Rechtsextreme Einstellungen in Deutschland(1)

von Oliver Decker und Elmar Brähler

Die Erhebung

Die hier vorgestellten Ergebnisse unserer Untersuchung im Auftrag der Universität Leipzig wurden im Zeitraum von September bis Oktober 2004 mit einem Fragebogen gewonnen. Die Fragen und sechs Skalen zur Erfassung des Rechtsextremismus sollen auch künftigen Untersuchungen zur Verfügung stehen. Rechtsextremismus wurde hinsichtlich einer Einstellungs- und einer Handlungsebene unterschieden. Mit dem Fragebogen sollen nur Einstellungen erhoben werden. Für die Entwicklung der Fragen wurde die folgende Arbeitsdefinition herangezogen: »Der Rechtsextremismus ist ein Einstellungsmuster, dessen verbindendes Kennzeichen Ungleichwertigkeitsvorstellungen sind. Diese äußern sich im politischen Bereich in der Affinität zu diktatorischen Regierungsformen, chauvinistischen Einstellungen und einer Verharmlosung bzw. Rechtfertigung des Nationalsozialismus. Im sozialen Bereich sind sie gekennzeichnet durch antisemitische, fremdenfeindliche und sozialdarwinistische Einstellungen.«

Dossier #16: Über die Durchsetzung und Verbreitung rechter Einstellungen

  1. Etablierung der Rechten
  2. Rechtsextreme Einstellungen in Deutschland
    (Oliver Decker und Elmar Brähler)
  3. Konsens und Tabu
    (Bündnis gegen Rechts (bgr) Leipzig)
  4. Ein Jahr NPD im sächsischen Landtag
    (Anne Longrich & Michael Bergmann [NiP-Redaktion])
  5. Popkultur und das Label deutsch
    (Marvin Alster)
  6. Die Kampagne »Du bist Deutschland«
  7. »Schöner leben ohne Naziläden«
  8. Weitere Materialien

Rechtsextremismus wird mit diesem Fragebogen (PDF) in sechs Skalen erfasst, zu denen jeweils drei Fragen gestellt wurden.

(1) Ein ausführlicher Artikel findet sich in Aus Politik und Zeitgeschichte (APuZ 42/2005)

So werden die Probanden nach der Befürwortung einer rechtsautoritären Diktatur (beispielsweise: »Wir sollten einen Führer haben, der Deutschland zum Wohle aller mit starker Hand regiert.«), nach ihrer Zustimmung zu chauvinistischen (beispielsweise »Das oberste Ziel der deutschen Politik sollte es sein, Deutschland die Macht und Geltung zu verschaffen, die ihm zusteht.«), ausländerfeindlichen (beispielsweise: »Die Bundesrepublik ist durch die vielen Ausländer in einem gefährlichen Maß überfremdet«) und antisemitischen Aussagen (beispielsweise: »Die Juden haben einfach etwas Besonderes und Eigentümliches an sich und passen nicht so recht zu uns«) befragt. Weiterhin wurde ihre Zustimmung zu Aussagen mit sozialdarwinistischem Inhalt (beispielsweise: »Es gibt wertvolles und unwertes Leben«) und den Nationalsozialismus verharmlosenden Aussagen (beispielsweise: »Ohne Judenvernichtung würde man Hitler heute als großen Staatsmann ansehen«) erfragt. Die Befragten hatten die Möglichkeit, ihre Zustimmung bzw. Ablehnung auf einer fünfstufigen Skala auszudrücken (»stimme voll und ganz zu«, »stimme überwiegend zu«, »teils/teils«, »lehne überwiegend ab«, »lehne völlig ab«).


Die Befragung wurde im Auftrag der Universität Leipzig vom Meinungsforschungsinstitut USUMA in der gesamten Bundesrepublik durchgeführt. Die Grundgesamtheit in der von uns durchgeführten Erhebung stellte die deutschsprachige, in Privathaushalten lebende Wohnbevölkerung ab 14 Jahren dar.

