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Europäische Flüchtlingsabwehr und Lagerpläne 2003 und 2004
von Cornelia Gunßer, Flüchtlingsrat Hamburg
Der Text entstand aus einem Referat, das Cornelia Gunßer am 23.9.04 in Hamburg im Rahmen der Veranstaltung »Der europäische Krieg gegen Flüchtlinge – Hintergründe und Folgen des Falls Cap Anamur« hielt Die Lagerpläne diverser europäischer Politiker und des UNHCR, die im Verlauf der Jahre 2003 und 2004 an die Öffentlichkeit gelangten und in Gremien der EU beraten wurden, sind Ausdruck einer präventiven und auch militärischen Interventionsstrategie im weltweiten Krieg gegen die Armen. Nicht zufällig entstanden die ersten europäischen Pläne für Flüchtlingslager in Kriegs- und Krisenregionen und an den Rändern der EU – damals angeregt durch die britische Regierung – zeitgleich zum Beginn des Irakkriegs. Fast ein Jahr lang gab es nur in Spezialistenkreisen eine Diskussion über solche Lagerpläne. Aber mit dem Medienrummel um den »Fall Cap Anamur« im Juli 2004 tauchten sie plötzlich wieder auf, ausgelöst durch den Vorschlag des deutschen Innenministers Schily – in eiliger Abstimmung mit seinem italienischen Amtskollegen Pisanu – »Auffanglager« für Bootsflüchtlinge in Nordafrika einzurichten. Die italienische Regierung hat inzwischen mit Libyen Geheimverhandlungen geführt und Anfang Oktober begonnen, in Italien gelandete Bootsflüchtlinge nach Libyen zurück zu verfrachten, wo sie zu ihrer Abschiebung in von Italien finanzierten libyschen Lagern untergebracht werden. Mittlerweile geben sich in Libyen Regierungsmitglieder und Wirtschaftsvertreter aller wichtigen EU-Staaten die Klappe von Ghaddafis Zelt in die Hand. Von Flüchtlingen ist allenfalls noch am Rande die Rede – vor allem geht es um Öl, Gas und andere Geschäfte. Ghaddafi meinte wohl kaum die Bewegungsfreiheit von Flüchtlingen und MigrantInnen, als er in seiner Rede zur gemeinsamen Eröffnung eines Gasprojekts mit Berlusconi am 7.10.04 sagte: »There ist no life without mobility and mobility is brought about by energy.« Bundeskanzler Schröder erklärte am 15.10.04 im deutschen Fernsehen, er sei sich mit seinem libyschen Amtskollegen einig, dass man Flüchtlingen lieber in ihren Herkunftsländern helfen, sprich: sie gemeinsam zurück verfrachten und am Herkommen hindern sollte. Lagerpläne 2003Das erste Papier des britischen Kabinetts und Innenministeriums, zynischerweise »A New Vision for Refugees« genannt, stammt vom Februar 2003 und enthielt zwei Elemente:
Modell waren die Lager in Makedonien während des Kosovokriegs, in die Flüchtlinge von Militärs verfrachtet und bewacht wurden und aus denen allenfalls eine kleine Minderheit nach festgelegten Kontingenten befristet in EU-Staaten einreisen durfte. |
Das Dossier # 12 befasst sich mit dem Zustandekommen der EU Verfassung und den Diskussionen, die sie ausgelöst hat sowie mit den Vorstellungen von einer europäischen Identität und was diese bestimmen könnte. » Gesamtes Dossier als PDF-Datei
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Als zusätzliche Variante legte Blair dann im März 2003 dem EU-Ratspräsidenten ein Konzept für sog. »Transit Processing Centres« (TPC, Transit-Verfahrens-Zentren) außerhalb der EU-Grenzen vor., in die sowohl Flüchtlinge im Transit als auch aus der EU Zurückgeschobene zur Durchführung von Asylverfahren interniert werden sollten. Insbesondere gehe es um als »manifestly unfounded« (»offensichtlich unbegründet«) abgelehnte Asylanträge, vor allem von Flüchtlingen aus bestimmten als »sicher« definierten Herkunftsländern (»white list« mit 17 Staaten), die dort widerlegen könnten, dass sie »Wirtschaftsmigranten« seien. |
