Ein Jahr NPD im sächsischen Landtag

von Anne Longrich & Michael Bergmann [NiP-Redaktion]

»leichsenring, dr. müller, menzel und apfel sehr wohl nationalsozialisten«

Die Hauptfiguren der sächsischen NPD-Fraktion halten trotz ihrer Delegation ins Parlament an ihrer antidemokratischen Position fest, so jedenfalls lautete die Einschätzung eines Ex-Mitglieds der militanten Skinheads Sächsische Schweiz (SSS) und heutigem LT(1)-Mitarbeiter.

Wie haben die 12 MdLs(2) in einem Jahr Arbeit im Landtag ihre Ideologie umgesetzt?

Protagonisten der Fraktion

Der bekannteste NPD-Abgeordnete ist der Fraktionsvorsitzende Holger Apfel, selbsternannter »Parteisoldat« mit Funktionärs-Bilderbuchkarriere. Auf dem Landeskongress der NPD-Jugendorganisation JN(3) ließ Apfel 1998 verlauten: »Als Vorbilder für die JN zählen einzig und allein die Wehrmacht und die Soldaten der Waffen-SS!« Holger Apfel tritt immer genau dann an das Rednerpult, wenn die Thematik dem ordinären NPD-Populismus dienlich sein könnte. Er bevorzugt in seinen Reden und Anfragen plakative und populistische Ausdrucksweisen, ohne wirklich auf eine sachliche Argumentationslinie aufzubauen.

Dossier #16: Über die Durchsetzung und Verbreitung rechter Einstellungen

  1. Etablierung der Rechten
  2. Rechtsextreme Einstellungen in Deutschland
    (Oliver Decker und Elmar Brähler)
  3. Konsens und Tabu
    (Bündnis gegen Rechts (bgr) Leipzig)
  4. Ein Jahr NPD im sächsischen Landtag
    (Anne Longrich & Michael Bergmann [NiP-Redaktion])
  5. Popkultur und das Label deutsch
    (Marvin Alster)
  6. Die Kampagne »Du bist Deutschland«
  7. »Schöner leben ohne Naziläden«
  8. Weitere Materialien

Keiner der NPD-Abgeordneten ist so fest in den örtlichen Strukturen seiner Herkunftsregion verwurzelt, wie der Fahrschullehrer Uwe Leichsenring aus der Sächsischen Schweiz. Er kann auf eine breite Basis von StammwählerInnen bauen und verfügt darüber hinaus über hervorragende Kontakte zum Personenumfeld der verbotenen, gewalttätigen Neonazikameradschaft SSS. Uwe Leichsenring bedankte sich nach der letzten Bundestagswahl schriftlich bei »den Kameraden der SSS und der SSS/AO für die hervorragende Absicherung unserer Veranstaltungen und Infotische.« Er ist in der Fraktion dafür verantwortlich die hauptsächlichen Anfragen und Reden zum Thema Linksextremismus zu stellen und dabei die NPD als Hüter von Gesetz und Ordnung in Szene zu setzen.

(1) Abkürzung für Landtag
(2) Abkürzung für Mitglied des Landtags
(3) Junge Nationaldemokraten

Leichsenring ist derjenige NPD-Abgeordnete, welcher am besten mit den zur Verfügung stehenden parlamentarischen Mitteln umgehen kann und diese durch einen übermäßigen Gebrauch vollkommen ausschöpft. Der Abgeordnete Jürgen W. Gansel gefällt sich in der Rolle als Theoretiker der Fraktion im »Kampf gegen die Schuldknechtschaft des deutschen Volkes und für die historische Wahrheit« für welche er auch schon mal die geschichtlichen Tatsachen verdreht. Das »Sorgenkind« der NPD-Fraktion ist der 65jährige Klaus Jürgen Menzel, der von seinen Fraktionskollegen sogar mit physischer Gewalt davon abgehalten wird, an das Rednerpult des Landtages zu treten, so geschehen z.B. in der Sitzung am 22.06.05.

