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Die Opferberatungsstelle ABAD: ein Fallbeispiel aus dem rassistischen Alltag in Thüringen
von Friedrich C. Burschel und Rahel Krückels (Projektmitarbeitende)
»Es ist ja noch gar nicht geklärt, wer da schuld war! Der Jean [Name von der Redaktion geändert] ist ja ooch so’n Stichler«, gibt die Sozialarbeiterin der Gemeinschaftsunterkunft zu bedenken. Sie redet von einem afrikanischen Bewohner in der Unterkunft, in der sie über eine Strukturanpassungsmaßnahme (SAM) Anstellung gefunden hat. Sie meint es nicht böse und doch möchte man sie anbrüllen, sie soll diese Bemerkungen unterlassen. Jean ist Ziel eines tätlichen Angriffs von Neonazis geworden. Ein betrunkener Rechter war mit Bierflasche und Messer auf den jungen Schwarzen losgegangen, hatte ihn als »Scheißneger« beschimpft und bedroht. »Was willst du, hast du ein Problem mit mir?«, hatte Jean zurück gegeben und war dem Angreifer nicht ausgewichen, sondern nur dessen gezielten Messerattacken. Zwei Begleiter des Angreifers feuerten diesen an und holten per Handy Verstärkung herbei. Kurze Zeit später kamen zehn weitere Rechte hinzu. Man kann nur ahnen, was hier geschehen wäre, hätte nicht ein beherztes deutsches Pärchen eingegriffen und Jean den Rücken zur Flucht frei gehalten. Zeugen gab es genug, der Angriff ereignete sich am helllichten Spätnachmittag unweit der Einkaufspassage, wo Jean noch rasch im Rewe-Markt etwas besorgt hatte. Überrascht war Jean nur von der Plötzlichkeit dieser Nazi-Attacke, nicht von dem Angriff als solchem, denn der politisch aktive junge Mann rechnet eigentlich ständig mit derartigen Situationen. Mit Unbehagen schildert er den Alltag in der Kleinstadt, in der zu leben er gezwungen ist. Jeder Gang in die Stadt bedeutet für ihn, von »ganz normalen« Bürgerinnen und Bürgern der Stadt beschimpft und beleidigt zu werden: »Hey Neger, geh zurück nach Afrika, wir brauchen solche wie dich hier nicht…« – »Ausländer raus, ihr nehmt uns hier die Arbeitsplätze weg….«, sind die rassistischen Anmachen, mit denen nicht nur schwarze Afrikaner, sondern alle als »nicht-deutsch« wahrgenommenen Menschen hier permanent konfrontiert sind. Er reagiert schon gar nicht mehr auf diese Respektlosigkeiten und Angriffe unterhalb der Schwelle der Tätlichkeit. |
Dossier #6: Die Kampagne von agOra -- der Arbeitsgemeinschaft der Beratungsprojekte für Opfer rassistischer, rechtsextremistischer und antisemitischer Gewalt -- setzt sich für ein uneingeschränktes Aufenthaltsrecht von Flüchtlingen, Migrantinnen und Migranten ein, die Opfer rassistisch motivierter Gewalt wurden. » Gesamtes Dossier als PDF-Datei
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Niemand der Betroffenen käme auf die Idee, Anzeige gegen die Beleidiger zu stellen. Für einen entsprechenden Vorschlag würde man vermutlich nur bitteres Gelächter ernten. »Hiermit hast Du bei der Polizei keine Chance«, sagt Jean in Französisch und deutet mit dem Finger auf seine dunkle Haut. Auch nach dem Naziangriff sieht sich Jean der üblichen entwürdigenden Behandlung durch die Polizei ausgesetzt – es spielt keine Rolle, dass er das Opfer ist. Irgendjemand hatte im Laufe des Nazi-Angriffs die Polizei gerufen, als diese zum Tatort kam und dort den Täter festnahm, war Jean schon Richtung Sammelunterkunft verschwunden. Doch da ein Schwarzer in dieser Stadt nur im »Asylantenheim« wohnen kann, »hatte« man ihn sogleich. Ohne anzuklopfen rumpelten die Polizeibeamten in Jeans schäbiges 15-Quadratmeter-Zimmer, das er sich mit einem Landsmann teilt. Sie herrschten ihn ohne den geringsten Anstand an, er solle gefälligst zur Zeugenvernehmung mitkommen. Jean nimmt auch diese Respektlosigkeit kaum mehr wahr, er ist es gewöhnt, derartig schlecht von der Polizei seines »Gastlandes« behandelt zu werden. Ständig sind dunkelhäutige Menschen auch Kontrollen und Personalienfeststellungen ausgesetzt, die mit dem Bestehen der Residenzpflicht begründet werden.(1) |
