Rechtlos auf Arbeit?

von Norbert Cyrus

»Rechtlos auf Arbeit«. So nannte eine Tübinger Initiative vor einigen Jahren eine Broschüre über die Lage von Menschen ohne Aufenthaltsrechte auf dem Arbeitsmarkt. Anhand drastischer Beispiele wurde einerseits die Ausbeutung in der Schattenwirtschaft dargestellt. Andererseits wurde aber auch gesehen, dass allein die Schattenwirtschaft Menschen ohne Aufenthaltsrechte ein Überleben in der Illegalität durch eigene Arbeit ermöglicht. Gleichzeitig wurde auch bemerkt, dass mit schattenwirtschaftlichen Aktivitäten gerade die sozialen Standards unterlaufen und langfristig auch untergraben werden, die eigentlich gehalten und ausgebaut werden sollen. In Deutschland muss heute wahrscheinlich niemand mehr lange suchen, um im eigenen Umfeld solche Arbeitsverhältnisse zu entdecken: Hier kennt man bei Bedarf einen Handwerker, der die Wohnung kostengünstig renoviert. Dort hat eine Bekannte schon lange eine unangemeldete Haushaltshilfe. Aber im Grunde, so tröstet man sich vielleicht, hilft man diesen Menschen zu überleben und zumindest die Bezahlung ist angemessen – was immer das heißen mag. Und schließlich werden die Absprachen doch auch eingehalten, der vereinbarte Lohn tatsächlich ausbezahlt. Und das ist tatsächlich keine Selbstverständlichkeit in der Schattenwirtschaft.

Es kommt nicht gerade selten vor, dass Migrantinnen im Ausland mit falschen Versprechungen für eine Beschäftigung angeheuert und dann um ihren Lohn betrogen werden. In der Regel dringt ein solcher Lohnbetrug nicht an die Öffentlichkeit. Denn betrogene ausländische Arbeiterinnen und Arbeiter ohne gültige Aufenthalts- und Arbeitserlaubnis gehen davon aus, dass sie keinerlei Rechte haben und keinerlei gesetzlichen Schutz genießen. Diese Annahme ist so nicht zutreffend, aber durchaus begründet: Wenn ein solches Arbeitsverhältnis bei Kontrollen aufgedeckt wird, folgt die Ausweisung oder Abschiebung auf dem Fuße. Die Menschen ohne Aufenthaltsrechte müssen umgehend das Land verlassen. Dass da vielleicht noch Lohn für bereits geleistete Arbeit aussteht, ist für die Behörden nicht weiter von Belang. Rechtlos auf Arbeit eben. Die festgenommenen Arbeitnehmer sehen ihrerseits keine Veranlassung, mit den Behörden zu kooperieren. Sie haben schließlich nichts anderes zu erwarten als die Abschiebung. Betrügerische Arbeitgeber machen sich das manchmal mit voller Absicht zu Nutze: Statt Lohn zu zahlen informieren ganz dreiste Arbeitgeber auch schon mal selber die Behörden, anonym versteht sich. Das Ergebnis für die Arbeitnehmer: Sie werden festgenommen und ausgewiesen. Und für den Arbeitgeber? Wenn überhaupt, dann ein verhältnismäßig kleines Bußgeld. Weil der tatsächliche Umfang der illegalen Beschäftigung nicht ermittelt wird. Für Arbeitgeber rechnet sich die Rechtlosigkeit. Also machen sie weiter und suchen sich neue Opfer. Dieses Prinzip der ausbeuterischen Beschäftigung ist bekannt. Aber wie kann es durchbrochen werden?

