Interview mit Volker Maria Hügel

Volker Maria Hügel ist Vorstandsmitglied der bundesweiten Arbeitsgemeinschaft für Flüchtlinge »Pro Asyl«. Er arbeitet in dem Projekt »Qualifizierung der Flüchtlingsberatung«, welches unter dem Dach des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes läuft. Seine Aufgabe ist die Durchführung von bundesweiten Schulungsseminaren unter anderem zum Zuwanderungsgesetz.

Das Interview führte Norbert Attermeyer. Es wurde D-A-S-H freundlicherweise von Volker Maria Hügel zur Verfügung gestellt.

Der Aufenthaltstatus ist neu geregelt worden. Hat die Veränderung Positives hervorgebracht, ist es jetzt übersichtlicher geworden oder wird davon zuviel erwartet?

Es klingt nach einer Vereinfachung. Nach dem alten Ausländergesetz, das ersetzt worden ist durch das neue Aufenthaltsgesetz, war es so, dass wir eine Aufenthaltsbewilligung hatten für Studien- und Arbeitsaufenthalte. Wir hatten die Arbeitsaufenthaltserlaubnis allgemein, insbesondere im Rahmen der zweiten und dritten Generation derjenigen, die man früher mal Gastarbeiter nannte, also der klassischen Migranten, es gab die Aufent-haltsbefugnis aus humanitären Gründen und es gab zwei Aufenthaltspapiere, die auf Dauer angelegt waren: Das war die unbefristete Aufenthaltserlaubnis und die Aufent-haltsberechtigung. Jetzt gibt es angeblich, wie Herr Schily sagt, nur noch zwei Aufent-haltstitel, was rechnerisch nicht ganz richtig ist – denn es gibt auch noch das Visum als Aufenthaltstitel, daneben gibt es die befristete Aufenthaltserlaubnis und die stets unbe-fristete Niederlassungserlaubnis. Und da steckt schon ein Problem drin, denn die An-forderungen, um in eine Niederlassungserlaubnis zu kommen, sind sehr hoch: Beispielsweise muss man 60 Monate Pflichtbeiträge in die Rentenkasse eingezahlt haben, man muss Sozialhilfe unabhängig sein, es darf kein Ausweisungsgrund geben, man muss ausreichende Deutschkenntnisse vorweisen usw. das erreichen viele aber gar nicht.

Dossier #15: Eckpunkte der Diskussion um das neue Zuwanderungsgesetz für Deutschland, "offene Grenzen", die Visa-Affäre, Einreise und Einwanderung in Europa

  1. Einreise und Zuwanderung in Deutschland
  2. Deutsche Einwanderungspolitik
    (Anna Pollmann)
  3. Das »neue« Einwanderungsgesetz
    (Doris Müller)
  4. Interview mit Volker Maria Hügel
  5. Neuregelung der jüdischen Einwanderung
    (Daniela Schmohl)
  6. »Hier geblieben – Es gibt kein Weg zurück!«
  7. The VOICE Refugee Forum in Deutschland
  8. MOV!NG ON
    (Zala T. S. Unkmeir)
  9. Weiterführende Materialien

Für ausländische Studenten hat sich doch auch was geändert?

Das ist im neuen Gesetz so, dass, wenn man erfolgreich studiert hat, frei nach dem Motto »Der Wettlauf um die besten Köpfe«, dann haben sie auch die Chance in dem erlernten Beruf auch tatsächlich eine Zustimmung zur Aufnahme von Beschäftigung durch die »Agentur für Arbeit«, ausgestellt durch die Ausländerbehörde, zu bekommen und können dann bleiben. Das ist neu, das ist gut und richtig so.

Die Dauer des rechtmäßigen Aufenthalts in Deutschland spielte doch auch eine Rolle?

Allein die Länge des Aufenthaltes zählt nach wie vor nicht. Wir haben viele Familien, insbesondere auch in Münster und im Münsterland, die sind seit 10-15 Jahren hier in Deutschland, haben aber Null Chance in den so genannten rechtmäßigen Aufenthalt zu kommen. Das ist nämlich nach dem neuem Gesetz die befristete Aufenthaltserlaubnis und diese hat sehr viele Hürden, um sie zu erreichen. Auch die Ausländerbehörden sprechen da von einer Verschärfung.

Wie sieht die Verschärfung aus?

Es ist nicht mehr zentral die Frage, gibt es ein Abschiebungshindernis, gibt es also einen Grund, dass die Ausländerbehörde die Abschiebung nicht vollstrecken kann?