(1) siehe auch D-A-S-H Dossier #1: Bewegungsfreiheit
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Die Menschen, die in Deutschland Asyl suchen, müssen oft in den Asylbewerberheimen unter unsäglichen Bedingungen leben. Diese Unterkünfte befinden sich zumeist an Stadträndern oder in abgelegenen Gegenden und zusätzlich sind die darin lebenden Menschen in ihrer Bewegungsfreiheit auf den Landkreis, dem sie zwangsweise zugeteilt wurden, beschränkt. »Das ist der Platz, der in Deutschland normalerweise einem Hund zusteht«, ruft Jean angesichts seines winzigen Zimmers verzweifelt aus. Wenn er über seine Situation nach mehr als 3 Jahren im Asylbewerberheim spricht, klingt seine Stimme verzweifelter, als wenn es um den Neonazi-Angriff geht. Das alles kann eine Opferberaterin, ein Opferberater, können die Opferberatenden nur zur Kenntnis nehmen. Der ABAD-Mitarbeiter kommt erst mit der Meldung aus Radio Antenne Thüringen ins Spiel, wo kurz von dem »Nazi-Übergriff« berichtet wird. Mit dem Angriff tritt ein Opfer rechter Gewalt und rassistischer Diskriminierung aus der völligen gesellschaftlichen Nichtbeachtung, der Anonymität heraus. Oft genug ist eine kurze Meldung in den Medien der einzige Hinweis auf Straftaten mit einem rechten Hintergrund. Die Anlaufstelle für Betroffene rechtsextremer und rassistischer Angriffe (ABAD) berät und begleitet mit fünf Hauptamtlichen und mehreren Ehrenamtlichen (und Büros im ostthüringischen Gera und der Landeshauptstadt Erfurt) diese Betroffenen. Die Art und Weise, wie Asylsuchende in Deutschland behandelt, untergebracht, entmündigt und entrechtet, kriminalisiert und ihrer fundamentalen Grund- und Menschenrechte beraubt werden, gehören durchaus zum Aufgabenbereich des antirassistischen Projektes. Im Alltag jedoch spielt diese Lebenswirklichkeit der Flüchtlinge, Migranten und Migrantinnen nur eine untergeordnete Rolle: ABAD und auch andere Flüchtlings- und Opferberatungsstellen können froh sein, wenn sie all jene »Fälle« von offenem Rassismus, tätlichen Angriffen und verbaler Diskriminierung bearbeiten können. Selten genug geschieht es, dass derartige Vorfälle zu einer Zeitungs- oder Radiomeldung werden und oft sind das die einzigen Anhaltspunkte für die Berater und Beraterinnen. Die Betreuung Betroffener beschränkt sich in erster Linie auf die Opfer der zahlreichen rechten Angriffe. Oft geht Beratung in eine bitter nötige Betreuung über, um die meist unter Schock stehenden, in Angst versetzten oder auch resignativ-wütenden Neonazi- Opfer aus der Isolation zu holen, ihre eigenen Ressourcen wieder zu entdecken und mit ihnen individuelle Handlungsmöglichkeiten zu entwickeln. Eine dieser Handlungsformen kann zum Beispiel – gemeinsam mit einem Rechtsanwalt oder einer Anwältin – eine Nebenklage im Prozess gegen die Täter sein: Auf diese Weise kann das Opfer nicht nur als Zeuge im Gerichtssaal agieren, sondern über die Vertretung einer Nebenklage mit Anträgen und Einlassungen aktiv in das Verfahren eingreifen. Ohne Nebenklage wird häufig der rechtsextremistische Hintergrund von Tätern vor Gericht komplett ausgeblendet. Nicht selten wird versucht, dem Opfer eine Mitschuld an der Tat anzudichten, was angesichts des Alltags der Betroffenen den Hohn auf die Spitze treibt. Im Falle Jeans werden solche Versuche sicher nicht ausbleiben, da er nicht das stillhaltende Opfer ist, sondern ein Mensch, der nicht ausweicht und der sich zur Wehr setzt. Jean ist nicht nur in seinem Herkunftsland Togo politisch aktiv gewesen und dort in Schwierigkeiten geraten, weshalb ihm nun die Rückkehr dorthin verwehrt ist. In Deutschland hat er Kontakte zu den Aktivisten einer der wenigen Flüchtlingsselbstorganisationen »The Voice«, die ihren Sitz