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Konsens und Tabu
vom Bündnis gegen Rechts (bgr) Leipzig
Die Naziaktivitäten des letzten Jahres ergeben das Bild einer Nazibewegung, die sich von der staatlichen Anti-Nazi-Kampagne und der Verunsicherung durch das NPD-Verbotsverfahren mehr als nur erholt hat. Um ein antifaschistisches Vorgehen diskutieren zu können, gilt es zuerst zu untersuchen, worauf die inhaltliche Zustimmung weiter Teile der Deutschen zur Nazibewegung beruht. Denn nur diese Zustimmung vermag ihr Wachstum trotz Höhen und Tiefen auf lange Sicht zu erklären. Der folgende Text zu dieser Frage ist eine stark gekürzte Fassung eines längeren Papiers zur Naziproblematik und ihren gesellschaftlichen Ursachen, das auf der Webseite des bgr Leipzig verfügbar ist. Was ist der »rechte Konsens«?Um zu untersuchen, worauf die Toleranz und Unterstützung von Nazis beruht, haben wir den Begriff »rechter Konsens« gewählt. Dieser Konsens versammelt in sich all jene Elemente, die mit der nationalsozialistischen Weltanschauung übereinstimmen, aber weit über die Naziszene hinaus als Selbstverständlichkeiten gelten. Anders als in der Zeit des Nationalsozialismus sind die Elemente des rechten Konsens außerhalb der Naziszene nicht in einer einheitlichen politischen Vorstellung verankert, sondern existieren als alltägliche Überzeugungen mit- und nebeneinander. |
Dossier #16: Über die Durchsetzung und Verbreitung rechter Einstellungen » Gesamtes Dossier als PDF-Datei
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Die Elemente des rechten Konsens lassen sich grob in drei Gruppen einteilen. Das sind zum einen Vorstellungen vom Staat und dem Verhältnis der einzelnen Menschen zu ihm, des Weiteren die am Volk orientierte Eigenwahrnehmung und schließlich die Konstruktionen der Volksfremden. Autoritäres StaatsverständnisDer Staat ist im rechten Konsens eine autoritäre Institution. Den Anweisungen staatlicher Behörden sei grundsätzlich Folge zu leisten. Im Gegenzug obliege ihnen die Lösung gesellschaftlicher Probleme. Es geht im rechten Konsens nie um eine Staatskritik, sondern um eine Kritik an der politischen Klasse, die sich gegenwärtig des Staates bemächtigt habe. Bemängelt wird häufig die Schwäche staatlicher RepräsentantInnen, die zur Lösung der Probleme trotz der ihnen zustehenden Autorität nicht in der Lage sind. Die nationalsozialistische Problemlösungsstrategie, des »starken Mannes« und »Führers«, der sich den Staat als Instrument zu Eigen macht und ihn so wieder zu seinem eigentlichen Zweck einsetzt, sind im autoritären Staatsverständnis des rechten Konsens bereits angelegt. Die weit über die Naziszene verbreitete positive Haltung zu sozialen Diktaturen als Krisenbewältigungsstrategien hat hier ihre Grundlage. Ein derartiges Staatsverständnis geht mit einer sehr starken Identifikation der Einzelnen mit den staatlichen Vorgaben einher. Diese Identifikation geht über die Anerkennung der Rechtmäßigkeit des Staates hinaus, ohne die keine kapitalistische Gesellschaft längerfristig funktionieren würde. Allerdings steht die Abweichung des realen Staates von seinem im rechten Konsens vertretenen Idealbild der Identifikation im Wege. Solange der reale Staat weder Arbeit noch soziale Aufwertung durch Volkszugehörigkeit garantiert, ist der drohende Arbeitsdienst nur eine Last. Denn im rechten Konsens ist der Staat der organisatorische Ausdruck einer ihm zugrunde liegenden Gemeinschaft der Deutschen. Als Staat solle sich diese Gemeinschaft gegen schädliche Einflüsse von außen, wie Globalisierung und »heuschreckenschwarmartig über Unternehmen herfallende Investmentfonds«, aber auch Kriminelle und eigennützige Interessengruppen, wehren. Der Angriff auf Schröder während der Hartz IV Proteste, bei denen ein Arbeitsloser den damaligen Kanzler packte und »Gib mir Arbeit!« forderte, zeigt nicht nur wie nah an der Oberfläche die Identifikation mit dem Staat liegt. Es zeigt auch die Haltung zur Arbeit überhaupt. Zwar ist es nicht mehr die Unterscheidung zwischen produktiver und unproduktiver Arbeit, die im Einklang mit dem Arbeitskult im Nationalsozialismus die deutsche Einheit als Einheit der Produktivkraft schuf, aber noch immer herrscht die Vorstellung von Arbeit als einzig legitimer Grundlage der Teilhabe am gesellschaftlichen Reichtum und Leben. Nur arbeitend können sich die einzelnen in ihrer Existenz gegenüber der Gemeinschaft rechtfertigen. Wer angesichts von über fünf Millionen mehrheitlich verzweifelt nach einem Job suchenden Arbeitslosen einen Arbeitsplatz gern anderen überlässt, gilt als Schmarotzer. Kampagnen gegen solche Existenzen, wie die sich häufenden Angriffe auf unpatriotisches Verhalten zeigen, welche Breite der rechte Konsens in dieser Frage hat. Die Feinde des VolkesÜberwachungsapparate und Patriotismuskampagnen dienen der Aktivierung der Gemeinschaft von innen heraus. Dauerhaft effektiv ist der rechte Konsens aber in der Herstellung der Gemeinschaft durch die Identifizierung äußerer Feinde. Der Antiamerikanismus nimmt hier in der Gegenwart eine besondere Stellung