Kriegspropaganda – Feindbilder und Emotionen

von Rolf Seip

Wenn von Propaganda die Rede ist, denkt man heute meist zuerst an Joseph Goebbels, den »Minister für Volksaufklärung und Propaganda« der nationalsozialistischen Diktatur. In dieser assoziativen Verbindung spiegelt sich die heute in der Regel negativ aufgefasste Bedeutung des Wortes wieder. Propaganda ist aus dem Lateinischen »propagare« (weiter ausbreiten, ausdehnen) abgeleitet und meint ursprünglich neutral die werbende Tätigkeit für bestimmte Ziele. Heute wird der Begriff Propaganda oft mit Beeinflussung und Manipulation gleichgesetzt oder in Verbindung gebracht. Mit diesem »modernen«, im Allgemeinen gebräuchlichen Wortsinn ist eine negative politische Wertung verknüpft. Das Wort an sich kann schon alleine für politische Ziele eingesetzt werden. Dem Gegner wird Propaganda (im Sinne von böswilliger Manipulation) unterstellt, man selbst betreibt dagegen nur Aufklärung.

Stärken und Verunsichern

Schon immer war es für alle Kriegsparteien enorm wichtig, in den eigenen Reihen keine Verunsicherung aufkommen zu lassen. Kriegspropaganda soll die eigene Konfliktpartei und deren Verbündete in der Überzeugung festigen, für das »Richtige« zu kämpfen. Dies gilt nicht nur in Kriegszeiten, sondern auch schon in Zeiten, in denen sich eine Krise anzubahnen droht. Neutrale, außenstehende Parteien und Staaten sind von der Legitimität des eigenen Handelns zu überzeugen, um sie auf die eigene Seite zu ziehen. Zumindest sollen sie das Vorgehen für die Dauer des Konflikts tolerieren und auf keinen Fall den Gegner unterstützen. Durch die Propaganda wird weiterhin versucht, den Feind zu verunsichern und so weit wie möglich durch Demoralisierung in seiner Kampfkraft und Gegenwehr zu schwächen. Propaganda ist damit ein wesentlicher Bestandteil der psychologischen Kriegsführung und wird oftmals als vierte Waffengattung neben Luftwaffe, Marine und Heer angesehen.

Mit der über Jahrhunderten gewachsenen Bedeutung der Massenmedien ist parallel dazu auch die Krisen- und Kriegspropaganda immer bedeutender geworden.

Puppentheater und Videospiele

Mit allen Massenmedien, von den Printmedien, Flugblatt, Zeitung, Buch bis hin zu den Bildmedien Fotografie, Film und Fernsehen, aber auch Theater, Radio, Tonträger und zunehmend mit modernen Medien wie dem Internet kann Propaganda verbreitet werden. Selbst das Puppentheater wurde, z.B. im Zweiten Weltkrieg, als Unterhaltungsmedium für die Frontsoldaten zur politischen Beeinflussung eingesetzt. Mit Lautsprechern wurde seit dem zweiten Weltkrieg an allen Kriegsfronten der Welt immer wieder versucht, die gegnerischen Soldaten zur Aufgabe zu bewegen. Und kostenlose Computerkriegsspiele der US-Armee sollen heute für freiwilligen Nachschub von jungen Rekruten sorgen.

Generell kann jedes verfügbare Medium mit all seinen Möglichkeiten und Formen zur politischen Beeinflussung genutzt werden. Hierbei verwendet die Propaganda nicht nur (scheinbar) dokumentarisches Material. Auch fiktionale Stoffe wie Unterhaltungsfilme werden für diese Zwecke produziert. Genauso findet sich Propaganda in so genannten Lehrstücken, Parodien und Karikaturen.

Orgien feiernde Pfaffen und andere Anfeindungen

Schon während der Bauernkriege wurden Flugblätter in Umlauf gebracht. Auf ihnen fanden sich Darstellungen mit Orgien feiernden Pfaffen und anderen Anfeindungen gegen die kirchlichen und weltlichen Herrscher. Da Flugblätter damals sehr teuer waren – noch um 1600 kostete ein Flugblatt etwa den Stundenlohn eines gelernten Maurers – wurden sie nur in sehr kleiner Stückzahl produziert und direkt von Hand zu Hand weitergereicht.

