Popkultur und das Label deutsch. Über die Nationalisierung der Popkultur

von Marvin Alster

Auch die so genannte gesellschaftliche Mitte ist durchzogen von autoritären Denkmustern, die Anknüpfungspunkte für so genanntes rechtes Gedankengut bieten. In verschiedenen Fragen scheint gar ein Konsens zu bestehen, der sich im »rechten« Denken und Handeln radikalisiert ausdrückt. Am Beispiel der Nationalisierung von Popkultur soll im Folgenden aufgezeigt werden wie sich Nationalismus als »rechte« Idee verändert und sich als breiter gesellschaftlicher Konsens formuliert.

Dossier #16: Über die Durchsetzung und Verbreitung rechter Einstellungen

  1. Etablierung der Rechten
  2. Rechtsextreme Einstellungen in Deutschland
    (Oliver Decker und Elmar Brähler)
  3. Konsens und Tabu
    (Bündnis gegen Rechts (bgr) Leipzig)
  4. Ein Jahr NPD im sächsischen Landtag
    (Anne Longrich & Michael Bergmann [NiP-Redaktion])
  5. Popkultur und das Label deutsch
    (Marvin Alster)
  6. Die Kampagne »Du bist Deutschland«
  7. »Schöner leben ohne Naziläden«
  8. Weitere Materialien

Mit Blick auf die gegenwärtige Popkulturszene wird deutlich, dass »rechte« Künstlerinnen und Künstler eine marginale Rolle spielen. Klassisch rechte Motive wie Rassismus, Nationalchauvinismus, offener Antisemitismus und Fremdenhass finden deutlichen und berechtigten Widerspruch.(1) Schon weniger Gegenrede ist im Bezug auf sexistische, antiamerikanische(2) oder modernisiert nationalistische Inhalte zu vernehmen.

So gilt die Rede vom »Stolz auf das eigene Land« oder das unverkrampfte, offensive Bekenntnis zur eigenen Nation in ihrer modernisierten, poppigen Variante längst nicht mehr als rechte Domäne. Es scheint als wurde jegliche Selbstbeschränkung in puncto Nationalismus aufgegeben.

Die Versuche, den sich zu weiten Teilen als universalistisch bis links/alternativ verstehenden Teil der Poplandschaft mit der Pose des Nationalen auszustatten, sind nicht neu. Bis Ende der 1990er Jahre(3) folgte sie in der Regel codiert als Standortdiskussion mit nationalökonomischen Argumenten. Mit Samplern wie »Krauts with Attitude«, »Wo ist zu Hause Mama« oder die Debatte 1994 um eine Quotenreglung für deutsche Musik im Radio, wurde an authentischen Produktionen der Popkulturnation Deutschland gebastelt. Auf diesem Weg wurde zugleich der kosmopolitisch und westlich geprägte Popbegriff unterhöhlt, indem die Nation als verbindende und sinnstiftende Klammer im popkulturellen Kontext hoffähig wurde. Popkultur als Modell, welches traditionellen Wertevorstellungen und Kategorien wie Nation und Volk eine selbst gewählte popkulturelle Identität entgegen setzte, wandelte sich.(4) Mit der Aufgabe dieses Subversionsmodells Pop brach zugleich ein ideelles Referenzsystem weg. Roger Behrens schreibt in diesem Zusammenhang: »Wenn es stimmt, dass die Szene sozusagen insgesamt immer schon nicht anders strukturiert war als ein gesellschaftlicher Mainstream, dann verwundert es mich nicht, dass – wenn dann Referenzsysteme weg brechen – das Naheliegendste genommen wird und man sich vom Prinzip her genau da einklinkt, wo auch die offizielle Gesellschaft schon gelandet ist. Und, es wundert mich dann aber auch nicht, dass genau das noch einmal affirmativ verstärkt wird und aus der Deutschland-Fahne eine Mode gemacht wird.«(5)

Spätestens Ende der 1990er Jahre hat der Nationalisierungsdiskurs also die Ebene der reinen Standortlogik übertroffen. Vielmehr rückte deutsche Kultur wieder als sinnstiftender Kitt der Nation, in der Tradition der großen Dichter und Denker, in den Fokus.

