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»Bleiberecht für Opfer rassistischer Gewalt« die Kampagne und ihre Initiatorinnen und InitiatorenDie Arbeitsgemeinschaft der Beratungsprojekte für Opfer von rassistischer, rechtsextremistischer und antisemitischer Gewalt (agOra)Vorstellung des Dachverbandes nach einem Interview mit Rahel Krückels, Projektmitarbeiterin ABAD und Mitinitiatorin von agOra Anfang Juni 2002 hat die Arbeitsgemeinschaft der Beratungsprojekte für Opfer von rassistischer, rechtsextremistischer und antisemitischer Gewalt (agOra) ihre Arbeit aufgenommen. agOra hat sich gegründet, um die Anliegen und Diskussionen der Beratungsprojekte für Opfer von Rassismus, Rechtsextremismus und Antisemitismus auch länderübergreifend in die Öffentlichkeit zu tragen und die Erfahrungen und Kompetenzen der Einzelprojekte zu bündeln. Die Arbeit der Beratungsprojekte fand bisher nur unkoordiniert in den jeweiligen Bundesländern statt. Gemeinsames Ziel der agOra-Projekte ist es, den Opfern schnelle professionelle Hilfe anzubieten und die Gesellschaft mit der Perspektive der Opfer zu konfrontieren. Die Opferberatungsprojekte wollen erreichen, dass von der täterzentrierten Arbeit umgedacht wird hin zu einer Unterstützung der Opfer rechtsextremer Gewalt. Dafür soll auch die Gesamtgesellschaft sensibilisiert werden. Rahel Krückels, eine der Mitinitiatorinnen der Kampagne und Projektmitarbeiterin der Thüringer Opferberatung, bemerkt, dass sich mittlerweile die Wahrnehmung der Medien verändert habe und besonders in Brandenburg sich auch in den Gerichtssälen eine zunehmende Berücksichtigung des rechtsextremen Hintergrunds bei Straftaten abzeichne. Wie die agOra-Mitarbeiterin berichtet, wurde z.B. bei der Einführung von Schnellgerichtsverfahren mit der Stärkung der Opferrechte argumentiert. Diese Gerichtsverfahren werden bereits wenige Tage nach der eigentlichen Tat eröffnet und bieten so die Möglichkeit einer schnellen und direkten »Bestrafung« der Täter und damit die Ahndung der Tat. Für die Opfer von Straftaten bedeutet das, dass sie unmittelbar die Verurteilung der Täter miterleben können. Es gibt keine monate- oder jahrelangen Wartezeiten zur Prozesseröffnung. Oft genug kam es vor, dass die Hauptzeugen eines Überfalls, die Betroffenen selbst, zum Zeitpunkt des Prozessbeginns bereits abgeschoben worden waren. Oder die Tat war schlicht verjährt und damit nicht mehr strafrechtlich verfolgbar. Falls es zu einer Verurteilung kommt, kann diese auch Auswirkungen auf die psychische Verfassung der Opfer – zum Beispiel zur Bewältigung von Traumata – haben. Aber diese Praxis der Schnellgerichtsverfahren wirke sich auch zum Nachteil der Betroffenen aus. Krückels führt an, dass in diesem kurzen Zeitraum z.B. eine Nebenklage nicht gründlich vorbereitet werden könne. Diese ist jedoch oft die einzige Möglichkeit, sowohl den rechtsextremen Hintergrund der Tat im Gerichtsverfahren geltend zu machen als auch die physischen und psychischen Schäden, die dem Opfer zugefügt wurden, in ihrem ganzen Ausmaß darzulegen. Die Probleme, auf die die Opferberater und -beraterinnen treffen, sind immer die gleichen: Manchmal scheitert die Recherche schon daran, Namen und Adresse der Betroffenen herauszufinden, deren Fälle den Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen oft nur über kurze Meldungen in den Medien bekannt werden. Auch den Zugang zur