Über die folgenden Jahrhunderte bestimmten besonders die Printmedien Zeitung, Buch, Postkarte und Plakat die politische Propaganda. Dank Internet sind heute sehr viele Plakatsammlungen allgemein zugänglich(1). Erst während des Ersten Weltkrieges gewannen auch weitere Massenmedien für die Kriegspropaganda an Bedeutung. Ganz besonders gilt dies für die Bildmedien Fotografie und Film. Die ersten Stummfilme wurden für diesen Zweck gedreht und kamen an der »Heimatfront« in die Kinos. Insbesondere in England und den Vereinigten Staaten wurden viele Zelluloidstreifen produziert. Meist waren es Filme, die entweder die Feinde als lächerliche Schießbudenfiguren oder als kulturlose, grausame Monster darstellten.

(1) Plakatsammlungen finden sich unter anderem bei Universität Erlangen, der Towson University in Maryland und der Northwestern University Library

Ätherkrieg und Hinrichtungen

Auch wenn es im Weltkrieg von 1914 bis 1918 schon zaghafte Versuche gab, die Radiotechnik für Propagandazwecke einzusetzen, erlebte das Radio erst im Zweiten Weltkrieg seine Blütezeit der politischen Massenbeeinflussung. Hans Bredow und Alexander Meißner führten für das deutsche Kaiserreich 1917 groß angelegte Versuchssendungen an der Westfront durch. Das Medium konnte zu dieser Zeit aber noch nicht effektiv genutzt werden, da die Verbreitung von Empfangsgeräten nicht weit genug fortgeschritten war. Erst ab den 30er Jahren änderte sich dies.(2)

(2) Faulstich, Werner: Grundwissen Medien. München, 1994, S. 237ff.

Da die Radiosendetechnik sehr große technische Fortschritte gemacht hatte, war es im Zweiten Weltkrieg erstmals möglich, die Bevölkerung der Feindstaaten mit der eigenen Propaganda zu erreichen. Große Propagandastäbe und so genannte Auslandssender wurden eingerichtet. Immer feiner wurde die Beeinflussung der gegnerischen Bevölkerungen aufgezogen. Aus London sendeten die BBC und aus der sowjetischen Hauptstadt Radio Moskau ihr deutschsprachiges Programm. Nicht nur Nachrichten wurden in den Äther gesendet. Im direkten Auftrag von Joseph Goebbels versuchte eine geheim gehaltene Gruppe von Jazzmusikern, durch umgeschriebene Liedtexte bekannter Jazzstücke, die Gegner zu infiltrieren. Gleichzeitig war in Deutschland Jazzmusik verboten.

Im faschistischen Deutschland legte die Führung sehr großen Wert auf die absolute Kontrolle über alle Massenmedien. Ab 1933 bauten die Nazis systematisch ihre Kontrolle über die deutschen Medien immer weiter aus. Oppositionelle Stimmen wurden aus allen Medien verbannt und verfolgt. Auch die Unterhaltungsliteratur wurde hiervon nicht verschont. Mit der Bücherverbrennung begann eine riesige so genannte »Säuberungsaktion« aller Bibliotheken in Deutschland, um alles zu beseitigen, was nicht mit der nationalsozialistischen Ideologie vereinbar war. Die Gleichschaltung der Medien hatte stattgefunden. Keine störenden Gegenstimmen konnten in Deutschland die Nazipropaganda behindern.

Der Hörfunk war schon 1932, vor dem Machtantritt der braunen Diktatur, der direkten staatlichen Kontrolle unterstellt worden. Mit dem ab August 1933 auf den Markt gebrachten »Volksempfänger«, ein preisgünstiges Radio mit eingeschränktem Empfangsbereich, und dem reichsweiten Einheitsprogramm ab 1940 konnten die Naziführer ihre rassistische und hetzerische Ideologie noch besser verbreiten. Mit Kriegsbeginn 1939 wurde das Hören ausländischer Sender verboten. Und nur zwei Jahre später wurden die ersten Menschen wegen dieses Vergehens von deutschen Gerichten zum Tode verurteilt und hingerichtet.

