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»Jetzt habe ich Deutschland kennen gelernt. Einen Monat hab ich gearbeitet und keinen Lohn erhalten.«
von Gerda Heck
Es ist ein diesiger Freitagnachmittag im Oktober. Wir sind nach mehr als einer Stunde Fahrt in der Kleinstadt ChisineuCris, nicht weit von der Kreisstadt Arad entfernt, angekommen. Hier erwarten uns fünf rumänische Frauen für ein Interview. Sie hatten im Jahr zuvor als Wanderarbeiterinnen auf südhessischen Spargelfeldern gearbeitet. Die Tür des kleinen Apartments öffnet eine junge Frau. Alina, die Tochter des Hauses, begrüßt uns: »Guten Tag, kommen Sie herein, wir erwarten Sie schon.« Im Wohnzimmer ist der Kaffeetisch gedeckt, auf dem Sofa in der Ecke und um den Tisch herum sitzen die Frauen. Ana O., die Hausherrin, beginnt zu erzählen. Seit 1992 war sie jedes Frühjahr zur Spargelernte im hessischen Lampertheim. Das Geld, das sich in diesen zwei Monaten als Saisonarbeiterin auf deutschen Feldern verdienen lässt, übersteigt das durchschnittliche Jahreseinkommen in Rumänien. Und so gehen sie, die Familie und die Nachbarinnen jährlich, wenn möglich, für zwei bis drei Monate zur Saisonarbeit außer Landes, um ihr Einkommen aufzubessern und Geld für Extraanschaffungen zu verdienen. 5,28 Euro pro Stunde ist der gesetzliche Mindestlohn für Saisonarbeiter in Deutschland. Von diesem Mindestlohn werden in der Regel Kost und Logis abgezogen, übrig bleiben ca. 1100 Euro für zwei Monate Arbeit auf dem Spargelfeld. »Wir erhalten nie den festgeschriebenen Mindestlohn. Am Ende gehen wir meistens mit 3,50 Euro Stundenlohn nach Hause. Aber das ist immer noch das siebenfache des Lohns hier in Rumänien,« sagt Frau O. »Wir wissen, dass das Ausbeutung ist«, fügt Juliana T. hinzu: »Aber wir brauchen dieses Geld dringend für unser Auskommen, die wirtschaftliche Lage hier in Rumänien ist eine Katastrophe, also nehmen wir das in Kauf.« Szenenwechsel: Lampertheim, Hessen. Jedes Jahr am zweiten Juniwochenende findet hier das dreitägige Spargelfest statt, um den Abschluss der Ernte zu feiern. Lampertheimer Spargel genießt nicht nur bei Feinschmeckern einen ausgezeichneten Ruf da kaum eine andere Anbauregion das Gemüse so günstig anbietet, wie die hessische Spargelstadt. Jedes Jahr wirbt Bauer S. beim lokalen Arbeitsamt osteuropäische SaisonarbeiterInnen für seine Ernte an. Und so reisen im Frühjahr 2002, vermittelt durch die Zentrale Arbeitsvermittlung (ZAV) 18 rumänische Frauen zur Spargelernte aus der Gegend um Arad an. Die Arbeitsverträge sehen 60 Arbeitstage und den gesetzlichen Mindestlohn vor. In der ersten Woche erhalten die Frauen keine Verpflegung, sie ernähren sich von ihrem Reiseproviant; die Unterkunft ist miserabel und erst nach drei Tagen bekommen sie Bettwäsche. Bauer S. beansprucht trotzdem 8 Euro pro Tag für Kost und 6,22 Euro für Unterkunft vom Lohn der Erntehelferinnen, obwohl der vorgeschriebene Höchstsatz für Verpflegung 2,51 Euro und für Logis 1,55 Euro pro Tag beträgt. Die Arbeit ist hart und den ersten Lohn von 50 Euro bezahlt der Bauer auf Drängen der Arbeiterinnen erst nach zwei Wochen. Dafür kaufen sich die Frauen zunächst einmal die für die Feldarbeit nötigen Gummistiefel und Gummihandschuhe. Nach knapp einem Monat sind die Spargelfelder abgeerntet. Bauer S. verlautbart, er habe keine Arbeit mehr. Auch auf mehrfaches Nachfragen hin, macht er weder Angaben zur Höhe des Lohnes, noch wann er ihn auszahlen möchte. All dies stimmt die Arbeiterinnen misstrauisch und sie beschließen abzureisen. Kurz vor der Abreise zahlt er den Frauen, anstatt des ihnen zustehenden Lohns (in willkürlicher Manier) zwischen 250 und 350 Euro aus. In den von ihm ausgestellten Lohnabrechnungen zieht er neben Unterkunfts- und Verpflegungskosten nie geleistete Sozialversicherungsbeiträge ab. Außerdem bezahlt er weder die geleisteten Überstunden noch Wochenendtarif. »Wir sind zwar einfache Leute, aber wissen trotzdem, was uns zusteht«, sagt Frau O. Und so kommt es, dass sie am Rückreisetag dem Bauern ihre von ihm vorenthaltene Lohnabrechnung entwendet. Gemeinsam mit einer Kollegin legt sie beim örtlichen Arbeitsamt Beschwerde über die vorzeitige Kündigung, die menschenunwürdigen Arbeitsbedingungen sowie die geringen Lohnsummen aller Frauen ein. Der Mitarbeiter des Arbeitsamtes protokolliert die Beschwerde und gibt den Frauen die Telefonnummer der Beratungsstelle für osteuropäische WanderarbeiterInnen, :ZAPO: (Zentrale Anlaufstelle für Pendler und Pendlerinnen aus Osteuropa) in Berlin. Zu Hause angekommen setzen die Frauen sich mit der :ZAPO: in Verbindung und reichen mit Unterstützung der Beratungsstelle Klage vor dem Arbeitsgericht ein. Im Juli diesen Jahres wird Bauer S. dazu verpflichtet, zumindest den noch ausstehenden Lohn des ersten Monats der 18 rumänischen Landarbeiterinnen, 960 Euro pro Person, auszuzahlen. Bauer S. ist kein Einzelfall. Mehr als 250.000 Arbeitskräfte kommen vermittelt über die Zentrale Arbeitsvermittlung (ZAV) jedes Jahr aus osteuropäischen Ländern nach Deutschland, um bis zu drei Monate vor allem in der Landwirtschaft zu arbeiten. Wie viele Menschen darüber hinaus ohne Arbeits- oder Aufenthaltserlaubnisse in der deutschen Landwirtschaft oder in anderen Sektoren arbeiten, ist schwer zu schätzen. Berichte über Lohnbetrug an SaisonarbeiterInnen werden immer wieder bekannt. Kontakt und weitere Informationen: Nächster Artikel: Jeder Mensch ist ein Experte! |
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Letzte Änderung: 2005-05-22 22:55:56 | info@d-a-s-h.org Impressum |