40 Jahre DFJW, Berlin, Paris 2003, S.5.

Konkret bedeutet dies, dass deutsche und französische Jugendliche dann am Besten zu einander kommen, wenn sie den Alltag, die Lebensumstände, die Probleme und Vorlieben des anderen aus der Nähe mitbekommen: Eine Auszubildende aus Deutschland, die beim Austausch in Frankreich erlebt, dass ihre Partnerin auch Ärger mit ihren Eltern hat, ebenfalls sehr gern ins Kino und abends tanzen geht wird merken, dass trotz ungewohnter äußerer Gegebenheiten in vielen wesentlichen Dingen kein Unterschied zwischen ihr und der Französin besteht.

Berufsbezogene Austauschbegegnungen

Seit 1996 fördert das DFJW verstärkt den Austausch von jungen Berufstätigen, Auszubildenden oder jungen Arbeitslosen. Dabei gibt es zwei Formen der Begegnung:

Besuchen Krankenschwestern aus Dijon ihre Kolleginnen in Leipzig, so ist das eine »Begegnung am Ort des Partners«. Die französische Gruppe wohnt meist in einem Jugendgästehaus und trifft ihre Partner bei der Arbeit oder zu gemeinsamen Unternehmungen. In Idealfall findet ein paar Wochen später der Rückbesuch statt, bei dem die Deutschen ihre Partnerinnen in Dijon wieder sehen.

Treffen sich Kochlehrlinge aus Berlin mit französischen Kochschülern aus Lille in Nîmes oder in Heidelberg, so ist dies eine »Begegnung an einem dritten Ort«. Alle Teilnehmer sind fern ihrer Heimatumgebung gemeinsam in einer Unterkunft untergebracht.

Zunehmend nehmen auch Jugendliche aus berufsvorbereitenden Maßnahmen an Austauschveranstaltungen teil. Besonders letztere haben selten die Gelegenheit, ins Ausland zu fahren und dort Gleichaltrige in ähnlichen Lebenssituationen kennen zu lernen. Durch das verbindende Element des Berufs bzw. der gemeinsamen Situation (arbeitslos, berufsvorbereitende Maßnahme) soll die Lebensrealität der Partner direkt erfahren und so interkulturelle Erfahrungen initiiert werden.

Chancen und Schwierigkeiten gelungene interkulturelle Begegnungen zu ermöglichen

Soweit die Theorie. Was dort einleuchtend klingt, entpuppt sich als ziemlich kompliziert in der Umsetzung. Interkulturelle Begegnungen können sehr fruchtbar sein, wenn sie gelingen. Sie tatsächlich zu erzeugen, ist aber an viele Bedingungen gebunden.

Vorbereitung

Eine sorgfältige Vororganisation, Gespräche aller PartnerInnen im Vorfeld, eine genaue Absprache, welche Jugendlichen sich treffen, was die Interessen der TeilnehmerInnen und PartnerInnen sind sowie eine Vorbereitung der Jugendlichen auf die Begegnung, sollten selbstverständlich sein. Dass es oft nicht dazu kommt, hat verschiedene Ursachen, wie beispielsweise Unwissen der PartnerInnen über das andere Land, Zeit- oder Geldmangel für die Vorbereitung, etc..

So geschieht es, dass sich Krankenschwestern mit Spezialgebiet Gerontologie mit Säuglingsschwestern treffen. Da die deutschen Teilnehmerinnen vorab nicht informiert und vom Dienst freigestellt wurden, kommt es statt der vier geplanten zu nur einer fachliche Begegnung und auch die geplante gemeinsame Abendveranstaltung wird nicht gut besucht. Solche und andere Situationen kommen immer wieder vor und führen zu Frustration und einem negativen Eindruck vom Gastland bei den TeilnehmerInnen.

Pädagogische Herausforderung und Phänomene bei Jugendbegegnungen

Selbstverständlich gibt es sehr gut vorbereitete Seminare. Doch auch deren gutes Gelingen ist eine Herausforderung. Es bedarf einer kompetenten Gruppenbegleitung und TeamerInnen, die sich mit Sprache und Kultur beider Ländern auskennen, klischeehafte Vorstellungen hinterfragen helfen, zwischen kulturellen Missverständnissen oder gar Konflikten vermitteln können.