Gemeinschaftsunterkunft fanden die Opferberaterinnen und -berater schon verschlossen vor, und die Residenzpflicht für die Asylbewerber erschwert und verzögert u.a. Besuche bei Ärzten und Therapeuten wesentlich, verhindert sie manchmal ganz. Oft kommt noch hinzu, dass die Opfer eines Angriffs selbst auch angeklagt werden – z.B. weil sie sich zur Wehr gesetzt haben. Außerdem werden die Übergriffe innerhalb der Kommunen nach wie vor sehr oft bagatellisiert und als Konflikte von »Jugendcliquen« wahrgenommen und dargestellt – der rassistische Hintergrund wird völlig ausgeblendet. Rahel Krückels verweist aber auch darauf, dass sich z.B. in Berlin ein weiteres Problem stelle: Polizeigewalt mit einem rassistischen Hintergrund. In solchen Fällen sei es oft noch schwieriger als in anderen Fällen, zu Gunsten des Opfers weiterzuermitteln und mittels Öffentlichkeitsarbeit nach außen zu gehen. Vor der Bundestagswahl hat agOra Parteien und Politikerinnen und Politikern »Wahlprüfsteine« gestellt und sie gebeten, Stellung zur Kampagne für das Bleiberecht für Opfer rassistischer Gewalt und zur Weiterförderung des Programms Civitas zu beziehen. Die Reaktion darauf war laut Aussage von Rahel Krückels bisher nur verhalten. Von der CDU war kein eindeutiges Statement zu Programmen gegen Rechtsextremismus und zum Bleiberecht für Opfer rassistischer Gewalt zu bekommen. Lediglich zur Fortführung von Civitas äußert sich Katherina Reiche, CDU: »…bin ich der Auffassung, dass die verschiedenen Programme dort überprüft werden müssen, wo es notwendig ist. Hierzu bedarf es einer Begutachtung in der neuen Legislaturperiode«. Die PDS und die Grünen bewerten die Kampagne durchaus positiv, allerdings verweisen die Regierungsparteien (also auch die SPD) auf die Neuregelung des Zuwanderungsgesetzes und die darin enthaltene Härtefallregelung. Diese neue Regelung sieht vor, dass eine Kommission in den einzelnen Bundesländern nach humanitären Kriterien und in Einzelfallprüfung entscheidet. Die Härtefall-Kommissionen sind aber Ländersache und keineswegs ein Muss. Die Forderungen der Kampagne sind jedoch folgenunabhängig formuliert – den Betroffenen von rassistischer Gewalt sollte in jedem Fall ein uneingeschränktes Bleiberecht zustehen, unabhängig z.B. von der Schwere der Folgen eines Übergriffs, so Krückels weiter. Allerdings ließen sich noch keine Aussagen über die Auswirkungen des neuen Gesetzes treffen, da noch keinerlei praktische Erfahrungen vorliegen. Die Arbeitsgrundlage der Opferberatungsprojekte in den neuen und in den alten Bundesländern ist sehr unterschiedlich: Die Beratungsstellen im Osten werden zum Großteil von Civitas gefördert und arbeiten darüber hinaus auch auf ehrenamtlicher Basis. Einzelne Projekte arbeiten nur mit unbezahlten Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen. Die Opferberatungsprojekte, die es auch im Westen der Bundesrepublik gibt, sind von einer Förderung von Civitas ausgeschlossen und arbeiten schon seit Jahren auf ehrenamtlicher Basis. Die Vernetzung zwischen den Projekten ist mit der Gründung des Dachverbandes agOra Anfang Juni 2002 ein ganzes Stück vorwärtsgekommen und soll eine Arbeit auch dann ermöglichen, wenn die Unterstützung durch Civitas wegfallen sollte. Für die weitere Arbeit der Opferberatungsprojekte, so teilte Rahel Krückels im Gespräch mit, streben sie an, ihre Beratungsarbeit nicht zu einem rein karitativen Anliegen