ein, weil er es vermag, über den klassischen rechten Konsens hinaus Brücken in jene Teile der Gesellschaft zu schlagen, die die Zukunft Deutschlands in einer europäischen Perspektive sehen. Gerade dort, wo aus der Abwendung vom Nationalsozialismus und Westbindung der BRD heute die Möglichkeiten der Politik abgeleitet werden, ist der Antiamerikanismus das Mittel der Selbstvergewisserung, ein Teil des neuen, besseren Deutschlands zu sein. Wie im Antisemitismus – dessen Anwachsen in all seinen Formen in den letzten Jahren immer wieder festgestellt werden muss – ist auch der Antiamerikanismus eine Projektion der Probleme und Widersprüche der deutschen Gesellschaftsordnung in eine äußere Kraft, die am Zustand der Welt und seiner Wirkung auf Deutschland bzw. Europa schuld sein soll. Auch der Rassismus hat in keiner Weise nachgelassen. Bis heute handelt es sich bei AusländerInnen um Fremde, die entweder aufgrund ihrer Rasse oder eben ihrer Kultur die Anderen sind und bleiben müssen. »Man muss doch mal sagen dürfen …«Da der rechte Konsens aus einzelnen Elementen zusammengesetzt ist, die unabhängig voneinander Bestand haben können, sind einzelne der Elemente politisch unterschiedlich stark verankert und abhängig von politischen Kampagnen unterschiedlich wirkungsmächtig. Nicht jede Konjunktur von Elementen des rechten Konsens nützt dabei den Nazis. Die Bedingungen, unter denen aus dem rechten Konsens ein Erstarken der Nazibewegung folgt, lassen sich an zwei Beispielen aus den letzten Jahren diskutieren. Von den antiamerikanischen Friedensdemonstrationen und den Protesten gegen Hartz IV mündete nur die letztere Aktivierung des rechten Konsens in einer spürbaren Konjunktur für die Nazis. Im Rahmen der Friedensbewegung waren sie zwar mit ihren Positionen weitgehend im gesellschaftlichen Konsens verankert, kamen aber nicht dazu, sich innerhalb dieses Konsenses als politische Kraft zu profilieren. Das lag wesentlich daran, dass die Nazis mit ihrer Definition des Problems in den internationalen Beziehungen der Beschreibung der Regierung unterlegen waren. Während die Regierung die Handlungsfähigkeit Deutschlands im internationalen Kontext zu erhöhen trachtet und dabei mit der Einbindung in die EU und eine europäische Militärstruktur bei bzw. in der NATO auch einen Erfolg versprechenden Weg präsentieren kann, sind die Positionen der Nazis dem Nationalgefühl, endlich als Global Player auf der Weltbühne dabei zu sein, unangemessen. Deren Mangel an nationaler Öffnung und das Verharren im Bezugsmodell Deutschland sind es, die den Antiamerikanismus der Nazis in dieser Frage trotz des gemeinsamen Hasses auf den US-Imperialismus antiquiert erscheinen lassen. Anders sah es bei den Hartz IV Protesten aus. Auf einem Gebiet, auf dem das staatliche Handeln nur Zumutungen zu bieten hat, ohne dass die im Kapitalismus notwendig als Krise auftretende Arbeitslosigkeit auch nur aufhörte zu steigen, erscheint die Gesellschaftsvorstellung der Nazis als echte Alternative. Die unmittelbar bei der der nationalsozialistischen Volksgemeinschaft entliehene Rezeptur aus Arbeitszwang und Teilhabe ist genau die soziale Diktatur, die Sicherheit verspricht. Gerade weil in der sozialen Frage die Rolle der Arbeit und das autoritäre Staatsverständnis zusammenkommen, während die neoliberale Politik nur von einer gescheiterten Initiative zur nächsten Umverteilung des gesellschaftlichen Reichtums von arm nach reich eilen kann, ist Problemdefinition und Problemlösung im völkischen Modell so überzeugend. Dagegen zu argumentieren, auf dem gegenwärtigen Niveau der kapitalistischen Produktion sei die völkische Krisenlösung nicht reproduzierbar, ist genauso oberflächlich wie die Behauptungen der anderen parlamentarischen Kräfte, es handle sich bei der völkischen Option um keine Lösung, und sie sei außerdem nicht finanzierbar. Gegen solche Argumente wirkt die völkische Position unverbraucht und ehrlich, weil sie aus den marktliberalen Schemata ausbricht und die politische Aneignung der Ökonomie verspricht. Die NPD stilisiert sich regelmäßig als Fundamentalopposition, wozu auch Auftritte wie die Rede vom »Bombenholocaust« im Dresdener Landtag gehören, und will damit beweisen, was sie von den anderen Parteien trennt. Auch wenn in diesem konkreten Fall die Wirkung auf dem geschichtspolitischen Feld der NPD nicht zuträglich gewesen ist, ihre Rolle als »die oppositionelle Kraft für die Interessen des deutschen Volkes« hat sie damit gespielt. Heute lässt sich das weitere Fortschreiten der Etablierung der NPD als politischer Kraft beobachten. Das inhaltliche Schweigen der anderen Parteien, die für ihre Initiativen selbst auf Elemente des im Wahlvolk verbreiteten rechten Konsens zurückgreifen, zur Problematik der NS-Anleihen im völkischen Angebot der NPD ist deren langfristig wirksamer Erfolg. |
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Um das Papier des bgr hat sich bereits eine kleine Diskussion entwickelt. Nächster Artikel: Ein Jahr NPD im sächsischen Landtag |
Letzte Änderung: 2006-02-17 14:26:04 | info@d-a-s-h.org Impressum |