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Roter Stern Leipzig ’99 e.V.
von maso
Seit dem Jahr 1999 gibt es in der Leipziger Fußballvereinsszene eine wichtige Neuerung: den Roten Stern Leipzig ’99 e.V. Was das besondere an dem Verein ist, stellt ein Vereinsmitglied vor… Da dreht sich was in Leipzig-Connewitz Der Rote Stern Leipzig (RSL) – ein kultur-politisches Sportprojekt im Spannungsfeld zwischen normalen Fußballverein und linksradikaler Politik. Beim FIFA-Weltkongress(1) in Buenos Aires stellte auch B.A.F.F.(2) Antirassismus-Arbeit vor. Die locker-fluffige Einleitung»Kurz vor Drei war es soweit: Roter Stern, wir ha’m Dich gern, ertönte aus den Lautsprechern, bengalische Feuer wurden gezündet und die Roten-Stern-Kicker betraten zum ersten Mal ihr neues Zuhause: den Sportpark Dölitz. Es war die Heimspiel-Premiere des jüngsten Leipziger Fußballvereins und der Tag, auf den Fans, Spieler und Betreuer so lange gewartet hatten. Denn noch vor einem Jahr war das Debüt in der 3. Kreisklasse ein Traum, mehr nicht.«(3) So kommentierte die bürgerliche Tageszeitung »Leipziger Volkzeitung« (LVZ) den ersten höchst-offiziösen Auftritt des Projektes Roter Stern Leipzig (RSL) vor gut zwei Jahren. |
Dossier #2: Debatten, Aktionen und Projekte vor, die sich mit Rassismus im Stadion beschäftigen und dabei Methoden der medialen Vermittlung und Vernetzung erproben. » Gesamtes Dossier als PDF-Datei
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Was aus dem Traum geworden ist, wo er her kommt und wohin er in Zukunft schweben wird, soll Gegenstand dieses Artikels sein. Wir tauchen ein in die Welt des Roten Stern, welche sich zweifelsohne im Süden der Stadt Leipzig lokalisieren lässt. Hier im Stadtteil Connewitz drehen sich die Uhren seit der Wende etwas anders als im übrigen Ostdeutschland. Während in Städten wie Rostock und Hoyerswerda der braune, rassistische Pöbel MigrantInnen angriff und ihre Unterkünfte anzündete, baute sich hier die links-alternative Szene ein Kleinod auf, in dem derartige rechte Tendenzen aktiv bekämpft wurden. Soziokulturelle Läden wie das Conne Island, Zoro und die Braustraße lieferten das kulturelle und politische Fundament auf dem heute der Verein Roter Stern Leipzig fußt. |
(1) Siehe Bericht in diesem Dossier
(2) Bündnis aktiver Fußballfans, siehe Interview in diesem Dossier
(3) nachzulesen im Vereins-Pressespiegel
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Tatort Dölitz: Hier jagt der Ball – meist – in des Gegners Maschen, frenetisch gefeiert von 300 Persönchen, welche den Weg alle zwei Wochen in die Heimspielstätte des RSL und in die Niederungen der Leipziger Fußballwelt (9. und 11. Liga) finden. Da steht der Fußballveteran mit orangefarbenen Anglerhut legt Kampflieder aus den Dreißigern und Hiphop aus der Gegenwart auf. Dort grillt die Bratwurst vor sich hin, es gibt Bier und Eis am Stiel. Der eine zündet Böller Nummer zwanzig und einundzwanzig, während ein Pyro locker-fluffig am Firmament kratzt. Auf die Frage hin, wie denn der Spielstand numerisch auszudrücken sei, wissen über die Hälfte der Leute keine richtige Antwort. Alles ist ein großes sehen und gesehen werden. Der Rote Stern als sportliches Happening, das ist die eine Seite des Vereins. Die Werkzeugee, Grundverständnis und PositionenGenau wie das Gesamtprojekt Roter Stern, stand auch dessen werkzeugeliche Positionierung zu Beginn auf wackeligen Beinen. Anfänglich sollte das ganze Projekt nur dem Zwecke des Ballspielens dienen. Der Name »Roter Stern Leipzig« wurde laut der Meinung eines Mitgliedes gewählt, weil er: »originell sei und zu unserer alternativen Gesinnung passe.«(4) |