(1) UNHCR-Sprecher Roland Schönbauer nach »Die Presse«, 25.5.03
(2) nach: SZ 4.6.03
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Auf einer Tagung der EU-Justiz- und Innenminister Ende März 2003 unterstützten die Niederlande, Italien und Spanien die UNHCR-Variante des britischen Konzepts, während der deutsche Innenminister Schily sich skeptisch äußerte. In einem Interview gegenüber dem »Observer« [11.5.03] sagte er bei einem Besuch in London, der britische Vorschlag werde die Zahl derjenigen, die nach Europa gelangen, eher erhöhen als reduzieren. Er stimme den Zielen zu, meine aber, diese Lager würden nicht funktionieren, sondern nur noch zusätzliche Flüchtlinge anziehen. Auf einem UNHCR-Symposium Ende Juni 2003 in Berlin betonte er demgegenüber die Wirksamkeit der deutschen Regelungen über »sichere Drittstaaten« und »sichere Herkunftsländer« und dass man doch alles tun müsse, um schon in den Herkunftsregionen Flucht zu verhindern. Schließlich hat sich die deutsche Regierung auf EU-Ebene schon immer gegen Quotenregelungen zur Aufnahme von Flüchtlingen ausgesprochen. Deutschland schafft es doch allein viel besser, Flüchtlinge fernzuhalten und abzuschieben und will sich nicht auf »Lastenteilung« mit Ländern einlassen, die (nicht zuletzt aufgrund ihrer EU-Außengrenzen) darin nicht so »effektiv« sind. Im Gegensatz zu Schilys Argumentation kritisierte die schwedische Regierung das Konzept aus rechtlichen und humanitären Gründen, ähnlich wie eine große Zahl an Flüchtlings- und Menschenrechtsorganisationen. Die EU-Kommission ging deshalb Anfang Juni offiziell auf Distanz zu den britischen Plänen und auch zum UNHCR-Konzept für die TPCs (Transit-Verfahrens-Zentren). Am 5./6.6.03 prüfte der EU-Ministerrat die Vorschläge, sowohl für die Transit-Zentren als auch für die »heimatnahen Schutzzonen«. Der Beschluss Nr. 26 auf der EU-Gipfelkonferenz Mitte Juni 2003 in Griechenland lautete wörtlich: Die EU-Konferenz fordert die EU-Kommission auf, »Mittel und Wege zu prüfen, wie die Schutzkapazität von Herkunftsländern erhöht werden kann. (…) Der Rat stellt fest, dass eine Reihe von Mitgliedsstaaten beabsichtigt, als Teil dieses Prozesses gemeinsam mit dem UNHCR die Möglichkeit für einen verbesserten Schutz der Flüchtlinge in ihrer Herkunftsregion zu prüfen.« Offiziell ließ Großbritannien seinen Vorschlag der TPCs fallen, und in den Medien wurde es meist so dargestellt, als habe die EU die britischen Vorschläge abgelehnt. Aber der EU-Gipfel gab grünes Licht für Pilotprojekte und beschloss eine 12-Monatsstudie und einen Bericht über »praktische Vorschläge«. »The idea is to bring safe havens closer to the people and their places of origin«, sagte ein EU-Kommissionssprecher zu Reportern auf dem EU-Gipfeltreffen. Das bedeutet eine klare Zustimmung zum Konzept der regionalen Verlagerung des Flüchtlingsschutzes in die Nähe der Herkunftsländer von Flüchtlingen. Nach der EU-Gipfelkonferenz 2003 gab es noch einige kleine Meldungen über geplante Transitlager für Flüchtlinge, z.B. in Kroatien und Bulgarien, wo die Regierungen diese aber dementierten, und »Regional Protection Areas«, z.B. in Kenia. Ansonsten wurde das