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Lebens- und Arbeitsverhältnisse von MigrantInnen in Deutschland
von Silke Veth und Florian Weis
I. Migrantinnen und Migranten sind vielfältigWenn wir von Migrantinnen und Migranten, Migration und Menschen mit Migrationshintergrund schreiben, benutzen wir damit einen Sammelbegriff für eine äußerst unterschiedliche Gruppe von Menschen. MigrantInnen unterscheiden sich untereinander in vielerlei Hinsicht: In der Dauer ihres Lebens in Deutschland (oder auch das ihrer Eltern und Vorfahren), in ihren Herkunftsländern (oder denen ihrer Eltern und Vorfahren), ihrer Mutter- oder Hauptsprache (in vielen Fällen Deutsch), ihrer sozialen Situation, ihrem rechtlichen Status (der von weitgehender Rechtlosigkeit bei einem illegalen Aufenthalt bis hin zur deutschen Staatsbürgerschaft bei eingebürgerten MigrantInnen und Aussiedlern reichen kann), ihrer kulturellen und religiösen Orientierung, ihres Geschlechtes und nicht zuletzt ihren ganz persönlichen Lebensumständen. MigrantInnen sind also keine einheitliche Gruppe. Sie verbindet aber, dass sie oder ihre Vorfahren aus einem anderen Land stammen und dass sie – wiederum ganz unterschiedlich starken – Ausgrenzungen, Diskriminierungen und Rassismus von beträchtlichen Teilen der Mehrheitsgesellschaft ausgesetzt sind. Die Gruppe der MigrantInnen im Sinne der (nichtdeutschen) Staatsbürgerschaft umfasst seit mehreren Jahren konstant zwischen 7 und 7½ Millionen Menschen, Ausländer im Sinne der Ausländergesetze. Menschen mit Migrationshintergrund gibt es weit mehr, Eingebürgerte und Aussiedler wären hier zu nennen. Umgekehrt sind viele der MigrantInnen ohne deutsche Staatsbürgerschaft fest in Deutschland verwurzelt und würden daher in anderen Ländern mit einer weniger abstammungsfixierten Staatsbürgerschaft wohl längst als Einheimische gelten. Das Staatsangehörigkeitsrecht, das im Jahre 2000 in verwässerter Form eines Kompromisses von SPD/Grünen und FDP im Bundesrat in Kraft trat, hat manche Verbesserungen mit sich gebracht (z.B. Einbürgerungsmöglichkeit nach 8 statt bisher nach 15 Jahren, grundsätzliche Einbürgerungsmöglichkeit für hier geborenen Kinder), aber auch wesentliche Mängel: Die doppelte Staatsangehörigkeit ist grundsätzlich nicht vorgesehen, der Erwerb der Staatsbürgerschaft ist bei Arbeitslosigkeit oder Sozialhilfebezug drastisch erschwert worden. Jahr für Jahr erwerben derzeit etwa 180.000 Menschen die deutsche Staatsbürgerschaft. Das heißt, es gibt seit den achtziger Jahren eine quantitative Zunahme, die jedoch weit unter den Erwartungen, die die Bundsregierung hatte, liegt. II. Migration ist »normal«Migration ist für Deutschland überhaupt keine neue Erscheinung, auch wenn die öffentliche Debatte bis vor kurzem den Eindruck erweckte, Deutschland sei kein Einwanderungsland. Richtig ist vielmehr, dass Deutschland über Jahrhunderte hinweg ein Land von Ein-, Durch- und Auswanderung war und dass es einen ethnisch eindeutigen Deutschen nicht gab und gibt. Die Gründe für die Ein- und Auswanderung nach und aus Deutschland sind wiederum vielfältig: Persönliche, politische, soziale und wirtschaftliche. Armut, die Suche nach Arbeit und einer besseren Zukunftsperspektive waren für die Auswanderer aus Deutschland und anderen europäischen Ländern (z.B. Irland, Italien, Polen), die vor allem im 19. Jahrhundert in die USA, aber auch nach Argentinien, Australien und andere Länder auswanderten, genauso wichtige Gründe wie für die meisten Menschen, die heute aus Mittel- und Osteuropa sowie vor allem aus Afrika, Lateinamerika und Asien in die Europäische Union einwandern. Im 19. Jahrhundert wanderten z.B. viele Menschen aus dem heutigen Polen in das Ruhrgebiet ein, wo sie in der wachsenden Metallindustrie und den Bergwerken arbeiteten. Im Bewusstsein der Behörden des kaiserlichen Deutschlands, aber auch