Hanswurst und Bestie

Die ersten Versuche Stimmung gegen Feinde und Gegner zu machen, wirken aus heutiger Sicht oft recht simpel und leicht durchschaubar. Im historischen Rückblick wirken solche Machwerke manchmal sogar ungewollt komisch. Meist handelt es sich um banalste Diffamierungen des Gegners.

Die Feinde werden der Lächerlichkeit ausgesetzt oder als grausame Bestien beschrieben. Da werden Analogien zum Tierreich hergestellt und die Gegner mit Schlangen, Raubtieren und »Ungeziefer« gleichgesetzt. Gleichfalls finden Märchen- und andere, in der jeweiligen Kultur verankerte Figuren (z.B. Mickey Mouse), Einzug in die politische Überzeugungsarbeit.

Moderne Propaganda wirkt sehr viel subtiler, auch wenn nach wie vor die gleichen Grundmuster bedient werden. Hierbei sind bestimmte (Argumentations-) Muster erkennbar. Eines dieser Grundmuster ist das »Gut-und-Böse-Schema«. In einer einfachen Schwarz-Weiß-Malerei, die keine differenzierte, aufgefächerte Argumentation zulässt, wird dem Gegner alles Schlechte und einem selbst alles Gute und Reine zugeschrieben. Natürlich sind die jeweiligen Verbündeten dabei mit eingeschlossen.

Druckmittel moralische Werte

Meist findet sich in der Propaganda eine eindeutige moralische Wertung. Moralische Wertungen, zumal wenn es sich wie bei der Kriegspropaganda, um eine gezielte Überhöhung der eigenen und massive Diffamierung der dem Gegner zugeschriebenen Werte handelt, haben die Eigenschaft, nicht oder nur sehr bedingt diskutabel zu sein. Sie wirken im doppelten Sinne als »Totschlagargumente«, weil sie keine Gegenargumentation zulassen und weil sie dazu dienen sollen, den Feind zu vernichten. Niemand kann sich diesen Wertungen entziehen ohne in den Verdacht zu geraten, die angesprochenen hohen moralischen Werte zu missachten. Ein nüchterner, sachlicher Argumentationsaustausch über die eigentlichen Konfliktpunkte wird verhindert.

Da in den meisten Zivilisationen und Kulturen zumindest öffentlich der Eigennutz geringer geschätzt wird als das Wohl der Allgemeinheit, versuchen Kriegsparteien ihre eigenen Ziele als die der gesamten Menschheit oder zumindest des größten Teiles darzustellen. Vom Gegner wird im Gegensatz dazu behauptet, er bedrohe die restliche friedliebende Welt und wolle sich nur auf Kosten der anderen bereichern oder verfolge ähnliche niederträchtige Ziele. Durch diese Bedrohung, so die weitere Argumentation, sehe man sich, obwohl man sehr friedliebend sei, zum Krieg gezwungen. Der Gegner wird zum aggressiven, von moralisch verwerflichen Motiven geleiteten Angreifer und man selbst handelt nur in Notwehr. Das »Gut-und-Böse-Schema« mit seiner eindeutigen Zuordnung ist fertig. Diese scheinbar immer nur defensive (abwehrende) Haltung hat sogar Einzug in die Ministerbezeichnungen gefunden. Heute gibt es keine »Kriegs-« und keine »Propagandaminister« mehr, sondern nur noch »Verteidigungs-« und »Informationsminister«. Auch wird der Begriff »Angriff« in allen Reden und Äußerungen nicht mit dem eigenen Handeln verbunden. Die Angreifer sind immer die anderen. Die Begriffe haben sich zwar geändert, aber die Welt ist dadurch keineswegs friedlicher geworden.