Man wird im Ausland permanent mit ungewohnten Situationen konfrontiert, es eröffnen sich ständig neue Perspektiven und man erhält zahlreiche Möglichkeiten für den Erwerb interkultureller Kompetenz. Alle Eindrücke sind lebensnah und betreffen die Jugendlichen in ihrer ganzen Person.

Gerade deshalb neigen die Jugendlichen dazu, sich zunächst verstärkt mit der eigenen Gruppe zu identifizieren und sich in sie zurück zu ziehen, um vor dem Unbekannten geschützt zu sein. Diese Tendenz hat zwar den positiven Effekt, dass vielfältige und fruchtbare Gruppenprozesse stattfinden. Wichtig ist dennoch, dass sich die Gruppe öffnet, damit interkulturelle Begegnungen möglich werden. Denn mit der bloßen Anwesenheit beim Anderen ist ein wirkliches Kennen lernen noch nicht garantiert. Dazu braucht es einen Austausch und gelungene Kommunikation.

Hier stellt die Sprachbarriere ein Problem dar. Englisch scheidet als gemeinsame Sprache meist aus, da vor allem die Franzosen Englisch schlecht beherrschen. In allen DFJW- Programmen sind dafür Einheiten von Sprachvermittlung vorgesehen(4), tiefergehende Gespräche unter den Jugendlichen sind jedoch nur über den Dolmetscher oder die Dolmetscherin möglich.

(4) Das DFJW arbeitet vor allem mit der tandem- Methode, bei der sich ein deutscher und französischer Partner gegenseitig die Sprache beibringen, bzw. mit der »animation linguistique«, einer spielerischen Annäherung an die fremde Sprache, mit der Vermittlung von Basis-Wörtern, die den Jugendlichen helfen sollen, sich eigenständig im Ausland zu bewegen.

Bei beiderseitigem Bemühen läuft die Kommunikation aber auch außersprachig sehr gut. Insoweit die Jugendlichen sich auf den Partner einlassen, kommt es durchaus zu erfüllenden Begegnungen und sogar zu Freundschaften.

Kritischer sind Situationen, in denen Jugendliche in der Partnerstadt unterwegs sind und dort, oft aufgrund sprachlicher Missverständnisse und Missdeutungen von Verhaltensweisen, schlechte Erfahrungen machen. Diese sind meist banaler Art – der Kellner war unfreundlich oder bediente schlecht, auf der Straße lachte jemand so, als würde er sich lustig machen usw. – doch sie rufen das Gefühl hervor, nicht ernst genommen zu werden. Solche Erlebnisse bestärken oft schon vorhandene Vorurteile und reduzieren die Bereitschaft, sich auf das andere Land einzulassen. Bei einem einwöchigen Austausch kann es zeitlich bedingt nur darum gehen, Eindrücke und Offenheit für das Andere zu wecken. So gilt es, negative Erlebnisse zu relativieren und möglichst viele positive Erfahrungen zu provozieren. Diese wirken auf dieselbe Weise wie die negativen, doch sie hinterlassen das Gefühl, mit der anderen Kultur zurechtzukommen und wecken eventuell Lust auf weitere Erfahrungen.

Anforderungen an PädagogInnen

Die pädagogische Herausforderung besteht bei interkulturellem Austausch darin, jedes Mal aufs Neue auf die TeilnehmerInnen und die gegebenen Situation einzugehen und zwischen den Menschen zu vermitteln.
Die tatsächliche Begegnung entsteht aber nur durch die eigene Initiative der TeilnehmerInnen selber. Sie müssen sich trauen, auf einander zuzugehen und den Kontakt suchen. Ein Austausch wird umso wahrscheinlicher, je besser die Rahmenbedingungen passen. Dazu können gut ausgebildete TeamerInnen beitragen, indem sie Konfliktsituationen erfassen und besprechen sowie Missverständnisse aufklären.