vieler BürgerInnen waren die fremdsprachigen, katholischen PolInnen kaum weniger fremd und wurden ebenso misstrauisch betrachtet und vielfach diskriminiert wie in den siebziger und achtziger Jahren die türkischen ZuwanderInnen nach Deutschland. In der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland lassen sich verschiedene Phasen der Zuwanderung und der Debatten um Migration ausmachen. Unmittelbar nach 1945 kamen unter schwierigsten sozialen und wirtschaftlichen Umständen mehr als 10 Millionen (zumeist deutschsprachige) Flüchtlinge aus ehemals von Deutschland beherrschten Gebieten in die Bundesrepublik, weit mehr als in jeder anderen Migrationswelle vorher und später. Ab 1955 warben Staat und Wirtschaft gezielt »Gastarbeiter« aus dem Ausland (Italien, Griechenland, Portugal, Spanien, Türkei, Jugoslawien u.a.) an. Zunächst kamen zumeist junge Männer, die für einfache Industriearbeiten in der boomenden Nachkriegswirtschaft gesucht wurden und die nach wenigen Jahren, manchmal auch nur Monaten, in ihre Heimatländer zurückkehren sollten. In den sechziger Jahren kamen auch Arbeiterinnen, z.B. für die Textilindustrie. Die »Gastarbeiter« blieben länger und begannen, ihre Familien nachzuholen, verstärkt seit 1973, als der »Anwerbestopp« die Möglichkeit der Arbeitsmigration nach Deutschland drastisch reduzierte. In der Folge wurden aus Gastarbeitern Einwanderer, ohne dass die deutsche Mehrheitsgesellschaft dies lange Zeit akzeptieren wollte, obwohl eine neue Generation von »Ausländern« in Deutschland geboren wurde und aufwuchs. In den achtziger und zu Beginn der neunziger Jahre kam eine wachsende Gruppe von AsylbewerberInnen nach Deutschland, obgleich nur ein sehr kleiner Teil der weltweit flüchtenden Menschen Europa oder gar Deutschland als Ziel hatte. Die heftige und manchmal hysterische Debatte um die AsylbewerberInnen, die vom Arbeitsmarkt ausgeschlossen waren, führte 1993 zur drastischen Einschränkung des Asylrechtes im Grundgesetz. Infolgedessen sanken die Asylantrags- und Asylanerkennungszahlen, aber gleichzeitig stieg die Zahl der AsylbewerberInnen in anderen EU-Staaten und in Deutschland nahm die Zahl von Menschen, die illegal hier leben, zu. Eine erhebliche Zuwanderung fand in diesem Zeitraum durch SpätaussiedlerInnen aus Osteuropa statt, die jedoch als Deutsche gelten und daher eine ungleich bessere rechtliche Situation als die anderen MigrantInnen haben. Soziale und Integrationsprobleme erleben jedoch auch die AussiedlerInnen. Auch die DDR holte Arbeitskräfte aus Vietnam, Angola, Kuba in ihr Land – wenn auch im Rahmen der »sozialistischen Bruderhilfe«. Ziel war zunächst ihre Ausbildung; sukzessive wurden ihnen aber immer stärker unqualifizierte Aufgaben zugewiesen. Ihre Integration in die Gesellschaft wurde kaum befördert. Nach 1990 versuchte die Bundesregierung diese Menschen in ihre Länder zurückzuschicken. Wenige schafften es, sich auf Grund ihrer erworbenen Rechte einen Aufenthaltstatus in Deutschland zu sichern. III: Zur spezifischen Rolle von Migrantinnen auf dem ArbeitsmarktWeltweit migrieren und flüchten weit mehr Frauen als Männer. Aufgrund der ungleichen Bedingungen auf dem Arbeitsmarkt und ihrem ungleichen Zugang zu Ressourcen wird von einer »Feminisierung der Armut« gesprochen. »Frau-Sein« und »Ausländerin-Sein« zieht spezifische Ausschlüsse nach sich. Das Bild der Migrantin ist geprägt von der manchmal gut gemeinten, aber letztlich diskriminierenden Vorstellung einer »Dritte-Welt-Frau«, die unterdrückt, abhängig, hilflos und ungebildet ist. Damit werden ihnen eigene Handlungsmöglichkeiten per se abgesprochen. Der kontinuierlich wachsende Dienstleistungsbereich zeigt deutlich die Aufteilung des Arbeitsmarktes. Je höher die Qualifizierung, die Absicherung und die Bezahlung sind, desto weißer und männlicher ist die Belegschaft. Demgegenüber besteht die Mehrheit