Seit einigen Jahren versucht ein Berliner Projekt, diesen Mechanismus zu durchbrechen. Das Projekt :ZAPO: des Polnischen Sozialrat e.V. bietet für Menschen ohne Arbeits- und Aufenthaltserlaubnis, die Opfer von Betrug auf dem Arbeitsmarkt wurden, Beratung und Unterstützung an. Das Motto lautet: Rechtssicherheit und Konfliktfähigkeit stärken. Ausgangspunkt ist die Feststellung, dass in Deutschland selbst Menschen ohne Aufenthaltsrecht arbeitsrechtliche Ansprüche haben und auch durchsetzen können. Völlig unabhängig vom aufenthaltsrechtlichen Status besteht Anspruch auf Lohn für geleistete Arbeit. Juristisch heißt das »faktisches Arbeitsverhältnis«. Es ist auch möglich, diese Ansprüche bei den zuständigen Arbeitsgerichten einzuklagen. Dabei sind die Arbeitsgerichte nicht verpflichtet, den Aufenthaltsstatus zu ermitteln. Betrogene Arbeitnehmer können sich zudem durch Dritte in dem Verfahren vertreten lassen. Insgesamt keine schlechten Voraussetzungen, um sich gegen Lohnbetrug zu wehren. Leider sind den Betroffenen selber diese Möglichkeiten kaum bekannt. Und wenn, dann können sie sich nicht vorstellen, dass sie diese Rechte auch tatsächlich in Anspruch nehmen können. Die Angst, abgeschoben zu werden, ist groß. Sehr groß. Zu groß.

Umso mehr Mut machen die Fälle, wo das Projekt :ZAPO: betrogene Menschen ermutigen konnte, erworbene Ansprüche einzuklagen. Einer der vielen von :ZAPO: betreuten Fälle: Das Arbeitsgericht Hannover urteilte am 15. Januar 2003 zugunsten einer illegal beschäftigten Haushaltshilfe ohne Arbeits- und Aufenthaltserlaubnis aus Polen. Infolge eines Arbeitsunfalls musste eine Fingerkuppe amputiert werden. Die Arbeitgeber, eine Familie aus Lehrte bei Hannover, stritten ab, die Polin beschäftigt zu haben. Vielmehr habe sie als Mitglied einer Wohngemeinschaft Hausarbeiten verrichtet. Das Gericht bezeichnete diese Version als »wenig glaubwürdig« und verurteilte die Familie zur Zahlung des Lohnes, einer Entgeltzahlung im Krankheitsfalle sowie Zinsen (Arbeitsgericht Hannover, Aktenzeichen 13Ca268/02). Die Arbeitgeber legten Berufung ein.

Zusätzlich erkannte die zuständige Berufsgenossenschaft nach Bekannt werden des Urteils eine Einschränkung der Erwerbsfähigkeit auf Grund des Arbeitsunfalls an. Wenn das Urteil rechtskräftig wird, dann wird die Klägerin auch eine Teilrente erhalten. Rechtlicher Hintergrund dieser Entscheidung ist die Regelung, dass nur der Arbeitgeber Beiträge an die für Arbeitsunfälle zuständige Berufsgenossenschaft abzuführen hat. Es besteht somit ein Unterschied zu den anderen Versicherungen, in die auch die Arbeitnehmer selber Beiträge abführen müssen. Arbeitnehmer haben bei Arbeitsunfall in jedem Fall Anspruch auf Leistungen der Berufgenossenschaft, denn ein Arbeitnehmer kann nichts für Versäumnisse, die allein beim Arbeitgeber liegen. Zumindest in Deutschland besteht die Möglichkeit, dass eine unangemeldete Haushaltshilfe für alle Fälle bei der Berufsgenossenschaft unfallversichert ist. Das geht ohne Angabe der Person. Allein der Arbeitsort, die Anzahl beschäftigten Personen und die Wochenarbeitszeit muss angegeben werden. Bis zu 15 Wochenstunden sind 45 € pro Jahr fällig, über 15 Wochenstunden sind es 90 €.