In Zukunft kommt es auch auf das so genannte Ausreisehindernis neuer Prägung an. Und da sagt der Bundesinnenminister Schily ganz lapidar: Ausreisen kann ja im Prinzip jeder, auch wer krank ist, kann ausreisen. Du kannst jeden transportieren, also kommt es darauf an, das Ausreisehindernis Nummer 1 zu beseitigen und das ist in vielen Fällen die Passlosigkeit. Der Großteil der Menschen, die in der Duldung stecken, scheitert aufgrund der Passlosigkeit am Erwerb der begehrten Aufenthaltserlaubnis.

Darauf wird häufig entgegnet, dass der Pass zu meist bewusst »verloren« wurde.

Wenn dem so ist, dass jemand sich durch Unrechtshandlungen in die Lage versetzt hat, keinen Pass mehr zu haben, dann könnte man die Skepsis der Ausländerbehörden ver-stehen. Aber nicht wenn das gar nicht mehr geprüft wird. Und gar nicht mehr gefragt wird, ob man sich um einen Pass bemüht hat. Denn es gibt viele Botschaften, die stellen überhaupt keine Pässe aus. Beispielsweise die Botschaft von Serbien-Montenegro. Die ist in Bezug auf Roma sehr zurückhaltend bis hin zu unverschämt im Auftreten. Die werfen die Leute raus. Es gibt aber auch die Situation, da sagt die gleiche Botschaft, selbstver-ständlich kommen sie rein, wir stellen ihnen gerne einen Pass aus. Es ist leider nicht berechenbar, in welchen Situationen ein Pass ausgestellt wird und in welchen nicht. Und das sind Fragen, die müssten zwischen den deutschen Innen- und Außenministerien und mit den jeweiligen Herkunftsstaaten geklärt werden. Man kann diese Menschen aber nicht jahrelang in dem ausländerrechtlichen Status des geduldet seins zwischen Baum und Borke schwimmen lassen. Wir brauchen dringend eine Altfallregelung.

Was soll das sein?

Das klingt immer so schäbig, aber wir brauchen eine Regelung, dass jemand der fünf Jahre in Deutschland ist, dann die Möglichkeit auf einen rechtmäßigen Aufenthalt bekommt. Dazu gibt es im neuen Aufenthaltsgesetz keine Regelung. Bei vielen Familien handelt es sich tatsächlich um 10-15 Jahre und spätestens dann, wenn Kinder hier geboren sind, wenn Integrationsleistungen erbracht worden sind, dann finde ich es absolut hirnrissig zu sagen, geht doch nach Hause… Wo ist das für die Kinder? Die sprechen die Sprache im entsprechenden Umfang nicht. Wir haben Katastrophen-situationen beispielsweise bei den Kindern aus dem Kongo. Hier geborene Kinder werden dreimal so häufig Malaria anfällig, weil sie aufgrund des Klimas hier nicht diese Abwehr-stoffe aufgebaut haben, die sie hätten, wenn sie im Kongo aufgewachsen wären. Da setzen sich einige Gerichte darüber weg und sagen, das interessiert uns nicht, andere wiederum sagen, dass man unter diesen Umständen die Abschiebung nicht ruhigen Gewissens verantworten kann.

Das scheint aber die Kernfrage zu sein. Inwieweit haben humanitäre Fragen Raum im Aufenthaltsgesetz?

Es gibt zu diesem relativ schmalen Gesetz von 107 Paragraphen seit Mitte Dezember 04 vorläufige Anwendungshinweise aus dem Hause Schily. Diese Anwendungshinweise machen jede vernünftige Interpretation des Gesetzes kaputt. Im humanitären Bereich haben wir ohnehin schon die längsten Fristen. Nach sieben Jahren rechtmäßigen

Aufenthaltes kann ich die Niederlassungserlaubnis bekommen, aber im Rahmen des Familiennachzuges sind es fünf Jahre. Wenn man mit einem Deutschen verheiratet ist, sind es nur drei Jahre. Bei den Hochqualifizierten gibt es die Chance, dass sie sofort eine Niederlassungserlaubnis bekommen. Das ist die komplette Ökonomisierung des Ausländerrechtes. Ein Aufenthalt wird auch in Zukunft für die meisten nur noch zu erreichen sein, wenn sie für ihren Lebensunterhalt sorgen können. Wir haben parallel die Situation gerade hier in Münster, dass zig Familien aus der Arbeit herausfliegen, weil sie durch die neue Beschäftigungsverfahrensverordnung mittlerweile ein Arbeitsverbot haben.