Ergebnisse(2)

Fassen wir die Zustimmungswerte zu den einzelnen Fragen zusammen, sind insbesondere die zu mehr als einem Viertel hohen ausländerfeindlichen Einstellungen auffällig. Auch der Chauvinismus ist in der untersuchten repräsentativen Stichprobe sehr deutlich. Jeder zehnte Deutsche stimmt außerdem antisemitischen Aussagen ausdrücklich zu. In der Zusammenschau fällt ferner auf, dass die Werte zwischen Ost- und Westdeutschland nicht so deutlich zu unterscheiden sind. Westdeutschland zeigt sich antisemitischer und chauvinistischer, ist aber weniger sozialdarwinistisch eingestellt. Hier hat in den letzten Jahren eine Entwicklung stattgefunden, wie den Diagrammen der PDF-Version zu entnehmen ist.(3)

(2) Im Folgenden werden lediglich einzelne Ergebnisse vorgestellt und interpretiert, alle Antworten auf die einzelnen Fragen finden sich detailliert in der Studie und in diesem Artikel.
(3) Die Daten von 1994 und 1998 stammen aus: Jürgen Falter, Rechtsextremismus in Deutschland. Die Entwicklung des Einstellungs- und Verhaltenspotenzials 1994 – 2000, in: Perspektive, Nr. 7 (2000) (Landeszentrale für politische Bildung Rheinland-Pfalz), S. 7 – 27. Die Daten von 2002 und 2004 stammen aus unserer Arbeitsgruppe; für die Daten aus 2002 vgl. O. Decker/O. Niedermayer/E. Brähler

Sowohl die Zustimmung zu einer Diktatur als auch zu chauvinistischen und ausländerfeindlichen Aussagen hat seit 1994 in Ostdeutschland kontinuierlich abgenommen. In Westdeutschland stagnierten die Zustimmungswerte im selben Zeitraum oder zeigten eine geringe Zunahme. Antisemitismus scheint in beiden Landesteilen ein Sonderfall zu sein: Die Schwankung in Westdeutschland ist bei der Aussage deutlich zu verzeichnen. Während in Ostdeutschland die Zustimmung von sieben Prozent 1994 bis auf zwölf Prozent heute zunahm, »explodierte« die Zustimmung im Westen förmlich auf 31 Prozent im Jahre 2002. Dabei war das Niveau von 1994 mit 17 Prozent bereits deutlich höher als im Osten. Mit 21 Prozent ist die Zustimmung zu antisemitischen Aussagen im Westen immer noch deutlicher ausgeprägt.

Weiteren Tabellen in der PDF-Version sind die Zustimmungswerte in Abhängigkeit von Geschlecht, Erwerbsstatus und formalem Bildungsgrad zu entnehmen. In allen Skalen zeigen die Männer eine deutlich ausgeprägtere rechtsextreme Einstellung als die befragten Frauen. Dabei nähern sich die Frauen in der Ausländerfeindlichkeit den Männern an, erreichen aber auch hier nur annähernd die männlichen Zustimmungswerte. Interessant ist, dass die Zustimmung bei Arbeitslosen deutlich höher ist als bei den anderen Gruppen. Aber auch hier fallen die in allen Gruppen hohen Zustimmungswerte auf, während Befragte mit allgemeiner Hochschulreife deutlich niedrigere Zustimmungswerte zu verzeichnen haben als die Vergleichsgruppe ohne Abitur.


Auswertung

Die hohen Zustimmungswerte zu den meisten rechtsextremen Aussagen sind bemerkenswert. Die größte Zustimmung haben bundesweit ausländerfeindliche Aussagen, denen immerhin ein Viertel der Bevölkerung ausdrücklich zustimmen. Ein weiterhin großer Anteil der deutschen Bevölkerung stimmt Aussagen mit chauvinistischen Inhalten zu. Hinzu kommt die Gruppe der Personen, die angeben, den Aussagen zwar nicht zustimmen zu können, sie aber auch nicht ablehnen zu wollen: Eine Modifikation der Antworten im Sinne der sozialen Erwünschtheit kann angenommen werden. Das gilt auch für die antisemitischen Aussagen: Der Antisemitismus fällt mit zehn Prozent ausdrücklicher Zustimmung geringer aus als die Ausländerfeindlichkeit, ist jedoch mehr als ein Randphänomen.