Thema öffentlich kaum noch diskutiert. Aktuelle SituationAuswahlverfahren für Flüchtlinge außerhalb von Zufluchtsländern existieren seit längerem. Ein Weg sind so genannte Resettlement-Programme in verschiedenen Herkunftsregionen, die meist verbunden sind mit Lagern, in denen Flüchtlinge sich bei Antragsannahmestellen bestimmter Zielländer nach vorgegebenen Kriterien, z.B. beruflichen Qualifikationen, um Aufnahme bewerben können. ECRE, der europäische Flüchtlingsrat, hat einige dieser Lager, in denen Resettlement-Verfahren durchgeführt werden, untersucht, u.a. Lager für somalische Flüchtlinge in Kenia, Flüchtlingslager in der Türkei, Syrien und Jordanien. Ergebnis war, dass die Lager meist in extrem armen und durch Gewalt gefährdeten Gegenden liegen, die materielle und medizinische Versorgung nicht gewährleistet sind und es keine überprüfbaren Regeln für die Auswahlverfahren gibt. Ebenfalls schon lange gibt es die Möglichkeit über Botschaftsverfahren, d.h. das Stellen eines Asylantrags in der diplomatischen Vertretung eines Ziellands im Herkunftsland, Zugang z.B. in ein EU-Land zu bekommen. Klar ist, dass dies nur für wenige und meist prominente Einzelpersonen eine reale Möglichkeit zur Flucht ist. Wenig bekannt ist, dass die deutsche Regierung sich in der Koalitionsvereinbarung verpflichtet hat, pro Jahr bis zu 500 Menschen aus anderen Ländern aufzunehmen, wenn ihnen Verfolgung droht. Bis jetzt hat noch kein einziger Flüchtling über diesen Weg Deutschland erreicht. Die meisten anderen Lager und Verfahren, die schon bestehen, dienen eher zur Abwehr und Abschreckung von Flüchtlingen und MigrantInnen. Beispielhaft seien hier nur einige erwähnt: Die spanischen Exklaven Melilla und Ceuta in Marokko wurden erst vor weniger als zehn Jahren als Schlupflöcher nach Europa entdeckt. Deshalb wurden 1999 die alten Stacheldrahtzäune ersetzt durch drei Meter hohe Metallzäune, flutlichtbestrahlt, kamera-, mikrofon- und sensorüberwacht. Vor dem Zaun lagern Hunderte von AfrikanerInnen, und immer wieder schaffen es einige, den Zaun zu überwinden – und damit nach Europa einzureisen. Als Konsequenz wird jetzt der Zaun auf sechs Meter erhöht und die Bewachung verstärkt. In den Exklaven befinden sich Lager mit je 500 Plätzen, die immer voll sind. [Angaben nach: FR 16.8.04] |
(3) SZ 28.7.03
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Auf Sizilien und dem italienischen Festland gibt es seit 1998 Abschiebelager, ironischerweise Centri di Permanenza Temporanea (CPT) – Zentren für den zeitweiligen Aufenthalt – genannt. Die geschlossenen Zentren in Agrigent und Caltanissetta wurden durch die Inhaftierung der Flüchtlinge von der Cap Anamur auch hier bekannt. Weitere CPT gibt es z.B. in Apulien, wo sie ursprünglich zur Inhaftierung der Flüchtlinge gedacht waren, die von Albanien über die Adria nach Italien gelangten. Deren Zahl wurde durch gemeinsame Patrouillen italienischer und albanischer Spezialtruppen fast auf Null gesenkt. Im CPT Regina Pacis in San Foca, direkt am Touristenstrand gelegen und im Sommer 2003 Ziel internationaler Proteste, sind deshalb vor allem Menschen ohne Papiere interniert, die über Libyen nach Sizilien gelangt sind.(4) |
(4) Näheres zu den italienischen Lagern in dem Buch Italien. Legalisierung von Flüchtlingen – Militarisierung der Grenzen? (PDF-Datei) herausgegeben von der Forschungsgesellschaft Flucht und Migration (FFM) im Febr. 2002.