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Mit der Zeit gewann die Selbstfindung einen immer höheren Stellenwert, so dass diverse Selbstverständnisse formuliert wurden. Hier möchten wir ein Diskussionspapier dokumentieren, welches nie offiziell abgesegnet wurde: »Der Rote Stern Leipzig sieht sich als politisches Kulturprojekt. Entscheidend ist für den Verein und seine Mitglieder Events zu schaffen, Partys zu organisieren, Spaß zu haben. Neben dem Spielbetrieb verschiedener Sportteams werden Konzerte, Diskos etc. organisiert – Tanzen, Saufen, Raufen. Der Rote Stern Leipzig begreift sich jedoch ebenso als emanzipatives Projekt. Ziel des Vereines ist es, sich die gesellschaftliche Situation, in der Sport getrieben wird, zu verdeutlichen und anzugreifen, bzw. innerhalb eigener Strukturen aufzulösen. Ausgehend von einem rassistischen Konsens in der deutschen Bevölkerung und von der männerdominierten Struktur des hiesigen Sports versucht der Verein dem genau hier entgegenzuwirken. Der Verein begreift sich als offenes und weitestgehend hierarchiefreies Projekt. Die klassischen Vereinsstrukturen, in denen gewählte Vorstände die Geschicke des Vereins lenken, wird vom Roten Stern Leipzig abgelehnt. Vielmehr werden alle Themen rund um den Verein in einem wöchentlichen Plenum diskutiert und schließlich werden gemeinsam Entscheidungen getroffen. Ein besonderes Anliegen des Vereins ist es, Sport als Männerdomäne anzugreifen. Auch wenn sich dies in der Realität meist schwer verwirklichen lässt, versucht der Verein mit einer Bewusstwerdung der Problematik und in der Organisierung der Vereinsstruktur diesem Phänomen gerecht zu werden. Der Verein begreift sich also nicht als reines Sportprojekt, sondern als subkulturelles Projekt mit konkreten politischen Ansprüchen. Der Verein greift in den eigenen Strukturen und nach außen Themen wie Rassismus, Sexismus, Kapitalismus etc. auf und versucht entsprechend den eigenen Möglichkeiten gegen jene Dinge anzugehen. Zu gesellschaftlich relevanten Themen wird von Seite des Vereins regelmäßig Stellung bezogen, sei es zu antifaschistischen Demonstrationen, zu rassistischen Vorfällen innerhalb und außerhalb von Stadien oder zu den Protesten gegen Videoüberwachung öffentlicher Räume. Natürlich ergeben sich zum Teil massive Differenzen zwischen diesen formulierten Ansprüchen und der Realisierung. Besonders bei sexistischen und hierarchischen Strukturen wird dies deutlich. Trotzdem sind wir bemüht, diese Dinge zu erkennen und zu verändern. Gerade an solchen Diskussionspapieren kann mensch Unterschiede zu »normalen« Sportvereinen finden. Natürlich blieb die Bewertung seitens der Behörden nicht aus. Das Sächsische Landesamt für Verfassungsschutz monierte am 15.12.2000 auf seiner Homepage, dass Gründungsmitglieder des Roten Stern AnhängerInnen der autonomen Szene seien. »In dem Verein wollen Autonome offenbar Jugendliche für antifaschistische Themen mobilisieren.«(5) |
(5) Eine Kopie davon auf der Hompeage vom RSL