Eine Frage des Gefühls

Eine weitere entscheidende Größe in der propagandistischen Überzeugungsarbeit ist die Emotionalisierung. Nicht mit sachlichen Argumenten im Sinne einer gleichberechtigten Diskussion soll überzeugt werden, sondern Propaganda versucht, die Menschen hauptsächlich durch Gefühle zu gewinnen. Einmal erzeugte und verfestigte Emotionen lassen sich auch durch noch so stichhaltige, sachliche Argumente (des Gegners) nur schwer entkräften.

Gefühlserzeugung ist für die politische Beeinflussung besonders interessant. Gefühle sind allgemein verständlich und benötigen keinerlei Vorkenntnisse. Auf geschichtliche oder politische Zusammenhänge, ja selbst auf Sprache kann verzichtet werden. Einfachste, von jedem Menschen zu verstehende Bilder reichen oft schon aus. Die beabsichtigte Wirkung entfaltet sich in der Regel sogar ohne erklärende Worte. Auch lassen sich Gefühle relativ leicht erzeugen und für die Rezipienten (Nutzer) ist es schwer, sich dieser gezielten Gefühlslenkung zu entziehen. Insbesondere dann, wenn dies so feinsinnig, wohl dosiert und feinstufig aufgebaut ist, dass man es kaum Nachverfolgen kann und man scheinbar plötzlich und »aus heiterem Himmel« von den Gefühlen überwältigt wird.

Besonders interessant ist die Emotionalisierung für die Propaganda, weil sie meist unbewusst wirkt. Die gewünschte Wirkung entfaltet Emotionalisierung darüber hinaus auch wesentlich schneller als die beste sachliche Argumentation. Gefühle wirken sofort und direkt, Argumente müssen erst durchdacht und nachvollzogen werde. Gleichzeitig ist die Wirkungsdauer von Gefühlen auf die politische Einstellung wesentlich länger.

Reine Emotionalisierung beinhaltet aber auch die Gefahr der Missverständlichkeit und der möglichen Umdeutung. Gefühle lassen sich nicht in einer völlig reinen, eindeutigen Form erzeugen. So können zum Beispiel Bilder, die Ekel erzeugen sollen, auch Mitleid hervorrufen. Deshalb kann eine gewünschte Propagandawirkung, die einzig und allein auf Gefühlen aufbaut, sich sogar in ihr Gegenteil umkehren.

Noch wirksamer als eine reine Emotionalisierung ist die Vorbereitung sachlicher Argumente durch zuvor erzeugte Gefühle. Die Emotionen bereiten dann den Argumenten den Weg. Wird zum Beispiel zuerst Empörung ausgelöst, so werden die darauf folgenden Argumente und angebotenen Lösungen nicht mehr so kritisch untersucht. Eine Überprüfung des Wahrheitsgehaltes und ein Abwägen der Stichhaltigkeit der dargebotenen Argumente unterbleiben viel öfter, wenn zuvor die angesprochenen Rezipienten gefühlsmäßig aufgewühlt werden. Einmal verknüpfte Emotionen und Argumente wirken noch sehr lange nach. Später brauchen die Argumente nur noch angedeutet zu werden, um die gleiche Empörung auszulösen. Gefühle und Argumente können so stark miteinander verbunden werden, dass aus den Argumenten nur noch Stichpunkte und -worte im Gedächtnis übrig bleiben ohne ihre durch die Propagandisten beabsichtigte Wirkung zu verlieren. Die bruchstückhaften, in sich nicht mehr schlüssigen Argumente entziehen sich gänzlich einer logischen Überprüfung. Eine so eingenommene und verfestigte Position ist wegen ihrer gefühlsmäßigen Untermauerung nur noch schwer zu widerlegen.

Die Verknüpfung von Gefühlen und Argumenten kann sogar bis auf Symbole und Zeichen reduziert werden. Hierzu gehören ganz besonders Flaggen und Abzeichen. Fast täglich können wir in den Fernsehnachrichten Bilder von Fahnenverbrennungen sehen. Ohne diesen emotional-argumentativen Hintergrund sind solche gefühlsmäßig stark aufgeladenen Stoffverbrennungen nicht erklärbar.

Ein weiteres markantes Merkmal von Propaganda ist die ständige Wiederholung. Immer wieder werden bekannte Muster und Symbole gezeigt und so die damit verbundenen politischen Inhalte ins Gedächtnis gerufen.