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Wenig bekannt ist bisher über Lager in nordafrikanischen Ländern. Insbesondere Italien hat jedoch in den letzten Jahren vor allem auf die Transitländer Libyen, Tunesien und Ägypten verstärkten Druck ausgeübt, um sie zu einem konsequenteren Einsatz bei der Überwachung sowohl der Küsten als auch der jeweiligen »grünen Grenzen« in der Sahara zu veranlassen. Die nordafrikanischen Länder sind dazu aber nicht ohne Gegenleistungen bereit, denn sie haben keine Mittel, die Grenzen aufzurüsten und auch wenig Interesse daran. Die Geldüberweisungen der eigenen Staatsbürger aus dem Ausland stellen eine der wichtigsten Einnahmequellen dar. Deshalb benutzt Italien als Druckmittel Einwanderungsquoten und Entwicklungshilfe. Mit Tunesien wurde z.B. im Dezember 2003 ein neues Abkommen geschlossen, das Ausrüstung und Ausbildungshilfe für Grenzkontrollen, aber auch erhöhte Einwanderungsquoten enthielt. Daraufhin beschloss das tunesische Parlament strenge Strafen für Schleuser. Es gibt in Tunesien, das zwar die Genfer Flüchtlingskonvention unterzeichnet, aber kein Asylverfahrensgesetz hat, 13 mit italienischem Geld finanzierte Abschiebehafteinrichtungen, die meisten an geheimen Orten. Ägypten bekam erst im Oktober 2002 eigene Einwanderungsquoten, als sich ein Verbindungsbeamter der italienischen Polizei in Kairo niederlassen durfte. Libyen ist nicht Auswanderungs- sondern Einwanderungs- und Transitland, deshalb galten für Italien keine Einwanderungsquoten, und aufgrund des EU-Embargos konnten keine (militärischen) Grenzschutzausrüstungen geliefert werden. All das ist jetzt anders, seit Libyen für die EU nicht mehr als »Schurkenstaat«, sondern als profitbringender Geschäftspartner gilt. Das zu analysieren, wäre einen eigenen Artikel wert. Wenig bekannt ist aber auch die Wende der libyschen Politik nach innen gegenüber Einwanderern, insbesondere aus Nigeria, Niger und Tschad sowie aus Ägypten und anderen nordafrikanischen Ländern, die lange als billige Arbeitskräfte und im Rahmen von Ghadafis »Pro Afrika« – Politik willkommen waren. Die Wende begann schon im Herbst 2000, als Zusammenstöße zwischen Libyern und anderen Afrikanern bei Tripolis zu sechs Toten führten. Viele Nigerianer wurden abgeschoben. Seit März 2004 schränkt ein Gesetz die Einwanderung ein und sieht die Ausweisung arbeitsloser Ausländer vor. Die Abzuschiebenden »wohnen« in Zelten in der Wüste, und Massenabschiebungen, z.B. nach Eritrea, begannen zeitgleich mit der Ankunft eines italienischen Beamten.(5) Im Juli wurden 100 Flüchtlinge von Libyen nach Eritrea abgeschoben, am 27.8.04 ein libysches Militärflugzeug, das 76 Eritreer abschieben sollte, in Khartoum zur Landung gebracht.(6) |
(5) Mehr zu diesen Abkommen in dem Artikel von Paolo Cuttitta, »Das diskrete Sterben«, FR 19.8.04.