verkommen zu lassen, sondern dem Rechtsextremismus und Rassismus in den Kommunen, in welchen es zu rassistischen Übergriffen und Diskriminierungen gekommen ist, entgegen zu treten. Und dazu gehöre auch die Förderung von Initiativen und Projekten, in denen Jugendliche sich für Demokratie und gegen Rassismus einsetzen. Die Kampagne: Bleiberecht für Opfer rassistischer GewaltEin Aufruf von agOraSeit ca. zwei Jahren werden rassistische Gewalttaten in der Öffentlichkeit verstärkt wahrgenommen. Der Schutz potentieller Opfer und die Wiedergutmachung entsprechender Taten sind Teil der öffentlichen Diskussion geworden. Allerdings hat die größere öffentliche Aufmerksamkeit nicht zu einem Rückgang der Anzahl entsprechender Straftaten geführt. Unter den Opfern rassistischer Gewalttaten nehmen Migrantinnen und Flüchtlinge einen besonders großen Anteil ein. Diese Menschen trifft eine solche Straftat dann besonders schwer, wenn ihr Aufenthalt in der Bundesrepublik ungesichert ist. Zu der allgemein schwierigen Lebenssituation, die aus den fehlenden sozialen Bindungen und Kontakten sowie aus der ungewissen Zukunftsperspektive resultieren, treten die physischen und psychischen Folgen einer Gewalttat. Deshalb fordern wir ein dauerhaftes Bleiberecht für Opfer rassistischer Gewalt. Dieses muss grundsätzlich unabhängig von den Folgen gewährleistet werden und darf an keine weiteren Voraussetzungen geknüpft sein. Entscheidend an der Forderung eines Bleiberechts für Opfer rassistischer Gewalt ist sein symbolischer Gehalt: die Gesellschaft bekundet ihren Willen, Verantwortung für das Unrecht zu übernehmen und der beabsichtigten Wirkung der Gewalttat, nämlich der Vertreibung, entgegenzutreten. Anstelle der versuchten Vertreibung tritt ein dauerhaft gesicherter Aufenthalt. Darin zeigt sich eine Solidarität, die Hilfe in der Not umfasst und über sie hinausgeht. Die Forderung nach einem dauerhaften Bleiberrecht für Opfer rassistischer Gewalt, ergibt sich aus drei Begründungsansätzen:
Ein Fall aus der PraxisZuarbeit von agOraAm 27. Januar 2001 wird in Suhl/Thüringen der 42jährige Vietnamese Chien von mehreren Personen aus der örtlichen rechtsextremistischen Szene zusammengeschlagen. Der Betroffene erleidet dabei so schwere Verletzungen, dass er in einem Krankenhaus stationär behandelt werden muss. Noch schlimmer als die physische Misshandlung setzt Chien das seelische Trauma zu: Bis heute leidet er an anhaltenden Kopfschmerzen, Hypertonus (Bluthochdruck) und einem Angstsyndrom. Er fürchtet sich davor, abends ohne Begleitung auf die Straße zu gehen. Chien ist nach wie vor in ärztlicher Behandlung und hat vor kurzem eine dringend notwendige Behandlung der seelischen Folgen des Angriffs begonnen. Die Meininger Ausländerbehörde schließt eine Abschiebung bis zur Beendigung der therapeutischen Behandlung aus, sein Aufenthalt gilt bis dahin als geduldet. Eine solche Duldung bedeutet jedoch lediglich, dass die Abschiebung des Betroffenen innerhalb ihres Gültigkeitszeitraumes ausgesetzt ist. Sie kann kurzfristig sowie jederzeit widerrufen werden und verleiht mithin keinen gesicherten Aufenthaltsstatus. Es steht zu befürchten, dass Chien nach Beendigung seiner Therapie abgeschoben wird. Damit wird nicht anerkannt, dass eine Genesung von einem sicheren Aufenthalt abhängt. Chien hat seinen Lebensmittelpunkt mittlerweile in Zella-Mehlis. Gerade in der jetzigen Situation als