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Dies galt nicht nur für Popmusik, sondern in ähnlicher Weise auch für die Bereiche Film, Musikjournalismus, Mode und bildende Kunst. Bis dahin war es vornehmlich dem klassisch konservativen bis rechten Lager – von Vereinigungen wie dem »Verein Deutsche Sprache« (VDS) bis hin zu Neonazis wie der NPD – vorbehalten den »Kulturkampf« aufzunehmen. Jedoch entwickelte sich das popkulturelle Deutschland so rasant, dass Künstler/innen wie Sönke Wortmann, Mia, Heppner und van Dyk diesem im Streit um eine zeitgemäße nationale Identität den Rang abliefen.

Im Schatten der großen Erfolge deutsch-nationaler Popkultur konstatierte beispielsweise das NPD-Hausblatt »Deutsche Stimme«, dass »von keinem nennenswerten Einfluss einer Neuen Rechten, oder der nationalen Opposition auf die Popkultur die Rede sein«(6) könne. Den braucht es auch nicht, denn deutsche Identität im kulturellen Gewand, das Besingen des kollektiven Wir(7) ist über alle Sparten- und Szenegrenzen hinweg »en vogue« und erfährt bislang ungekannten Zulauf. Dabei gilt das Nationale als authentische Essenz des Kulturellen gegenüber der Verflachung popkultureller Produkte und als Rettungsanker der »eigenen kulturellen Identität« wider der empfundenen »kulturellen Überfremdung«.(8)

(1) Damit soll an dieser Stelle nicht die z.T. bedeutende Rolle von Musik mit nazistischen Inhalten bei der Stiftung einer rechten Identität und der Gestaltung einer rechten Alltagskultur verharmlost werden. Ebenso spielt Musik mit nazistischen Inhalten eine wichtige finanzielle Rolle beim Aufbau rechter Strukturen (Läden, Versände, Kameradschaften)
(2) Als Antiamerikanismus wird ein dem Antisemitismus strukturell nahe stehendes Ressentiment insbesondere gegenüber den USA bezeichnet. Dan Diner belegt in seinem Buch Feindbild Amerika (Besprechung des bnr (Propyläen) dessen bis in die Romantik zurückreichende Wurzeln. Nathan Sznaider beschreibt die strukturellen Zusammenhänge von Anti-Amerikanismus und Antisemitismus gut in seinem Aufsatz »Holocausterinnerung und Terror im globalen Zeitalter«
(3) Die Zeit vor der Wiedervereinigung soll an dieser Stelle ausgespart bleiben, wenngleich es sicher wichtig ist die Parallelen und Unterschiede etwa zur »Neuen deutschen Welle« zu diskutieren.
(4) In dem Buch »Mainstream der Minderheiten« wird die notwendige Abkehr vom sog. Subversionsmodell Pop aus linker Perspektive diskutiert. Das Versprechen per selbst gewählter Pop-Identität die gesellschaftlichen Zustände zu kippen, scheiterte demnach an der Integrationskraft des Spätkapitalismus jedem Protestpotential die richtige Popkultur zum austoben verkaufen zu können. Tom Holert/ Mark Terkessidis (Hg.): Mainstream der Minderheiten. Pop in der Kontrollgesellschaft, Berlin 1996.
(5) Roger Behrens (Autor und Dozent Weimar, Hamburg) in einem Interview mit dem Kulturzentrum Conne Island Leipzig und dem Beatpunk Webzine. Das Interview zum nachlesen
(6) Chiffren nationaler Normalisierung. Neues deutsches Kultur- und Selbstbewusstsein in der Popmusik alarmiert linke Kulturwächter, Deutsche Stimme, 23. Januar 2004.
(7) »Wir sind Wir« von Heppner und van Dyke
(8) Johannes Willms, Eine Quote für Deutschlands Pop, Süddeutsche Zeitung, 9. September 2004