So waren viele Amerikaner unmittelbar vor dem Angriff auf den Irak tatsächlich davon überzeugt, dass eine große Gefahr für Amerika von dem irakischen Hussein-Regime ausgehen würde. Dies war auch der Erfolg einer über Monate gebetsmühlenartigen Wiederholung eines absurden Bedrohungsszenarios der Bush-Administration. Eine massive Emotionalisierung fand im Vorfeld durch die Terroranschläge des 11. September auf das WTC und die Berichterstattung statt. Die berechtigte Empörung – nicht nur der amerikanischen Gesellschaft – wurde sofort genutzt, um Stimmung gegen alle »Schurkenstaaten« zu machen. Die derzeitige US-Regierung versteht unter dem diffamierenden Begriff »Schurkenstaaten« Länder wie zum Beispiel den Irak, Iran, Nordkorea, Kuba und Libyen.

Immer gut unterhalten

»Nur nicht langweilig werden. Nur keine Öde. Nur nicht die Gesinnung auf den Präsentierteller legen. […] Der Rundfunk soll niemals an dem Wort kranken, man merkt die Absicht und wird verstimmt.« Joseph Goebbels(3)

Als Unterhaltung getarnte Überzeugungsarbeit wirkt besonders gut, wenn die Rezipienten glauben, selbst zu einer Schlussfolgerung gekommen zu sein. Also nicht die platte Vorgabe von Parolen und vorgefertigten Urteilen, sondern das subtile, versteckte, nicht offengründige Unterschieben und Nahelegen von Erkenntnissen lässt Propaganda erst richtig wirken. Nicht umsonst legte Joseph Goebbels großen Wert darauf, dass einer der übelsten Hetzfilme »Jud Süß« nicht als Propagandafilm angekündigt oder in der Presse als solcher besprochen werden durfte. Die Menschen sollten unvoreingenommen dem Film begegnen, was nachweislich die Propagandawirkung massiv stärkte.(4)

(3) zit. n.: Diller, Ansgar: Rundfunkpolitik im Dritten Reich. München, 1980, S. 143ff.
(4) Kino gegen Gewalt: Informationen zu den Filmen »Jud Süß« und »Hitlerjunge Quex«
»Der ewige Jude«: sehr umfangreiche und informative Abhandlung von Stig Hornshøj-Møller über Geschichte und Inhalt des nationalsozialistischen Propagandafilmes.

Aber auch nicht so deutlich in Ihrer propagandistischen Wirkung erkennbare »Unterhaltungswerke« zählen zu dieser Kategorie. Allerdings sind diese Werke meist nur im zeitlichen Zusammenhang verständlich. Liedtexte, wie »Davon geht die Welt nicht unter« oder »Ich weiß, es wird einmal ein Wunder geschehen« von der schwedischen Sängerin Zarah Leander, wirken auf den ersten Blick relativ neutral. Erst durch den historischen Zusammenhang lässt sich die eigentliche Bedeutung erkennen. Diese Lieder wurden in der Zeit des Zweiten Weltkrieges, als die deutschen Truppen immer weiter zurückgeschlagen wurden und die ersten Bombardements die deutschen Städte erreichten, immer häufiger im Nazihörfunk gespielt. Der Text »ich weiß, es wird einmal ein Wunder geschehen«, spielt eindeutig auf die Ankündigung der Naziführung an, mit einer Wunderwaffe den Krieg gegen die Alliierten doch noch gewinnen zu können.
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Ein weiteres Beispiel für solche »Unterhaltungsware« ist der heute noch gerne gezeigte Film »Casablanca«. Als der Film gedreht wurde, gab es eine sehr heftige Diskussion in den USA, ob man in diesen Krieg eingreifen dürfe oder sich neutral verhalten müsse. Dieser Liebesfilm richtete sich besonders an die amerikanische Bevölkerung, um diese zu mobilisieren, gegen Nazi-Deutschland in den Krieg zu ziehen.