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Neulich flatterte den RSL-Verantwortlichen ein Brief vom Finanzamt ins Haus, in dem über die drohende Ablehnung der Gemeinnützigkeit informiert wurde. Grund: politisches Engagement. Klar ist, dass ein Verein gar nicht politisch sein kann, denn er ist nur ein ideales Konstrukt. Damit ist das Dogma der unpolitischen Sportvereine erfüllt. Nur die Menschen, welche sich in Vereinen, Organisationen oder Parteien zusammenfinden, können politische Positionen formulieren. Jedes Individuum ist auch ein politisches Subjekt, unpolitische Menschen sind heutzutage gänzlich undenkbar. Gerade der Rote Stern bildet ein Konglomerat von politisch äußerst interessierten Personen, so bleibt es nicht aus, dass politische Sachthemen besprochen werden. Das tatsächliche Handeln ist Sache der einzelnen Personen und läuft unabhängig von dem Konstrukt »Roter Stern Leipzig ’99 e.V.« ab. Die Geschichte des VereinsMitte der Neunziger Jahre trieben ein paar pubertierende Jungen in Leipzig ihr Unwesen. Von einander kaum wissend, verband sie die linke, »zeckige« Attitüde und die Liebe zum runden Leder. Einige versuchten sich daran, ein Teil der Fanzinesbewegung zu sein, in dem sie an Heften wie dem Chemie-Leipzig-Fanzines »Melk die fette Katze« oder dem Punkerzines »Helmuts Erben« bastelten. Über die gemeinsame Sympathie zum Fußballclub Sachsen Leipzig, diverse Konzerte und Antifa-Demos lernten sich diese jungen Herren kennen. Durch die proll-deutsche, oft rassistische und faschistische Stimmung in fast allen Leipziger Vereinen herrschende Atmosphäre abgestoßen, fanden sich im Sommer des Jahres 1998 ca. 20 junge Gestalten zusammen, um dem alternative Fußballkultur entgegenzustellen. Es wurde bei einem normal-bürgerlichen Verein namens Blau-Weiß-Leipzig angeheuert, in dem schnell die Grenzen des eigenen Handelns aufgezeigt wurden. So gründete sich im Februar 1999 der Rote Stern Leipzig. Begonnen wurde mit 2 Mannschaften im Spielbetrieb der 3. Kreisklasse (unterste Liga). Schon von Beginn an deutete sich ein großes Interesse an dem Verein im Leipziger Süden an. Zu den Heimspielen beider Mannschaften kamen regelmäßig ca. 250 ZuschauerInnen. Innerhalb kürzester Zeit explodierten außerdem die Mitgliederzahlen. Derzeit sind 120 Personen eingeschriebene Mitglieder des Vereins. Im Laufe der Zeit gliederten sich weitere Teams an den Verein an. So gibt es derzeit ein Frauen-Fußballteam, eine Fußball-B-Jugend, ein Volleyballteam, ein Schachteam. Zeitweise agierte in den Reihen der Roten Sterne eine 3. Mannschaft bestehend aus Flüchtlingen, die in Leipziger AsylbewerberInnenheimen untergebracht sind und versuchen, über eine eigene Fußballmannschaft ihre politischen Forderungen besser nach außen artikulieren zu können. Die sprachlichen Barrieren und die weiten Anfahrtswege führten dazu, dass nach kurzer Zeit der Kontakt zu den Flüchtlingen abbrach und die Unternehmung dadurch einschlief. An anderer Stelle expandierte das Projekt erfolgreicher. Im folgenden sollen ein paar ausgewählte Aktionen kurz skizziert werden, die Indiz für mannigfaltige Aktivitäten sind. Wie eingangs erwähnt, begreift sich der RSL auch als Kulturprojekt. Der letzte Höhepunkt des roten Kulturschaffens ist die Veröffentlichung der RSL-Benefiz-CD »More than soccer«. Auf dieser Scheibe gibt sich die Leipziger Musikprominenz ein Stelldichein