Die Zustimmungswerte sind nicht in allen Bevölkerungsteilen gleichermaßen hoch. Auf der Ebene der einzelnen Aussagen lassen sich deutliche Unterschiede zwischen Ost und West, Geschlecht, Bildungsgrad und sozialer Lage ausmachen, aber auch Veränderungen im Antwortverhalten im Vergleich zu unserer Erhebung im Jahr 2002 sind festzustellen.

Im Ost/West-Vergleich sind noch immer deutliche Einstellungsunterschiede zu verzeichnen. Diese treten hervor, wenn viele Westdeutsche Hitler als »großen Staatsmann« sehen, den heutigen Einfluss »der Juden« als zu groß bewerten und ein starkes Nationalgefühl einfordern. Betrachten wir die Zustimmungswerte zu den Aussagen nach Skalen, sind die Unterschiede zwischen Ost- und Westdeutschland nicht mehr ganz so deutlich ausgeprägt. Der Westen zeigt sich chauvinistischer und antisemitischer als der Osten, auch in der Ausländerfeindlichkeit hat der Westen den Osten eingeholt. Als positiver Trend soll festgehalten werden, dass die Zustimmungswerte insgesamt abgenommen haben. Generell scheint der Osten nicht rechtsextremer eingestellt zu sein als Westdeutschland, wenn auch Differenzen in den einzelnen Aussagen zu erkennen sind.

Im Vergleich zur Repräsentativerhebung von 2002 lässt sich für Ostdeutschland ein Trend ausmachen: Die Zustimmungswerte zu Aussagen, dass eine Diktatur unter Umständen die bessere Staatsform sei und dass eine »Überfremdung« durch Ausländer drohe, haben abgenommen. Ähnliches gilt für die westdeutsche Zustimmung zur Forderung, »Mut zu einem starken Nationalgefühl« zu haben, sie fällt geringer aus. Am deutlichsten ist im Westen die Abnahme des Antisemitismus: Sahen 2002 noch 31 Prozent einen »großen Einfluss der Juden«, so sank die Zahl 2004 um zehn Prozentpunkte auf 21 Prozent.

Diese Abnahme kann zum einen aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass rechtsextreme und antisemitische Aussagen nach wie vor relativ hohe Zustimmung zu verzeichnen haben. Zum anderen sollten bei der Interpretation die vor zwei Jahren noch manifest geäußerten antisemitischen Aussagen von einem Drittel der westdeutschen Bevölkerung berücksichtigt werden. Die nun im Verhältnis dazu geringeren Zustimmungswerte binnen zwei Jahren können nicht beruhigen, sprechen sie doch eher für eine Latenz des Antisemitismus als für einen grundsätzlichen Einstellungswandel.

Betrachten wir Einflussfaktoren auf das Zustimmungsverhalten: Der deutliche Einfluss des Bildungsgrades auf die Zustimmung ist in bisherigen Studien bestätigt worden. Menschen mit höherem Schulabschluss stimmen rechtsextremen Aussagen seltener zu als jene, die einen niedrigeren Schulabschluss besitzen. Allerdings hat sich dieser Unterschied in der Befragung 2004 deutlich verringert. Der Anteil der Menschen mit Abitur als Schulabschluss, die den Aussagen zustimmen, hat deutlich zugenommen, insbesondere hinsichtlich der Ausländerfeindlichkeit. Frauen stimmten auch in dieser Erhebung rechtsextremen Aussagen weniger zu als Männer. Einzig bei der Ausländerfeindlichkeit liegen die Geschlechter gleichauf.

Die These, dass höhere Zustimmungswerte bei so genannten Modernisierungsverlierern anzutreffen sind, kann durch die Befragung gestützt werden. Arbeitslose haben bei allen Skalen eine deutlich rechtsextremere Einstellung als andere Bevölkerungsgruppen. Die hohe Zustimmung bei Rentnern korrespondiert mit dem Alterseffekt, den wir ausmachen konnten. Unterteilen wir die Untersuchungsgruppe in Altersgruppen, so zeigen die über 60-Jährigen die höchste Zustimmung.