Einmal Feind immer Feind

Ein recht wirkungsvolles Verfahren ist auch die Übernahme schon bekannter Muster und deren anschließender Umdeutung.
Für den Nazipropagandafilm »Hitlerjunge Quex« wurden z.B. allgemein bekannte Formen des Arbeiterfilms der 20er und 30er Jahre übernommen. Die politischen Schlussfolgerungen waren aber völlig andere. In diesem Film werden die Kommunisten als ungeordneter, verwahrloster Haufen dargestellt. In ihren Jugendorganisationen verführen sie die Jugend zum Drogenkonsum (Alkohol und Tabak) und kennen keinerlei Solidarität untereinander, so der Film. Die Hitlerjugend hingegen wird als aufrichtiger Jugendverband dargestellt, deren Mitglieder ihren selbstlosen Zielen und Idealen bis in den (Helden-)Tod treu bleiben. Am Schluss des Films wird der schmächtige HJler Quex von den Kommunisten ermordet und das Bild des sterbenden Jungen wird in einen Fahnenaufmarsch überblendet. Auf der Tonspur ist das für diesen Film von Baldur von Schirach (Reichsjugendführer der NSDAP) verfasste Lied »Unsere Fahne flattert uns voran« zu hören. Durch diese Musikuntermalung wird die Szene weiter verstärkt. Dieses Lied, dessen Text als Zusammenfassung des Films verstanden werden kann, wurde zu einem der bedeutendsten Lieder der Hitlerjugend gemacht. Auch hier ist wieder die permanente, im damaligen Alltag immer wiederkehrende Verknüpfung zur Emotionalisierung erkennbar, beispielhaft im Film durch das Lied verstärkt.(5)

(5) Medienerziehung in der Schule (Bsp. Geschichtsunterricht mit dem Film »Hitlerjunge Quex«)

Immer wieder wird auch das Propagandamuster verwendet den Gegner unglaubhaft zu machen und ihm eine trügerische Verwandlungsfähigkeit zu unterstellen.

In der Aufmarschzeit zum letzten Irakfeldzug der USA und ihrer Verbündeten, wurde von diesen zum Beispiel ohne Unterlass behauptet, der Irak sei in Besitz von Massenvernichtungswaffen. Und obwohl die UN-Waffeninspekteure allen ihnen zur Verfügung gestellten Hinweisen nachgegangen sind, konnten sie keine Massenvernichtungswaffen finden. Bis heute wurden auch von der US-Regierung oder einer ihrer Verbündeten für diesen Vorwurf und gewichtigen Kriegsgrund keine Beweise vorgelegt. Der angebliche Besitz von Massenvernichtungswaffen des Iraks war eine wesentliche Legitimitätsstütze für diesen völkerrechtswidrigen Angriffskrieg. Dem irakischen Regime unter Saddam Hussein wurde unterstellt, es belüge und täusche die UN und die Weltöffentlichkeit.

Die Verwandlungsfähigkeit des Feindes wird in dem Film »Lifeboat« (Rettungsboot) von Alfred Hitchcock sehr anschaulich dargestellt. Durch Kriegshandlungen im Zweiten Weltkrieg bringt das Schicksal mehrere Schiffbrüchige in einem Rettungsboot auf hoher See zusammen. Unter ihnen befindet sich auch ein deutscher U-Boot-Offizier. Durch seine Verschlagenheit kann er die anderen Bootsinsassen sehr lange täuschen und das Rettungsboot auf den Kurs eines deutschen Hilfsschiffs bringen. Erst in allerletzter Minute bemerken die anderen Insassen den Plan und erschlagen den Offizier. Kurz darauf werden sie durch ein alliiertes Schiff gerettet. Die Aussage des Films lässt sich kurz so zusammenfassen: Traue keinem Gegner, egal wie er sich gibt. Erscheint er in irgendeiner Form vielleicht sogar menschlich, dann verstellt er sich nur, um seine wahren Ziele zu verbergen. Einmal Feind immer Feind.