Denn zur Aufnahme einer Arbeit braucht man eine Arbeitserlaubnis. Die könnte man zwar aus der Duldung heraus bekommen, aber dann heißt es: »Nein, weil Du hast das Ausreisehindernis selbst zu vertreten, denn Du hast ja keinen Pass.« Passlosigkeit reicht aus, um jemanden eine Arbeit zu entziehen.

In Zukunft ist die Ausländerbehörde auch zuständig für die Arbeitserlaubnis.

Wir haben jetzt dieses neue System »One Stop Government«. Also man geht zur Auslän-derbehörde und dort legt man einen Antrag vor, sofern man sich eine Stelle gesucht hat und es einen Arbeitgeber gibt, der einen nehmen will. Die Ausländerbehörde muss ihrer-seits die Agentur für Arbeit in einem internen Verwaltungsverfahren beteiligen. Wenn von der Bundesagentur die Zustimmung kommt, dann kann die Ausländerbehörde entweder ihre Zustimmung in Form der Arbeitserlaubnis geben oder sie kann selber noch prüfen, ob es Hindernisse ausländerrechtlicher Art gibt, dass dieser Mensch arbeiten darf.

Otto Schily wollte, dass Geduldete überhaupt nicht arbeiten dürfen. Und Schily hat durch die Begründung in der Beschäftigungsverfahrensverordnung seine restriktive Regelung ins Gesetz eingebracht. Und das heißt für viele Geduldete das Aus, was die Arbeit anbe-langt und das schmälert in Zukunft, wenn es mal eine Altfallregelung gibt, die Chance darunter zu fallen. Weil nur diejenigen, die eine Arbeit haben, auch eine Chance auf die Altfallregelung haben.

Warum ist das Zuwanderungsgesetz so restriktiv geworden?

Das Entscheidende für mich ist die Verzahnung von Sicherheitsaspekt und Aufenthalts-recht. Seit September 2001 ist offensichtlich im Kopf von Herrn Schily eine ganz bestimmte Drehung an einer Schraube erfolgt, die sagt, Sicherheit können wir gar nicht bieten, aber wir tun mal so, als würden wir ein Sicherheitsraster perfekter Art ins Aufenthaltsgesetz reinpacken. Das heißt, wir haben es mit tausend Überprüfungen zu tun, das mag ja alles noch hingehen, aber wir haben in diesem Gesetz eine Verordnungs-ermächtigung, eine Ermächtigung für den Innenminister, jemand unabhängig davon, ob er von Todesstrafe, von Folter bedroht ist, ob er politischer Flüchtling ist oder nicht, am Kragen zu packen und rauszuschmeißen. Gegen jedes vorhandene Recht, gegen jede Auslegung auch der Genfer Flüchtlingskommission, es ist ganz klar frei nach dem Motto, wenn Bin Laden draufsteht, wenn Kaplan draufsteht, dann geht der Rechtsstaat ganz einfach durch den Kamin. Und genau das ist mit diesem Aufenthaltsgesetz gelungen.

Was passiert mit den Menschen?

Der Mensch sitzt sofort in Abschiebehaft, kann beim Bundesverwaltungsgericht noch ein Eilverfahren anstrengen, ansonsten ist der Mensch draußen. Rechtsstaat adé und das vor dem Hintergrund einer Debatte zum Thema Terrorismus. Wobei wir noch nicht mal eine Definition haben, wo fängt der Freiheitskämpfer an, wo hört er auf? War Nelson Mandela in seiner aktiven Zeit ein Terrorist? Wie man auch zu diesen Dingen steht, es gibt keine klare Definition, es heißt nur »eine auf Tatsachen gestützte Prognose über die Gefährlich-keit«. Das ist alles, was ich brauche als Innenminister, um tätig zu werden. Das ist meines Erachtens mit einem Rechtsstaat nicht in Einklang zu bringen.

Was können sie uns zur aktuellen »Visa Affäre« sagen?

Zwei Sachen: Zum einen die Erleichterungen im Visa Verkehr finde ich generell richtig, weil es gerade auch den Familiennachzug trifft und darauf abzielte, dass die zuständigen Ausländerbehörden beteiligt werden müssen und dass derjenige, der kein Visum bekommt, eine Begründung haben muss. Was ja jetzt nicht mehr der Fall ist, man hat ja den Erlass von Vollmer zurückgezogen. Der zweite Punkt ist die Praxis mit den so genannten Reiseschutzpässen, also Papiere, die nicht weiter kontrolliert worden sind. Und so im weitesten Sinne Visumsmissbrauch ermöglichten, das ist eine Geschichte, wo ich sage, da haben viele viel zu lange hingeguckt und offensichtlich nicht aufgepasst.