und kultet ihren Verein numero uno ab. Dieses Machwerk zeigt die tiefe Verwurzlung des RSL in der lokalen Kulturszene. Die Bands wiederum können auf breites Echo hoffen, denn das Etikett »Roter Stern« genießt bestes Renommee in der linken bundesdeutschen Fußballszene. Im Frühjahr 2000 wurde das turnusmäßige Wintertreffen von B.A.F.F. in Leipzig organisiert, an dem über 60 Personen teilnahmen und ein Wochenende lang über Themen aus der Welt des Fußballes diskutierten. Ein weiteres Event der Extraklasse ist die alljährlich stattfindende Antira-Weltmeisterschaft in Italien, an der weit mehr als 100 Teams aus allen Frauen Ländern teilnehmen. Dieses Turnier wird organisiert von FARE (Football Against Racism in Europe). Jene Organisation rief im Frühjahr 2001 zu einer Aktion gegen Rassismus auf. AktivistInnen des RSL verteilten beim örtlichen Drittligisten FC Sachsen Leipzig Flugblätter, die über die Aktion informierten und entrollten ein Transparent mit der Aufschrift: »Chemie-Fans gegen Rassismus und Diskriminierung«. Der FC Sachsen Leipzig ist der Nachfolgeclub der ruhmreichen BSG Chemie Leipzig, deren Name heute noch in aller Munde ist und sich reger Beliebtheit seitens der Sterne erfreut. Innerhalb des Vereins entbrannte nach dem Vereinsfest 2000 eine Diskussion. Dieses am letzten Spieltag der Saison ausgetragene und von über 700 Menschen besuchte Event war Tatort diverser verbal-sexistischer Übergriffe von Männern gegenüber Frauen. Spezielle Plena sollten installiert werden, um sich über diese Problematik auseinandersetzen zu können, die dann aber durch mangelnde Bereitschaft zur Teilnahme seitens der Vereinsmitglieder nicht durchgeführt werden konnten. Trotzdem zeugen vier Artikel in der Vereinspostille »Prasses Erben #7« davon, dass der ganze Sachverhalt nicht einfach unter den Teppich gekehrt worden ist. Ein bestimmendes Thema im Jahre 2000 hier in Leipzig war die Problematik »Überwachungsstaat«. Mitglieder des RSL beteiligten sich aktiv an den Demonstrationen gegen Überwachungswahn. Die Relevanz des RSL für die GesellschaftMag es den Leuten im und um den Roten Stern passen oder nicht, der Stern erfüllt ganz klar Aufgaben, die dem Staate BRD mehr als zuträglich sind. Er holt die Jugendlichen von der Straße, wo sie sowieso nur »Unsinn« anstellen würden und betreibt damit Sozialarbeit, wie andere Sportvereine auch. Alles normal. Selbst die antifaschistische und antirassistische Grundeinstellung ist in der heutigen Zivilgesellschaft durchaus erwünscht. Die Spieler tingeln von Spiel zu Spiel, von Platz zu Platz und haben dabei die zivilisatorischen Grundmaßstäbe im Gepäck, die hier im Osten der Republik noch lange nicht in allen Landstrichen angekommen sind. Wobei ehrlich gesagt werden muss, dass es bisher zu fast keinen faschistischen Übergriffen gegenüber Spielern oder Fans gekommen ist – zumindest im Rahmen von RSL-Aktivitäten. Bewusst mit sich und der (sozialen) Umwelt umgehen und das auch beim Sport soll Ziel im Roten Stern sein. Der Rote Stern ist ein Symbol für linke Gegenkultur, welche in der Vergangenheit viel erreicht hat und dies auch in Zukunft zu leisten vermag. Wenn denn nicht die Verlockungen der bürgerlichen Gesellschaft zu stark geworden sind… maso Nächster Artikel: DoppelPass on Air |
Letzte Änderung: 2005-05-22 22:55:56 | info@d-a-s-h.org Impressum |