Ausblick/Anmerkungen

Die oben geschilderten deutsch-französischen Austauschbeziehungen sind seit Jahren gut etabliert, es bestehen feste und eingespielte Kooperationsstrukturen und Arbeitsmethoden, die – im Rahmen der geschilderten Schwierigkeiten – routinierte und kompetente Arbeit ermöglichen.

Nun drängt sich die Frage auf, ob es im Zuge der europäischen Entwicklungen noch zeitgemäß ist, sich auf das deutsch-französische Feld zu beschränken. Geht es nicht vielmehr darum, andere Länder mit einzubeziehen und multinationale Begegnungen zu fördern? Deutschland und Frankreich sind sich in vielem sehr ähnlich, kann es dort überhaupt zu interkulturellen Erfahrungen kommen?

Das DFJW bezieht dazu in seinen Richtlinien eine klare Position. Es sieht die deutsch-französische Jugendarbeit als »beispielhaft für die internationale und insbesondere für die europäische Zusammenarbeit«.(5)] Erfahrungen und Strukturen, die im Rahmen der deutsch-französischen Jugendarbeit gemacht und aufgebaut werden, sollen anderen als Modell dienen.

(5) a.a.O., S.7

Die Berechtigung von deutsch-französischen Kooperationen ist aber auch insofern vorhanden, als dass die beiden Länder genügend Möglichkeiten für interkulturelle Erfahrungen bieten. Die relativ große Ähnlichkeit schafft einen Rahmen und Bereitschaft, sich den zahlreichen kulturellen Unterschieden auszusetzen, die im Alltag und im Kleinen existieren. Allein durch die andere Sprache, durch den Einfluss nordafrikanischer Kulturen, durch ein Bildungssystem oder sogar durch Gegebenheiten wie die südlichere Lage gibt es eine Menge an Unterschieden. So bestätigt auch Burkhard Müller in einer Schrift zu bi-, tri- und multinationalen Begegnungen, dass »der bi-nationale Austausch im Rahmen des DFJW … keineswegs eine überholte Form darstellt, sondern … einen Schatz an Erfahrungen (bietet), der angesichts der gegenwärtigen und zukünftigen Entwicklungen in Europa äußerst wichtig ist.«(6)

(6) in: Jacques Demorgon, Christoph Wulf (Hg.): Binationale, trinational und multinationale Begegnungen – Gemeinsamkeiten und Unterschiede in interkulturellen Lernprozessen, Einleitung

Zudem sollen nach neuerem Beschluss des DFJW zunehmend tri-nationale Programme mit Drittländern durchgeführt werden. Allerdings nicht nur, um diese einzubeziehen, sondern auch, um die bi-nationalen Kontakte zu bereichern. Denn das Einbeziehen eines Dritten Landes erleichtert die Begegnung Jugendlicher zweier Länder: » in Situationen, in denen sich zwei Personen oder zwei Gruppen in einem Konflikt befinden, kann der Dritte als Katalysator wirken, Feindseligkeiten bewusst machen, zu ihrer Analyse beitragen und bei ihrer Bearbeitung mitwirken.«(7)

(7) ebenda

Einige Adressen und Informationen:

  • Die obere Altersgrenze, um vom DFJW gefördert zu werden, ist 27 bzw. 30 Jahre, wenn es sich um berufsbezogene Veranstaltungen handelt.
  • Das DFJW fördert verschiedene Austauschveranstaltungen sowie Vorbereitungstreffen zwischen den Kooperationspartnern. Sowohl für die Fahrtkosten, als auch für die Aufenthaltskosten werden pro TeilnehmerIn bestimme Sätze gezahlt.
  • Auch für Sprachkurse oder Forschungsvorhaben kann dort ein Stipendium beantragt werden.
  • Die Förderanträge können von den Trägern, die einen Austausch organisieren wollen, für Einzelstipendien von der betroffenen Person selber, beantragt werden. Antragsformulare gibt es beim DFJW bzw. dem office franco-allemande pour la jeunesse.

Weitere Links zum Jugendaustausch in Europa:

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