(6) Meldungen aus dem Internet
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Auch Marokko hat nicht nur aus eigenem Antrieb mit Massenabschiebungen schwarzer Afrikaner begonnen – am 30.11.03 per Charterflug mit 416 Personen nach Nigeria. Von der EU bekommt Marokko über drei Jahre 40 Millionen Euro zum »Kampf gegen illegale Migration«. Parallel dazu wächst der Rassismus gegen Schwarze.(7) Das EU-Programm AENEAS soll im gesamten Mittelmeerraum »die Bereitschaft der Drittländer zum Abschluss von Rückübernahmeabkommen fördern«. |
(7) nach: taz 25.8.04, Abschiebung in die Sahara
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Es gibt jedoch auch Abschiebevereinbarungen, die aufgrund von Widerstand in den Herkunftsländern und in Europa gescheitert sind, wie z.B. das im Januar 2003 bereits unterzeichnete Abkommen zwischen der Schweiz und Senegal. Es sah vor, abgelehnte afrikanische Asylsuchende, deren Identität nicht nachgewiesen werden konnte, nach Senegal abzuschieben und sie dort auf dem Flughafen zu internieren, wo afrikanische Botschaften sich dann »ihre« Staatsbürger heraussuchen sollten. Aufgrund von Protesten von Menschenrechtsorganisationen und afrikanischer MigrantInnen, die sich gerade im Senegal aufhielten, weigerte sich das senegalesische Parlament im März 2003, das Abkommen zu verabschieden. Relativ weit entwickelt ist jedoch die Politik der Lager, Internierungen und Rückübernahmeabkommen an den neuen Ostgrenzen der EU.(8) Dies betrifft Flüchtlinge und MigrantInnen im Transit, aber auch bereits in die EU eingereiste Asylsuchende. Österreich und die drei baltischen Staaten sprachen sich vor kurzem für die Errichtung eines Aufnahmelagers für Flüchtlinge aus Tschetschenien außerhalb der EU, z.B. in der Ukraine, aus. |
(8) siehe z.B. taz 2.8.04 Im Osten werden Schilys Pläne wahr und diverse Veröffentlichungen von Helmut Dietrich von der Forschungsgesellschaft Flucht und Migration, FFM
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Lagerpläne 2004Am 19.7.04, auf dem Höhepunkt der Auseinandersetzungen um die Rettung von 37 afrikanischen Flüchtlingen im Mittelmeer durch das Schiff »Cap Anamur« der gleichnamigen Hilfsorganisation, sprach der deutsche Innenminister Schily auf einem Treffen der EU-Justizminister zum ersten Mal von der Möglichkeit, Auffanglager für Bootsflüchtlinge in Nordafrika einzurichten. »Humaner als ertrinken« nennt Schily diese Lösung. In die geplanten Lager solle eingewiesen werden, wer ohne gültiges Visum in die EU einzureisen versucht. Außerdem könnten sich Ausreisewillige direkt zu den Lagern begeben und damit die gefährliche und illegale Überfahrt nach Italien vermeiden. Bei einer Umfrage des Fernsehsenders ntv am 20.7.04 sprachen sich 76% der ZuschauerInnen für Lager in Nordafrika aus. Was für Lager das genau sein sollen und für wen, wer darin das Sagen hat und wer über ihre Einrichtung entscheidet, darüber war bisher allerdings nur in täglich anders lautenden Medienberichten die Rede. Z.B. äußerten Schily und sein italienischer Amtskollege Pisanu in einer gemeinsamen Presseerklärung am 16.8.04, es solle für auf See aufgegriffene Flüchtlinge eine Einrichtung geschaffen werden, »die außerhalb der Grenzen Europas Asylgesuche entgegennimmt und prüft« [FR 17.8.04]. Diese Institution solle dann für anerkannte Flüchtlinge eine Aufnahme in einem Drittland besorgen, in der Regel »in der Nähe ihres Heimatlandes mit Unterstützung der EU«.