der prekarisiert, d.h. hinsichtlich des Einkommens, der Arbeitsplatzsicherheit, der Arbeitszeit flexibel und ungesichert, im Dienstleistungsbereich Beschäftigten aus Frauen. Darunter sind Migrantinnen überproportional vertreten, und unter diesen wiederum, die schätzungsweise ½ bis 1 ½ Millionen in Deutschland lebenden illegalisierten Menschen. Sie putzen, kochen, servieren, leisten Sexarbeit, betreuen Kinder und Alte in den Haushalten. Gerade diese Beschäftigung von Frauen ohne Papiere in privaten Haushalten hat in den letzten Jahren konstant zugenommen. Es findet eine so genannte Arbeitsteilung unter Frauen statt, d.h. die Frauen zugeschriebene Verantwortlichkeit für Haushalt und Sorgeaufgaben wird z.T. an migrantische Frauen abgegeben. 2000 gründete sich auch in Deutschland ein Netzwerk der Selbstorganisation und Unterstützung der Hausarbeiterinnen. Ein weiteres Arbeitsfeld, in dem seit den 1990er Jahren immer mehr Migrantinnen tätig sind, ist die Sexarbeit – einige freiwillig, andere werden zur Prostitution gezwungen. Auch männliche und legal in Deutschland lebende Migranten sind überproportional von Arbeitslosigkeit betroffen oder im Niedriglohnbereich beschäftigt. Dies hängt u.a. mit der Tätigkeit der früheren Gastarbeiter in den Industrien zusammen, die zunehmend Personal abbauen. Unter diesen migrantischen Industriearbeitern waren die Gewerkschaften, vor allem die IG Metall, stark vertreten. Im öffentlichen Dienst sind MigrantInnen immer noch sehr schwach vertreten, zunehmend mehr dagegen unter kleinen und mittleren Selbstständigen. Dies sind freilich nur allgemeine Aussagen: So wenig wie alle Frauen schlechter gestellt sind als Männer oder nur Opfer, so wenig gilt dies für alle MigrantInnen, zu denen ja, formal gesehen, auch Manager aus der EU oder den USA oder Computer-SpezialistInnen mit einer Greencard gehören. MigrantInnen sind jedoch in der Tendenz stärker von Arbeitslosigkeit und sozialer Ausgrenzung betroffen als NichtmigrantInnen. IV: Aktuelle politische Maßnahmen wirken sich für MigrantInnen spezifisch ausMigrantinnen und Migranten sind nicht nur von unmittelbar auf sie zielenden Gesetzen und politischen Debatten wie der um Zuwanderung und Staatsangehörigkeit betroffen. Auch allgemeine politische Maßnahmen wie die vielen so genannten Reformen in den Bereichen Rente, soziale Sicherheit, Gesundheitsversorgung und Arbeitsmarktpolitik beinhalten Verschlechterungen für MigrantInnen. So birgt z.B. das »Hartz IV«-Paket die Gefahr, dass langzeitarbeitslose MigrantInnen aus Nicht-EU-Ländern ihr Aufenthaltsrecht in Deutschland verlieren könnten. Die Kontroverse um das so genannte Zuwanderungsgesetz verschleiert, dass es sich hierbei im Wesentlichen um ein Zuwanderungsbegrenzungsgesetz handelt, bei dem die Unterschiede zwischen SPD und CDU/CSU so groß wie dargestellt gar nicht sind. Der Gesetzentwurf der Bundesregierung sieht einige Verbesserungen für lange hier lebende MigrantInnen und für Flüchtlinge als Opfer nichtstaatlicher Gewalt, vor allem Frauen, vor. Der Entwurf beinhaltet jedoch auch Verschlechterungen für bisher geduldete MigrantInnen (z.B. Bürgerkriegsflüchtlinge aus Bosnien und dem Kosovo) und ändert nichts an der Situation der illegal in Deutschland lebende Menschen und ihrer UnterstützerInnen. Wirkliche Zuwanderung möchte die Regierung vermeiden, auch solche aus den Ländern, die ab Mai 2004 Mitglied der EU werden. Aus diesem Grund sollen Menschen aus Polen, Tschechien und anderen Beitrittsländern bis 2011 kein Arbeitsrecht in Deutschland erhalten. Andere EU-Länder, Großbritannien, die Niederlande oder Schweden gewähren dieses Arbeitsrecht für die neuen EU-BürgerInnen schon ab 2004. Silke Veth und Florian Weis Einige Links und Hinweise:
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Letzte Änderung: 2005-05-22 22:55:56 | info@d-a-s-h.org Impressum |