Damit die Landtagsabgeordneten der NPD sich in ihrem parlamentarischen Agieren nicht blamieren, steht ihnen ein ganzer Stab von »neu-rechten« Intellektuellen als MitarbeiterInnen zur Seite. Dieser MitarbeiterInnenstab setzt sich aus zahlreichen langjährigen Funktionären und Theoretikern der rechtsextremen Szene aus dem gesamten Bundesgebiet zusammen. Andererseits verdienen auch Personen mit guten Kontakten zur gewaltbereiten, militanten Neonaziszene ordentliche Gehälter im Landtag.A}


»Volksbewegung« zur »Volksgemeinschaft«

Unter dem Slogan »Volksfront von rechts« arbeitet die NPD vor allem seit der Landtagswahl 2004 intensiver an einer Konzentration aller neonazistischen Kräfte. Nachdem Kader aus der Freien Kameradschaftsszene der NPD beigetreten sind, versucht diese auch die Radikalität der außerparlamentarischen Opposition ins Parlament zu tragen.

Drei zentrale Felder der Kooperation sind auszumachen: Beim politischen Auftreten in der Öffentlichkeit (Kundgebungen und Demonstrationen), bei internen Veranstaltungen (Vorträge und Konzerte) so wie bei der Ausschöpfung parlamentarischer Ressourcen (Immunität, Auskunftsrechte und Möglichkeiten der Öffentlichkeitsarbeit).

Zu erst einmal sind die Demonstrationen zu nennen. Beispielsweise am 1. Mai 2004 und 8. Mai 2005 in Berlin, die Gedenkdemos für den Hitlerstellvertreter Heß in Wunsiedel oder die Aufmärsche zum 13. Februar in Dresden. Diese Veranstaltungen wurden gemeinsam organisiert; die NPD bezieht daraus den Vorteil bei den Aufmärschen auf ein relativ großes Potential zurückgreifen zu können, die »Freien Kräfte« dagegen haben überhaupt die Möglichkeit, legal zu demonstrieren. Wichtig für das Verhältnis der »Freien Kräfte« zur NPD ist, dass die NPD den legalen Rahmen für Rechts-Rock (bzw. Hatecore) – Konzerte schaffen kann. So wurde z.B. im Dezember 2005 ein Konzert in Oderwitz oder in der Vergangenheit mehrere Konzerte in Mücka von der NPD organisiert. Mit dem Neuerwerb der JN-Immobilie in Oderwitz reagiert die NPD auf die zwangsweise Schließung ihrer berüchtigten Stammlokalität, der Diskothek »Wodan« in Mücka.

Letztendlich werden »Freie Kräfte« durch Mitglieder des Landtages unterstützt. Im Landtag wurden die Freien Kameradschaften von den MdLs durch kleine Anfragen zu den Themen »Durchführung und Auflösung von Skinheadkonzerten in Sachsen«, »Rechtskraft des Verbots der SSS« und »Linksextremismus in Sachsen« unterstützt. Zwei MdLs der NPD treten besonders hervor, nämlich Klaus Menzel und Uwe Leichsenring. Klaus Menzel fällt immer wieder auf indem er die KameradInnen beim Stören von zivilgesellschaftlichen, bzw. antifaschistischen Veranstaltungen begleitet. So versuchte er auch am 16. 6. 2005 eine Veranstaltung der Initiative »Bürger.Courage« zu »Strategien rechtsextremistischer Organisationen« zu {A http://nip.systemli.org/Article48.html stören. Uwe Leichsenring tritt nicht öffentlich mit militanten Neonazis auf, verfügt aber über Kontakte zur SSS und unterstützt diese in erster Linie logistisch. NPD und die Kameradschaften sind sich allerdings uneinig darüber, wer welche Rolle in der »Bewegung« spielt. Neonazis sehen die NPD eher als parlamentarischen Flügel, der sich einzufügen bzw. den langfristigen Zielen der »Bewegung« unterzuordnen hat. Dagegen dürfte die NPD die »Freien Kräfte« eher als Vorfeldorganisation verstehen.