Offensichtlich war es nun auch für sich selbst als links oder alternativ verstehende Künstler/innen möglich sich unter dem Begriff »Generation Deutsch«(9) subsumieren zu lassen. Neben dem unkritischen Umgang wurde wie im Falle der Band MIA oder dem Künstler Xavier Naidoo nun sogar offensiv dazu aufgerufen sich der Selbstbeschränkungen zu entledigen und stolz auf das eigene Land zu sein. Traten MIA noch ein Jahr zuvor auf der linken sog. revolutionären 1. Mai Demonstration in Berlin auf, artikulierten sie 2002 den Stolz aufs eigene Vaterland und die angebliche moralische Größe Deutschlands. Im Gegensatz zu nazistischer Musik erfolgte dieser Bezug ohne rassistische oder revisionistische(10) Untertöne und war damit Ausdruck eines gewandelten Verständnisses der Nation Deutschland. Dieser modernisierte Nationalismus entspricht einem Paradigmenwechsel, eingeleitet spätestens durch die Rot/Grüne Bundesregierung. Ein wichtiges Element war dabei die Wandlung des Geschichtsbildes und ein sich daraus ergebendes neues Auftreten Deutschlands.

(9) Titel eines Musiksamplers
(10) Revisionistisch meint in diesem Zusammenhang den rechtskonservativen Reflex die Verbrechen des Nationalsozialismus zu verleugnen und zu verharmlosen.

Im Gegensatz zur rechtskonservativen Leugnung und Verharmlosung des nationalsozialistischen Deutschlands trat nun die formelle Anerkennung einer nationalsozialistischen Schuld. Hannes Heer schreibt in diesem Zusammenhang jedoch zugleich vom »Verschwinden der Täter«, denn individuell fühlt sich noch heute der größte Teil der Deutschen als Opfer wahlweise der Alliierten oder von Hitler und für die meisten jungen Erwachsenen gilt noch heute »Mein Opa war kein Nazi«. Zugleich öffnete dieser neue Zugang zur Geschichte die Möglichkeit der offensiven Auseinandersetzung mit den deutschen Opfern des Zweiten Weltkrieges. Damit sind jedoch nicht die Juden, Kommunisten, Sozialdemokraten, Homosexuellen oder Sinti und Roma deutscher Staatsbürgerschaft gemeint, sondern in erster Linie die sog. Zivilbevölkerung. Unter den Schlagworten Bombenkrieg, Flucht und Vertreibung und Enteignung werden den Opfern der Deutschen die »eigenen« Opfer gegenübergestellt. Im Angesicht dieser ohne Zweifel leidvollen, individuellen Geschichten gerät das Wissen um die breite Zustimmung der Deutschen zum Nationalsozialismus und den Nürnberger Gesetzen, um die Verbrechen der Wehrmacht oder den verbissenen Glauben an den Endsieg in den Hintergrund. Bis auf Hitler und seine engste Gefolgschaft sind alle Opfer und das Jahr 1945 die Stunde Null.


Popkulturell wird dieses Verständnis von Geschichte in Filmen und Liedern wie »Der Untergang« von Bernd Eichinger oder »Wir sind Wir« von Heppner und van Dyke, beide inzwischen zur Verwendung im Schulunterricht empfohlen.

Es wird deutlich dass Popkultur nicht anders strukturiert ist als der gesellschaftliche Mainstream. Sie spiegelt die gesellschaftlichen Diskurse um Heimat, Volk und Nation wider und ist zugleich Austragungsort eben jener.