(9) Asyl in Europa sollten die Flüchtlinge hingegen nur auf »freiwilliger Basis der jeweiligen Staaten« erhalten. Zugleich solle außerhalb Europas eine Clearingstelle eingerichtet werden, bei der EU-Staaten ihren Bedarf an legaler Einwanderung anmelden könnten. In der SZ vom 2.8.04 wird Schily mit folgenden Vorstellungen zitiert: »Es wird dort (in Nordafrika) eine Aufnahmeeinrichtung geben und eine Institution, die aus Beamten der Asylbehörden der EU-Mitgliedsstaaten zusammengesetzt ist. Diese Behörde prüft: Haben die Flüchtlinge einen Grund nach der Genfer Flüchtlingskonvention, der einer Rückkehr ins Heimatland entgegensteht? Wenn sie keinen haben, müssen sie zurück. (…) Eine gerichtliche Kontrolle muss es nicht zwangsläufig geben. Wir sind außerhalb des Rechtsgebietes der EU.« Schily verwies immer wieder auf die in der am 29.4.04 von den EU-Innenministern beschlossenen Asylverfahrensrichtlinie verankerte Drittstaatenregelung, die auf deutschen Druck zustande kam. |
(9) Schily lt. FAZ 22.7.04
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All diese Vorstellungen hatte Schily ohne Absprache mit den anderen Regierungsmitgliedern und deren Parteien geäußert, und in den folgenden Wochen entstand darüber eine bundesdeutsche Debatte. Die Meinungen zu den Lagerplänen gingen dabei quer durch die Parteien: Der CDU-Bundestagsabgeordnete Schäuble äußerte sich gegen »Internierungslager am Rand der Sahara«, worauf Schily meinte, er habe nie von Internierungslagern gesprochen und wie Schäuble denn zu Asylbewerberheimen in Deutschland stehe? Auf Außenminister Fischers Kritik reagierte Schily mit der Behauptung, über Aufnahmelager auf Lampedusa rege sich ja auch niemand auf. CDU-Chefin Merkel befürwortete Schilys Pläne, ebenso wie die ehemalige Berliner Ausländerbeauftragte Barbara John (FDP): »Lager sind die Alternative zum Ertrinken«.(10) |
(10) FR 24.7.04
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Auch von Wohlfahrtsverbänden gab es unterschiedliche Äußerungen: DRK-Präsident Rudolf Seiters fand Schilys Idee gut und ging, laut Spiegel, in früheren Vorschlägen sogar noch weiter: Er meinte, der UNHCR solle von Staaten Territorien erwerben, wo Flüchtlinge angesiedelt werden könnten. (Das von der IOM organisierte Lager auf der Insel Nauru gab es damals noch nicht…) Caritas International, Diakonisches Werk und medico kritisierten die Lagerpläne scharf als Abschieben der Verantwortung und Ablenkung von den wirklichen Problemen. Pro Asyl sieht in Schilys Vorschlag einen »Anschlag auf den internationalen Flüchtlingsschutz«. Inzwischen werden Fakten geschaffen: Italien schiebt Flüchtlinge ohne Anhörungen und Asylprüfung von Lampedusa nach Libyen ab. Nicht nur Berlusconi und Pisanu, sondern auch Schröder und Schily verhandeln mit Ghaddafi. Es geht dabei vor allem um internationales Prestige und Geschäfte mit Öl, Gas und Aufträgen für die europäische Wirtschaft, nicht zuletzt auch die Rüstungsindustrie. Flüchtlingsabwehr ist insofern für Europa nicht nur ein politisches Interesse, sondern es wird auch daran verdient, wenn die nordafrikanischen Länder mit Patrouillenbooten und Überwachungstechnik ausgestattet werden. Ob auch Zelte oder Baumaterial für Lager geliefert werden, wie es schon durch die Medien ging, ist dann eine zweitrangige Frage. Am liebsten hätten alle Machthaber nördlich und südlich des Mittelmeers die Flüchtlinge dort, wo sie nach ihrer Meinung hingehören: in ihren Herkunftsländern. Dass hierbei bereits »Erfolge« zu verbuchen sind, berichtete z.B. die taz in einem kleinen Artikel am 21.8.04: Die Polizei in Sierra Leone habe ein Schiff mit mehr als 500 Flüchtlingen an Bord am Auslaufen Richtung Kanaren gehindert. Bei der gemeinsamen Aktion sierra leonischer, spanischer und guineischer Behörden