Man muss das aber trennen. Weil ich fordere ja im Familiennachzug, eine liberale Visumspraxis. Zum Beispiel sind meine beiden Söhne 20 und 33. Wenn ich Ausländer wäre, hätte ich keine Chance, meine beiden Söhne hierher kommen zu lassen, weil sie nicht zu meiner Kernfamilie gehören. Das muss man sich mal vorstellen, das sind »sonstige« Familienangehörige, weil sie beide volljährig sind. Das trifft jede Migrantenfamilie hier. Bleiben wir mal bei meinem Beispiel. Die einzige Chance für mich: Ich müsste also ein Pflegefall werden. Dann müsste ich schauen, dass ich bloß keine Ehefrau oder Freundin habe, die mich pflegen könnte. Und dann müsste ich mich für einen der beiden Söhne entscheiden. Klassische Situation für Migrantenfamilien: Mama und Papa arbeiten, es sind noch zwei Kinder da, wer soll sich um die Kinder kümmern? Die Großmutter. Die Großmutter kann aber nur kommen, wenn es eine außergewöhnliche Härte ist. Wenn die Großmutter selber ein Pflegefall ist, kann sie selber nicht mehr kommen, denn wer soll sich um sie kümmern. Wenn sie noch einigermaßen gesund ist, um sich um die Kinder kümmern zu können, dann kriegt sie das Visum nicht. Es sind Regeln, die sind familienfeindlich und somit integrationsfeindlich.

Aber eigentlich sollte mit diesem Gesetz die Integration gefördert werden?

Das, was da so groß über dem Gesetz steht: »Wir wollen Integration fördern«, das ist Humbug, das ist Makulatur. Wenn ich die aufenthaltsrechtlichen Dinge nicht regele, dann kann ich über Integration schwadronieren bis zum geht nicht mehr. Dann habe ich lediglich eine Vorstellung davon: Ihr müsst brav sein, ihr müsst gut Deutsch sprechen und ihr dürft den Staat nichts kosten – dann seit ihr integriert. Das ist eine völlig falsche Vorstellung von Integration. Integration wäre die Perspektive und die Möglichkeit zur Partizipation am gesellschaftlichen Leben, wenn ich das nicht aufbaue, habe ich in dem Punkt komplett versagt.

Stichwort Hartz IV. Von der Abschaffung der Arbeitslosenhilfe sind doch auch viele Ausländer betroffen.

Das ist richtig. Bei Hartz IV, beim Arbeitslosengeld II haben wir eine Gleichschlecht-behandlung von Deutschen und privilegierten Migranten. Doch wir haben eine noch schlechtere Behandlung für Personen die unter das Asylbewerberleistungsgesetz fallen. Arbeitslosengeld II ist nicht zugänglich für Personen, die nach Paragraph 1 des Asylbewerberleistungsgesetzes definiert werden. Das sind alle Gestatteten, das sind alle Geduldeten, und zum Teil sogar nach neuer Version Zuwanderungsgesetz auch Menschen mit Daueraufenthalt und Aufenthaltsbefugnis bzw. nach dem neuem Recht einer Aufent-haltserlaubnis. Das ist unerträglich. Denn: Wenn sie gearbeitet haben, haben sie erst einmal Anspruch auf Arbeitslosengeld, erstmal. Sie werden um ihre erhöhten Ansprüche betrogen. Das ist der eine Punkt. Der andere Punkt, denn finde ich genauso dramatisch; sie sind somit auch aus jeglicher Eingliederungshilfe rausgekickt worden, somit haben sie auch keine Chance an den ersten oder zweiten Arbeitsmarkt herangeführt zu werden.

Was heißt das in Euro und Cent?

Um konkret zu sein: Wir reden von 229 Euro monatlich gegenüber 345 Euro. Das ist eine Menge Holz. Und dazu muss man noch sehen, wer dann unter die neue Kategorie fällt. Nehmen wir mal die Geduldeten, die kriegen jetzt keine Arbeitserlaubnis mehr und somit auch kein Arbeitslosengeld, weil sie dem Arbeitsmarkt nicht zur Verfügung stehen. Das heißt, sie kommen direkt aus der Arbeit, unter Umgehung der Ansprüche auf Arbeits-losengeld, in das Asylbewerberleistungsgesetz. Die Leute, die ab dem 3. Januar reihen-weise aus der Arbeit rausfliegen, die landen gar nicht erst im Arbeitslosengeld I, sondern die landen sofort im Asylbewerberleistungsgesetz, weil sie durch das Arbeitsverbot keine Zustimmung zur Aufnahme der Beschäftigung haben. Das ist ein Teufelskreis, den man nicht mehr durchbrechen kann.