im ebenfalls thüringischen Jena haben. Diese Auseinandersetzung mit der eigenen Situation als schwarzer Asylsuchender in Deutschland hat Jean vielleicht auch vor einem Trauma durch den lebensbedrohlichen Angriff bewahrt: er hat ihn nicht so sehr überrascht wie so viele der Neonazi-Opfer. ABAD berät, begleitet und unterstützt die Betroffenen in Fragen der psychotherapeutischen Behandlung, der Nebenklage, aber auch beim Stellen von Entschädigungsanträgen, Anträgen auf Umverteilung und Prozesskostenhilfe. Manchmal ist es einfach nur wichtig, zuzuhören, das Passierte nicht in Frage zu stellen und die Sichtweise der Betroffenen zu unterstützen. Doch auch Öffentlichkeitsarbeit gehört zu den Aufgaben des jungen Projekts in Trägerschaft des Flüchtlingsrates Thüringen, nicht nur im individuellen Fall oder im Rahmen einer Prozessbeobachtung, sondern auch im Zusammenhang mit dem entwürdigenden System, in welchem Asylsuchende leben. Mehr noch, neben Asylbewerbern, als nicht-deutsch wahrgenommene Menschen und anderen Ausländern und Ausländerinnen, gehören zur ABAD-»Klientel« alle potentiell oder tatsächlich Betroffenen von Rassismus, Rechtsextremismus und Antisemitismus. Sie alle werden häufig zum Ziel von Nazi-Angriffen und auch Diskriminierungen aus der »Mitte der Gesellschaft«. Auch Behinderte, Menschen jüdischen Glaubens, Obdachlose, sozial Schwache, nicht-rechte Jugendliche, Punks, Schwule und Lesben sind davon häufig betroffen. Auch linke und alternative Jugendclubs und Treffpunkte sollen von ABAD in ihren Forderungen nach selbstbestimmten und emanzipativen Entfaltungsmöglichkeiten unterstützt und in ihrer Organisierung gefördert werden. Ein Beispiel aus Südthüringen: ABAD beriet im Frühjahr einen jungen Deutschen, der in Suhl von Nazis angegriffen worden war. In der Folge initiierte dieser gemeinsam mit ABAD ein Bündnis, welches am 26. Mai eine Demonstration mit breiter Unterstützung vor Ort organisierten. Unter anderem unterstützten Mannschaftsolympiasieger von Salt Lake City, Stefan Hocke, der Schriftsteller Landolf Scherzer und die Vizefraktionsvorsitzende der SPD im Bundestag, Ines Gleicke, das Demo-Bündnis die Aktion, an der dann auch (oder nur?) rund 250 zumeist Jugendliche teilnahmen. Ein anderes Beispiel verdeutlicht ein weiteres Arbeitsfeld: In Ostthüringen ist ABAD in Kooperation mit der dortigen Asylgruppe an einer Kampagne gegen die Lebensbedingungen der rund 300 Asylsuchenden in der Sammelunterkunft Markersdorf im Landkreis Greiz beteiligt. Dieser Landkreis umfasst das Stadtgebiet Geras fast wie ein Schraubenschlüssel. Markersdorf liegt direkt an der Stadtgrenze Geras, jedoch rund 40 Kilometer von der Kreisstadt Greiz entfernt. Trotzdem dürfen die Flüchtlinge Gera nicht betreten. Darüber hinaus sind die in Markersdorf zwangskasernierten Menschen in einen Stand maximaler Entmündigung versetzt: auf dem Heimgelände gibt es kein öffentliches Telefon, die nächste Telefonzelle ist auf Geraer Stadtgebiet rund 500 Meter entfernt. Der Weg dort hin, entlang einer Bundesstraße zwischen rasenden Autos und Leitplanken ist lebensgefährlich. Die »nicht deutsch« Aussehenden Ziel von gezielten Abfallwürfen aus Autofenstern, Beschimpfungen und Naziangriffen. Als »Krönung« lauert den Kommunikationsbedürftigen in Weissig, wo die Telefonzelle steht, die Polizei auf, um ihnen genüsslich Strafen von rund 100 Euro wegen Verletzung der Residenzpflicht aufzubrummen – und das bei 41 Euro Bargeld, die den Flüchtlingen im Monat zur Verfügung stehen. Kurz: rassistischer Alltag in Thüringen, in Deutschland. Die Rassismen der verschiedenen Bevölkerungsgruppen greifen ineinander und bilden ein feindseliges System der Erniedrigung und Entrechtung. Ein Fall für ABAD! Nächster Artikel: Interview mit Bundestagspräsident Thierse |
Letzte Änderung: 2005-05-22 22:55:56 | info@d-a-s-h.org Impressum |