Wahrheit – Feind aller Kriegsherren

Von besonderer Bedeutung für die Propagandisten sind heute das inszenatorische Geschick und der Umgang mit den Medienvertretern. Wann und wie werden Informationen präsentiert? Wie wurde darauf vorbereitet? Was wird preisgegeben? Mit verkürzten Infos, ausgesuchten Halbwahrheiten, gezielten Lügen und wohldosierten Übertreibungen lassen sich Medienschlachten gewinnen.(6)

(6) Die Rolle der Medien im Krieg beleuchtet Dirk Schneider sehr deutlich in seinem Artikel: Verlust der Wahrheit – Kriegspropaganda und das Versagen der Medien, iminform-newsletter 2003-01. Hrsg. iminform – Institut für Medieninformation, Januar 2003. Hierzu siehe auch Rolf Seip, ebenso im iminform-newsletter 2003-01: Medien-Krieg – Kriegs-Medien – Medien-Krieger? und der »gerechte Krieg«

Ein gutes Beispiel propagandistischer Inszenierung ist die Aufführung des amerikanischen Außenministers Collin Powell vor dem Sicherheitsrat der Vereinten Nationen. Sehr lange vor dem eigentlichen Auftritt wurde immer wieder die Offenlegung von Materialien angekündigt, die belegen sollten, dass der Irak im Besitz von Massenvernichtungswaffen sei. Einer Ankündigung folgte die nächste. Und wie in jedem Theaterdrama erschien nach etlichen Vorankündigungen Collin Powell als Held und Retter in der Not auf der Bühne. Der Auftritt im UN-Sicherheitsrat war genau durchinszeniert und glich stellenweise einer Multimediashow. Die mediale Ankündigung und der Auftritt waren gut gelungen, aber inhaltlich völlig belanglos.

Babymord und andere Gräueltaten

Manchmal offenbaren sich trotz guter Vorbereitung und Inszenierung angeblich wahre Medienberichte als das, was sie wirklich sind: gezielte Propagandalügen. Beleuchten wir abschließend zwei Fälle, die die Menschen von der Richtigkeit eines militärischen Eingreifens überzeugen sollten:

  • Fall 1:
    1990 tritt ein 15-jähriges kuwaitisches Mädchen namens Nayirah vor die Presse. Unter Tränen und völlig erschüttert berichtet sie, dass irakische Soldaten beim Einmarsch ins Scheichtum Kuwait Babys aus ihren Brutkästen gerissen hätten und diese elendig sterben ließen. 312 Babys sollen so umgekommen sein.
    Die Weltöffentlichkeit war schockiert und der UN-Sicherheitsrat stellte dem Irak das Ultimatum, bis zum 15. Januar 1991 das besetzte Scheichtum Kuwait zu verlassen. Da sich die irakischen Truppen nicht zurückzogen, kam es zum Krieg.
    Im Nachhinein stellte sich heraus, dass die ganze Geschichte von der amerikanischen PR-Agentur Hill & Knowlton erfunden wurde. Das 15-jährige Mädchen war außerdem die Tochter des kuwaitischen Botschafters in Washington.
    Angebliche Baby- und Kindermordgeschichten sind seit den ersten Kreuzzügen in der Propaganda bekannt. Insbesondere unschuldige und schwache Gewaltopfer wie Kinder, Frauen und Greise, dienen immer wieder dazu, Empörung auszulösen um dann zum Handeln aufzufordern.
  • Fall 2:
    1992 gingen Bilder von ausgehungerten Männern hinter Stacheldraht um die Welt. Diese Aufnahmen hatte ein englisches Fernsehteam gemacht. Angeblich wurde ein Folter-»KZ« in Ex-Jugoslawien gezeigt. Später stellte sich heraus, dass die gefilmten Männer noch nicht mal eingesperrt waren.
    Dieser und ähnliche Berichte dienten dem damaligen »Verteidigungsminister« Rudolf Scharping (SPD) dazu, die Öffentlichkeit von der Richtigkeit einer deutschen Beteiligung am Kosovo-Krieg zu überzeugen.
    Ein Nichteingreifen wurde mit der Tolerierung von KZs und Völkermord gleichgesetzt. Linke Friedensaktivisten gerieten so in ein großes moralisches Dilemma, dass selbst die Partei »Die Grünen«, die sich immer ihrer Nähe zur Friedensbewegung rühmte, als Regierungspartei den ersten Kampfeinsatz der Bundeswehr mitgetragen hat.