Gibt’s da auch eine Begründung für?

Die Begründungen, warum man so was machen darf, sind abenteuerlich. Die reichen von, ja die Leute sollen nicht in der Lage sein, die Schlepper zu bezahlen bis hin zu, jemand, der aus einem anderen Kulturkreis kommt, hat ja auch weniger Ansprüche. Die Argu-mentation ist aberwitzig. Richtig daran ist: es hat Abschreckungsfunktion. Es soll Deutschland als Aufnahmeland für Flüchtlinge unattraktiv machen. Diese verordnete Armut oder das Leben unterhalb des Existenzminimums ist alltägliche Praxis im Flüchtlingsleben.

Der entscheidende Punkt ist; da wird ein Keil in die Solidarität der wirtschaftlich Armen getrieben. Da Hartz IV ohnehin in der Bevölkerung so viele verunsichert hat, glaube ich, dass die Betroffenen, die einen Blick für Armut haben, nicht mehr bereit sind zu schauen, wie geht es einem Flüchtling nach dem Asylbewerberleistungsgesetz. Die Art und Weise, wie Florida-Rolf öffentlich gekreuzigt worden ist von der Bild-Zeitung und RTL und daraufhin das Gesetz geändert wurde, zeigt doch deutlich, es geht einfach darum, dass diejenigen, die Kapital und Macht in dieser Gesellschaft innehaben, nichts mehr abgeben wollen. Von wegen Eigentum verpflichtet.

Es ist doch nichts einfacher als in wirtschaftlich schwierigen Zeiten neben Lohndumping, Menschen komplett von gewissen Rechten auszuschließen. Und wenn sie dann im Rahmen einer Terrorismus- oder Anti-Islam-Debatte ohnehin einen suspekten Personenkreis darstellen, dann gibt es kaum noch jemanden, der aufsteht und sagt »Halt, das dürfen wir nicht, das zerstört den Rechtsstaat in seinen Grundfesten.« Der Rechtsstaat ist mittlerweile derart unterminiert von gewissen Vorstellungen, da wundere ich mich nicht, dass am Ende in der Hierarchie des Rechtstaates dem Geduldeten, dem Asylbewerber nichts außer der emotionalen Verachtung und ein »Geh doch nach Hause« entgegenschlägt.

Allgemein wird das aber anders diskutiert. Flüchtlinge müssten sich schon bemühen sich zu integrieren. Und die Gesellschaft stellt dafür auch etwas zur Verfügung: Integrationskurse.

Wir haben eine lange Entwicklung von Einwanderung hinter uns, wobei wir uns nicht dazu bekannt haben, ein Einwanderungsland zu sein. Wir haben am Anfang gedacht, wir könnten unsere Gastarbeiter in irgendwelchen Baracken halten, ohne Kontakte zur deutschen Bevölkerung. Wir haben ihnen über 30 Jahre zu verstehen gegeben, dass sie nicht willkommen sind und wundern uns dann darüber, dass keine Integration statt-gefunden hat. Integration ist ein Prozess von zwei Seiten. Ich höre immer wieder das Standard-Argument in Talk-Shows, wie bei Sabine Christiansen: »Die wollen sich ja gar nicht integrieren.« Also wenn ich merke, jeder dritte guckt mich scheel an, ich bin einfach nicht gleichberechtigt, nicht nur ausländerrechtlich sondern auch so nicht gleichberech-tigt, warum soll ich mir dann große Mühe geben in dieser Gesellschaft? Es gibt viele, die haben die Kraft dazu. Aber vielen werden auch die Kräfte genommen mit der Art und Weise wie sie hier in der Hierarchie ganz unten angesiedelt werden. Integrationskurse werden das Problem nicht lösen. Die Integrationskurse sind ein neues Instrument der Disziplinierung. Ich bin immer für Sprachunterricht, keine Frage. Vor diesem Hintergrund, glaube ich, dass man mit Fördern und Fordern nicht weiterkommt. Die Niederlande haben es uns vorgemacht. Die hatten das WIN-Modell für Neubürger, wie man so schön sagt. Alle, die es vor Ort anwenden, sagen das taugt so nichts. Das Stundenkontingent der Sprachkurse ist nicht groß genug, die Sanktionen schüchtern die Leute ein, die einzelnen Kurs-Module sind nicht flexibel genug. Schily ist natürlich erst mal hingegangen und hat in Den Haag nachgefragt, wie das Modell läuft und genau das haben sie dann hier in Deutschland übernommen und noch mal abgespeckt. Da konnte ja nichts draus werden.

Vielen Dank Herr Hügel.

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