Die Daten lassen in einem Punkt aufmerken: Die Zunahme rechtsextremer Einstellung in der Gruppe mit höherem Bildungsabschluss ist deutlich. Personen mit Abitur hatten bisher stabil niedrige Zustimmungswerte. Sollte sich dieser Trend in den nächsten Untersuchungen bestätigen, zeigt er Forschungsbedarf an. Bisher wurde Bildung als deutlicher Schutzfaktor gegen rechtsextreme und antisemitische Einstellungen bewertet. Sollte sich diese Annahme als falsch erweisen, gilt es, die Ursachen für diesen Einstellungswechsel aufzuklären.

Einen ersten Hinweis geben die hohen Zustimmungswerte der so genannten Modernisierungsverlierer. Die wirtschaftliche Krise und der strukturelle Umbau des Sozialstaats erfassen nun auch Schichten der Bevölkerung mit höherem Bildungsabschluss. Der bundesdeutsche Mittelstand ist von sozialen Deklassierungen bedroht, wie sie bisher in der Breite nur Angehörigen bildungsferner Schichten drohten. Sollte hier eine Ursache für die Zunahme des Rechtsextremismus zu finden sein, würde dies die These stützen, dass Rechtsextremismus und Antisemitismus stabile Einstellungsmuster sind, die bei sozialen Krisen aus der Latenz heraustreten.

Oliver Decker, Dr. phil., wissenschaftlicher Angestellter der Abteilung für Medizinische Psychologie und Medizinische Soziologie, Medizinische Fakultät der Universität Leipzig; Herausgeber der Zeitschrift »Psychoanalyse«

Elmar Brähler, Dr. rer. biol. hum. habil., Professor, Direktor der Abteilung für Medizinische Psychologie und Medizinische Soziologie, Prodekan der Medizinische Fakultät, Universität Leipzig

Weitere Literatur zur Rechtsextremismusforschung:

  • Antifaschistisches Netzwerk, Forschungsnetzwerk Frauen und Rechtsextremismus (Hrsg.), Braune Schwestern – Feministische Analysen der extremen Rechten, Münster 2005
  • Bernd Six, Autoritarismusforschung. Zwischen Tradition und Emanzipation, in: Gruppendynamik, 28 (1997), S. 223 – 238.
  • Birgit Rommelspacher, Das Geschlechterverhältnis im Rechtsextremismus, in: W. Schubarth/ R.Stöss (Hrsg.) (Anm. 3), S. 199 – 219
  • Jürgen Winkler/Hans-Gerd Jaschke/Jürgen W. Falter, Stand und Perspektiven der Forschung, in: J. W. Falter/H.-G. Jaschke/J. R. Winkler (Hrsg.), Rechtsextremismus. Ergebnisse und Perspektiven der Forschung, Opladen 1996, S. 9 – 21.
  • M. Fuchs, Rechtsextremismus von Jugendlichen. Zur Erklärungskraft verschiedener theoretischer Konzepte, in: Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie, 55 (2003), S. 654 – 678.
  • Michael Schwandt, Subjektkonstitution und politische Praxis. Die Stellung der Psychoanalyse in der Kritischen Theorie, in: ebd., S. 98 – 114.
  • Oliver Decker, Autoritarismus und Persönlichkeit, in: Texte aus dem Colloquium Psychoanalyse, 5 (1999), S. 115 – 129
  • Oliver Decker/Elmar Brähler, Antisemitische und autoritäre Einstellungen im vereinten Deutschland, in: Psychosozial, 23 (2000) 2, S. 31 – 38;
  • Oliver Decker/Oskar Niedermayer/Elmar Brähler, Rechtsextreme Einstellungen in Deutschland, in: Zeitschrift für Psychotraumatologie und Psychologische Medizin, 1 (2003), S. 65 – 77.]
  • Renate Bitzan, Selbstbilder rechter Frauen. Zwischen Antisexismus und völkischem Denken, Tübingen 2000.
  • Theodor W. Adorno/Else Frenkel-Brunswik/Daniel J. Levinson/R. Nevitt Sanford, The Authoritarian Personality, New York 1950.
  • Wilfried Schubarth/Richard Stöss (Hrsg.), Rechtsextremismus in der Bundesrepublik Deutschland. Eine Bilanz, Berlin 2000
  • Wilhelm Heitmeyer (Hrsg.), Was treibt die Gesellschaft auseinander? Bundesrepublik Deutschland: Auf dem Weg von der Konsens- zur Konfliktgesellschaft, Frankfurt/M. 1994.

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