Berechtigter Zweifel und notwendiges Hinterfragen

Ganz deutlich offenbaren diese Lügen, dass insbesondere dann ein kritisches Überdenken angesagt ist, wenn scheinbar keine alternativen Handlungsoptionen offen stehen. Entweder-oder-Argumentationen verbauen (mit Absicht) den Blick auf andere Lösungswege. Das gleiche gilt für massive Emotionalisierungen.

Rolf Seip

(Dieser Text erschien bereits als Bestandteil des »iminform-newsletter«, Ausgabe 2003-05 – ISSN 1617-187X.)

Links zum Thema:

Literatur und Videos:

  • R. Gier-Seibert/ H.-E. Landwehr: Mobilisierung Jugendlicher im »Dritten Reich« am Beispiel des Spielfilms »Hitlerjunge Quex«. Videodokumentation einer Unterrichtsreihe im Fach Geschichte (10. Jahrgang Gymnasium), Münster 1998.
  • Stefan Mannes: Antisemitismus im nationalsozialistischen Propagandafilm. Der ewige Jude und Jud Süß, Köln 1999.
  • Lernen aus der Geschichte: Projekte zu Nationalsozialismus und Holocaust in Schule und Jugendarbeit, Bonn 2000. (CD-ROM und Begleitbuch)

Informationen nach dem Irak-Krieg: Beispiele für Propaganda

Kriegsgrund

Propaganda

Propaganda und Medienmanipulation in anderen militärischen Konflikten

  • Das täuschende ITN-Bild und der Prozess gegen LM
    Im August 1992 ging ein Bild von Muslimen hinter Stacheldraht um die Welt. Es suggerierte die Existenz KZ-ähnlicher Lager im Norden Bosniens. In Wirklichkeit gab es aber keinen Stacheldraht um die gefilmten Muslime und um das Transit- und Flüchtlingslager Trnopolje. Der Stacheldraht umzäunte vielmehr die britischen Reporter, die diese Aufnahme schossen. Sie standen auf einem kleinen stacheldrahtumzäunten Grundstück neben dem eigentlichen Lagergelände und filmten von dort hinaus.
    Am 14. März 2000 fällte das High Court in London ein brachiales Urteil: im vom britischen Nachrichtensender ITN angestrengten Verleumdungsprozess gegen LM (Living Marxism) wurden Mick Hume, LM-Chefredakteur, Helene Guldberg, LM-Verlegerin und der Verlag Informinc (LM) für schuldig befunden und zu Schadenersatzzahlungen von insgesamt £ 375.000 verurteilt.
    Das Novo-Magazin dokumentiert neben zahlreichen Fakten um den Prozess in London auch die kontroverse deutsche Debatte zur »größten Medientäuschung des Bosnienkrieges«.
  • Krieg, Medien, Manipulation – Seminardokumentation
    Am 24. März 1999 begann die NATO unter Beteiligung Deutschlands einen Luftkrieg gegen Jugoslawien. Die durch die Medien verbreitete Behauptung, die jugoslawische Staatsführung bereite einen Völkermord gegen die albanische Bevölkerung im Kosovo vor, trug wesentlich dazu bei, dass der Krieg trotz Widerspruch zu Grundgesetz und Völkerrecht von Politik, Bevölkerung und Gewerkschaften mehrheitlich getragen wurde.
    Das DGB-Bildungswerk Thüringen e.V. und die IG Metall Bezirksleitung Frankfurt veranstalteten im April 2000 ein gemeinsames Wochenendseminar »Krieg, Medien und Manipulation«. Gemeinsam mit Journalisten wurden Fälle gezielter Manipulation im Irak-, Bosnien- und Kosovo-Krieg untersucht und Kriterien entwickelt, wie kritisch mit Informationen umgegangen werden kann.
    Eine Kurzdokumentation des Seminars mit ausführlichem Materialanhang kann beim DGB-Bildungswerk Thüringen e.V. bestellt werden: julika.buergin@dgb-bwt.de

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