Pop verhandelt Deutschland dabei jedoch zumeist nicht als eine konkrete gesellschaftliche Realität, sondern als Mythos, als etwas Irrationales, Gefühlsmäßiges, dem man sich selbst nicht gegenüberstellt, sondern mit dem man sich einfach nur zu identifizieren hat. Deutschland erscheint fälschlicherweise als etwas, das außerhalb von politischer Sphäre und Zeit existiert, es steht scheinbar über den veränderbaren Dingen. Anhand von willkürlich gewählten Versatzstücken wird sich der positive Bezug auf die Nation dabei herbeikonstruiert. Die gemeinsame »Heimat«, eigentlich ein bloßer Zufall, wird so gehörig mystifiziert und als Schicksalsgemeinschaft, als ewiger Wert oder als für den Einzelnen und die Einzelne unüberwindbarer kultureller Rahmen präsentiert. Dass dazu kein Wortsalat zu krude und Logik völlig überflüssig ist, zeigt das Manifest der Kampagne Du bist Deutschland: »Wir sind 82 Millionen. Machen wir uns die Hände schmutzig. Du bist die Hand. Du bist 82 Millionen. Du bist Deutschland.« steht dort allen Ernstes. Und an anderer Stelle: »Behandle dein Land doch einfach wie einen guten Freund. Hilf Ihm auf«. Diese obskuren Beschwörungen verschleiern nicht nur ihre Ursachen, sondern auch das, was ist. »Dein Land« ist nicht »ein guter Freund«. Es ist ein Staat und kein friedlicher und freiwilliger Zusammenschluss. Seine Aufgabe es ist, eine selbstzweckhafte, krisenhafte, ökonomische Ordnung aufrecht zu erhalten, um derentwillen unzählige Menschen erniedrigt, gequält und getötet werden. Volk, Heimat und Nation sind keine Naturnotwendigkeiten, sondern Ergebnisse und Instanzen eines langen historischen – das heißt gesellschaftlichen – Prozesses, in dessen Folge sich zahllose Grausamkeiten und Katastrophen ereignet haben.


Der gegenwärtige popkulturelle Bezug auf Deutschland entspricht einem gesamtgesellschaftlichen Phänomen. Neben der Wandlung im Selbstbild der Nation und dem Wegbrechen linker Kritik an ihr, spielt die sich zuspitzende ökonomische Krise eine bedeutende Rolle. Gottfried Mergner schrieb in diesem Zusammenhang: »Unter den Bedingungen der irreversiblen, weltweiten Ausbreitung der modernen Staatlichkeit (Bürokratie) und Industrie verwandeln sich vor allem in politischen und ökonomischen Krisen kulturelle Gemeinsamkeiten zu Herrschaftsmitteln.«(11) Konfrontiert mit Globalisierung und der Zuspitzung sozialer Verhältnisse werden Staat und Nation zu entscheidenden Akteuren.

(11) Mergner, Gottfried: Dominanz Gewalt und Widerstand – Fragmente und Brüche europäischer Mentalitätsgeschichte, Ausgewählte Schriften Band 1, hrsg. v. Thomas Geisen, Hamburg 1998

Eine wirksame Intervention gegen die beschriebene Renationalisierung kann sich daher nicht reinweg auf dem popkulturellen Feld bewegen. Sie muss vielmehr anerkennen, dass es einer sozialen und gesellschaftlichen Veränderung bedürfte um Nationalismus wirksam zu begegnen. Dennoch ist es wichtig gerade auch die Protagonisten des modernen und klassischen Pop-Nationalismus mit Kritik zu konfrontieren. Diesen Ansatz verfolgt beispielsweise die Initiative »I can’t relax in Deutschland«. Deren Anstoß, sich nicht bereitwillig zu deutschem Kulturgut machen zu lassen und das eigene Schaffen in den Dienst Deutschlands zu stellen, folgte eine ganze Reihe von Künstlern/innen. Zusammengefasst auf einem Sampler und begleitet durch ein Buch wurde eine kritische Position in der gegenwärtigen Debatte um Renationalisierung der Popkultur formuliert wie sie bis dato nur randständig wahrnehmbar war. Dass dieser Sampler sich am besten im Regal »Deutschpop« diverser Discounter verkauft, ist Teil des Problems.

Marvin Alster ist Mitglied der Samplercrew I can’t relax in Deutschland

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