1 Jahr NPD im Landtag

Der Landtag als demokratische Institution wird von der NPD abgelehnt, meist mit der dumpfen Drohung, es wäre nichts mehr wie bisher, wenn man erst einmal die Mehrheit stelle. Sehr eingeschränkt diskursfähig wirft die NPD-Fraktion hauptsächlich mit Kleinen und Grossen Anfragen um sich, nutzt die Möglichkeit, eine aktuelle Debatte anzuzetteln, vollständig aus, wenn dies nicht genügt, bedient sie sich der eigentlich außerordentlich Dringlichen Anträge. In diesem Punkt kann man eine Kontinuität in allen Landtagssitzungen beobachten. Seit der Konstitution des sächsischen Landtages fand keine Sitzungswoche statt, in welcher nicht mindestens ein von der NPD initiierter Tagesordnungspunkt diskutiert werden musste.

Die Themen, die über die NPD-Schwerpunkte Ausländerhass, das Feindbild Linksextremismus, und von Hartz IV Benachteiligten hinausgehen, betreffen meist das lokale WählerInnenklientel der Abgeordneten. Sie betätigen sich als »SpezialistInnen« in den Bereichen ihrer beruflichen Kenntnisse. MdLs ohne eigentliches Fachgebiet spezialisieren sich auf die Programmatik der NPD: Mirko Schmidt und Winfried Petzold agitieren gegen MigrantInnen und interkulturellen Austausch. Kurz vor dem Jahrestag der Bombardierung Dresdens im 2. Weltkrieg drängte sich die NPD mit einem dringlichen Antrag zu den »anglo-amerikanischen Terrorangriffen« ins Scheinwerferlicht und verhöhnte mit ihren geschichtsrevisionistischen Parolen vom »Bomben-Holocaust« die Opfer des Nationalsozialismus. Mit dem demonstrativen Verlassen des Landtages während einer Schweigeminute anlässlich des Jahrestages der Befreiung des Vernichtungslagers Auschwitz (Holocaust-Gedenktag) unterstrich die NPD ihre menschenverachtende Einstellung. Dass diese offensiven Strategien der NPD nicht immer zu einem Erfolg für die Neonazis werden, bekam man bei der von den Rechtsradikalen initiierten aktuellen Debatte »Grenzen dicht für Lohndrücker« am 18.05.05 auf eindrucksvolle Weise vorgeführt. Da die Herstellung der parteieigenen NPD-Zeitung »Deutsche Stimme« in Polen und Litauen durch andere Fraktionen thematisiert wurde, endete die Sitzung in einem politischen Fiasko für die Neonazis. Die NPD-Abgeordneten sind zwar in jedem Ausschuss vertreten, fallen jedoch nur durch die regelmäßige Stille zwischen ihren dogmatischen Auftakt- und Abschlussstatements auf.

Einige der spezifischen neuen Möglichkeiten als LT-Fraktion kann die NPD bis jetzt nicht nutzen: Die Gründung einer NPD-Stiftung aus Landesmitteln wurde abgelehnt, Gansels Sitz in der Landeszentrale für politische Bildung bleibt aufgrund der paritätischen Verteilung nahezu bedeutungslos. Trotzdem scheint die NPD getreu ihren Slogan »Heute Dresden, morgen Deutschland« neben den Fraktionsräumen im Dresdner Landtag auch die Arbeitsplattform der Bundespartei in die Riesaer Verlagsgebäude des Parteiorgans »Deutsche Stimme« verlegt zu haben. Nicht zuletzt auch durch ihre zahlreichen Mandate in den sächsischen Kommunalparlamenten verfügt die NPD in Sachsen über eine feste Verankerung in der Landespolitik, welche sie stetig versucht auszubauen. Wenn keine permanente kritische Auseinandersetzung mit ihren Inhalten stattfindet, besteht die Gefahr, dass das von der NPD vertretene neonazistische Gedankengut auch weiterhin bis tief in die Mitte der Gesellschaft vordringt und sich dort festsetzt.


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