Opfer eines Gewaltangriffes müsste er den Ort, an dem er gearbeitet und über Jahre gelebt hat, verlassen. Somit käme die Ausreise unabhängig vom Zeitpunkt mit Sicherheit einer »Verlängerung« des erlebten schweren Eingriffs in Chiens Leben gleich. Seiner Arbeit als Koch kann Chien bis heute nicht wieder nachgehen. Der Verlust des Arbeitsplatzes hatte zur Folge, dass seine Duldung nicht mehr für drei Monate, sondern nur noch für je einen Monat erteilt wird. Laut Auskunft der zuständigen Ausländerbehörde ist dies ein normaler Vorgang bei nicht erwerbstätigen Flüchtlingen. Die Perspektive des Betroffenen bleibt dabei jedoch unberücksichtigt. Er bewertet die kürzeren Duldungsfristen als indirekte Schuldzuweisung für seinen gesundheitlichen Zustand. Das Gericht stellt in seinem Urteil fest, der Täter sei »mindestens dem rechten Umfeld als zugehörig anzusehen.« Bereits zuvor war er wegen mehrer einschlägiger Taten verurteilt worden. Für das Vorliegen eines rassistischen Angriffs spricht auch, dass der Betroffene aus dem Nichts heraus angegriffen wurde, es also keinen unmittelbaren Anlass für die Attacke gab. Obwohl der Betroffene von vier Angreifern berichtet, wird aber nur ein Täter wegen gefährlicher Körperverletzung verurteilt. Die anderen Täter sind bisher nicht ermittelt. Chien erstattete im April 2002 deshalb erneut Strafanzeige. Eine Ausweisung hieße zum einen, ihn seiner Möglichkeit zu berauben, einen Teil der Wiedergutmachung durch eine Verurteilung der Täter zu erfahren, zum anderen ist Chien selbst derjenige, der die Täter am ehesten identifizieren könnte. Mit seiner Ausweisung verlöre er also die Möglichkeit, selbst aktiv an der Überführung und notwendigen Verurteilung der Täter mitzuwirken. Indes steht für die Ausländerbehörde Meiningen nach wie vor fest, es liege ein öffentliches Interesse vor, den Aufenthalt von Chien möglichst unverzüglich zu beenden. Auch die Täter implizieren mit ihrer Tat, dass die betroffene Person sich hier nicht aufhalten dürfe. Sie werden sich bestärkt und als eine Art »Vollstrecker des öffentlichen Interesses« fühlen. Auch wenn es nicht in der Absicht der Behörde liegen mag, in der Konsequenz hieße eine Abschiebung das zu vollenden, was die Täter beabsichtigten: Dem Opfer wird kein Schutz gewährt, sondern er bzw. sie hat sich hier nicht aufzuhalten, sie gehören hier nicht her. Zusätzlich negiert die Ausländerbehörde als staatliche Institution jegliche Verantwortung für das Handeln seiner Staatsbürger. Die Betroffenen rassistischer Angriffe können derartiges Verwaltungshandeln nur als Missachtung gegenüber dem von ihnen erlittenen Leid verstehen. Wenn Bekenntnisse zu Zivilgesellschaft und Engagement gegen Rechts ernst genommen werden wollen, dann dürfen Chien und andere, die von Rechtsextremisten tätlich hier vertrieben werden, nicht von deutschen Institutionen ausgewiesen werden. Nächster Artikel: "Rechtsextremismus ist Konjunkturthema" |
Dossier #6: Die Kampagne von agOra -- der Arbeitsgemeinschaft der Beratungsprojekte für Opfer rassistischer, rechtsextremistischer und antisemitischer Gewalt -- setzt sich für ein uneingeschränktes Aufenthaltsrecht von Flüchtlingen, Migrantinnen und Migranten ein, die Opfer rassistisch motivierter Gewalt wurden. » Gesamtes Dossier als PDF-Datei
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Letzte Änderung: 2005-05-22 22:55:56 | info@d-a-s-h.org Impressum |