seien der Kapitän und die Crew festgenommen worden, erklärte der Gouverneur der Kanaren. Nicht nur die Besatzung der »Cap Anamur« landete also in diesem Sommer wegen Unterstützung von Flüchtlingen hinter Gittern. Dass zumindest von dieser Organisation solche Aktionen nicht mehr unternommen werden, machte »Cap Anamur« durch die Abwahl ihres Vorsitzenden Elias Bierdel Anfang Oktober 2004 klar – ironischerweise zeitgleich zu den Massenabschiebungen von Lampedusa. Kritik und WiderstandsstrategienDie aktuellen Lagerpläne sind Ausdruck einer Zuspitzung der europäischen Flüchtlingspolitik. Lager bedeuten nicht nur menschenunwürdige und konfliktgeladene Lebensbedingungen, sondern vor allem eine Entrechtung, Stigmatisierung und Isolation der in sie eingewiesenen Menschen. Sie fördern Ausgrenzung und Rassismus gegen Menschen, die eigentlich ganz »normal« neben und mit den anderen im Land leben könnten, aber durch die Internierung als Nicht-BürgerInnen gekennzeichnet werden. Dies gilt nicht nur, aber noch verstärkt für geschlossene, exterritoriale Lager, deren Extrembeispiel Guantánamo ist. Die von Schily vorgeschlagenen EU-Lager in Nordafrika könnten auf mittlere Sicht als »sichere Drittstaaten« deklariert werden, in die Flüchtlinge, die bereits nach Europa eingereist sind, abgeschoben werden können – siehe die Debatten über die britischen Pläne im Jahr 2003. Dass auch anerkannte Flüchtlinge nicht mehr in die EU einreisen dürfen, dazu dienen die Bemühungen um »heimatnahe Schutzzonen« in den Herkunftsregionen. Am liebsten wäre den Regierenden der EU, wenn sich die Armen gar nicht mehr auf den Weg Richtung Europa machen würden – auch dazu dienen die Gespräche mit ihren korrupten Herrschern, in denen Technik und know how zur Migrationsverhinderung als »Entwicklungshilfe« verkauft werden. Flucht- und Wanderungsbewegungen nach Europa werden in EU-Dokumenten als Bedrohungsfaktoren festgeschrieben und verbunden mit dem Kampf gegen »Kriminalität« und »Terrorismus«. »Dabei hebt das europäische Migrationsregime gezielt die Unterscheidung von Vertriebenen, Flüchtlingen und MigrantInnen zugunsten konstruierter bedrohlicher ‚Migrationsströme’ auf. Einzig die kleine Schar erwünschter ArbeitsmigrantInnen kann noch auf legalem Weg nach Europa einreisen.« Die menschenrechtlich argumentierende, defensive Kritik der asyl- und flüchtlingspolitischen Organisationen greift zu kurz, »weil sie ausblendet, dass die europäische Migrationspolitik eine Facette zur Aufrechterhaltung der globalen Ungleichheitsordnung darstellt, aus der sich der Reichtum der Metropolen speist«.(11) Der Kampf für politische und soziale Rechte muss deshalb auf alle ausgedehnt werden, unabhängig von einem Flüchtlings- oder Aufenthaltsstatus. |
(11) Dirk Vogelskamp in »Krieg gegen die Armen«, Diskussionspapier Sept. 2004; Kurzversion in iz3w 280, Oktober 2004
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Die Herrschenden der europäischen Staaten, der Transit- und Herkunftsländer arbeiten bereits auf allen Ebenen zusammen. Wenn wir dagegen Widerstand aufbauen wollen, müssen auch wir uns auf internationaler Ebene vernetzen: mit Flüchtlingen hier, ihren Landsleuten »zuhause« und auf dem Weg, mit Menschenrechtsorganisationen in Europa, in Transit- und Herkunftsländern. Es geht um die Durchsetzung des Zugangs nach Europa, um den Kampf für gleiche Rechte hier und um den Widerstand gegen Abschiebungen. Letztlich geht es um politische und soziale Menschenrechte für alle. Materialien
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Letzte Änderung: 2005-05-22 22:55:56 | info@d-a-s-h.org Impressum |