Ganz so rechtlos, so das Fazit, sind illegal beschäftigte ausländische Arbeitnehmer also wohl doch nicht. Sie wissen es nur nicht. Die Stärkung von Rechtssicherheit und Konfliktfähigkeit tut Not. Damit würde die illegale Beschäftigung zumindest für ausbeuterische und betrügerische Arbeitgeber riskanter. Denn wenn betrogene Arbeitnehmer ihre Ansprüche rechtsstaatlich durchsetzen können, dann wird sich der Anreiz zur illegalen Beschäftigung gerade für diese ausbeuterischen Arbeitgeber verringern. Das wäre ein deutlicher Beitrag zur Reduzierung der ausbeuterischen Schattenwirtschaft insgesamt. Immerhin. Ansonsten bleibt festzuhalten: Solange es die krassen Unterschiede zwischen Ländern gibt, solange wird es illegale Beschäftigung von Ausländern geben. Denn die kurzfristigen finanziellen Vorteile sind für beide Seiten einfach zu attraktiv.

In Anbetracht der einschüchternden Wirkungen von Kontrollen besteht ein solidarischer Umgang meines Erachtens darin, die Rechtssicherheit und Konfliktfähigkeit aller Arbeitenden zu stärken. Unabhängig von Staatsangehörigkeit und Aufenthaltsstatus. Denn Standards können nicht gegen, sondern nur mit Arbeitnehmern durchgesetzt werden. Das ist ein Beitrag zur Vermeidung der unseligen Spirale der Unterbietungskonkurrenz und zur Stärkung sozialer Standards. Für alle Arbeitnehmer, auch der Einheimischen. Das mag nicht radikal klingen, eröffnet aber in Anbetracht der dargestellten sozial und politisch verwickelten Situation eine Perspektive, um zumindest einen gesellschaftlichen Schritt in die richtige Richtung vorzunehmen. Es ist vor diesem Hintergrund nicht gerade ermutigend, dass es nicht gelungen ist, für das Projekt :ZAPO: trotz intensiver Bemühungen eine finanzielle Weiterförderung zu finden. So bleibt es also noch ein langer Weg. Weg von der Situation »rechtlos auf Arbeit«.

Norbert Cyrus, Universität Oldenburg

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Literaturhinweis: Studien zur Arbeitsmigration aus Polen

Joana Korczynska vom Institut Arbeit und Soziale Angelegenheiten der Warschauer Universität verteidigte ihre Dissertation zur Arbeitsmigration in der Landwirtschaft im Dezember 2002. Sie befragte 240 Personen, von denen 65% die drei Monate Saisonarbeit voll in Anspruch nahmen: 50% der Personen kommen vom Land oder aus kleinen Städten und kennen die Landarbeit gut. 50% haben eine Fachschulausbildung, 40% einen Mittelschulabschluss und technische Berufe wie Schlosser oder Klempner. Zehn Prozent sind selber Landwirte. Die meisten der Befragten erhielten 8 DM pro Stunde, einige auch 7 DM. Zwischen 70 und 75% erhielten die Arbeit über private Kontakte, nicht übers Arbeitsamt. Die Befragten betonten den Nutzen der Saisonarbeit für sich und den Unternehmer. In Polen kommen die östlichen Nachbarn auf Saison in die Landwirtschaft, aus der Ukraine oder Belorussland. Sie haben meistens Hochschulabschlüsse.

  • Korczynska, Joana: Reisen polnischer Saisonarbeiter nach Deutschland. Auswertung von Fragebögen. In: Grenzüberschreitende Beschäftigung, Dirk Höhner, Kowa-Schriftenreihe, Frankfurt/ Oder 1997.
  • Korczynska, Joana: Individuelle Kosten und Nutzen der Saisonarbeit von Polen in Deutschland. Analyse und Ergebnisse einer empirischen Untersuchung von 1999/2000, in: Pallaske, Ch., Die Migration von Polen nach Deutschland, IfER, Baden-Baden 2001.

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    (Silke Veth und Florian Weis )
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    (Katharina Hamann)
  5. Rechtlos auf Arbeit?
    (Norbert Cyrus)
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  7. Jeder Mensch ist ein Experte!
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    (Edith Kleinkathöfer, Woge e.V.)
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