Interview mit Prof. Dr. Haller (Professor für Allgemeine und Spezielle Journalistik an der Universität Leipzig)

Michael Haller lehrt an der Universität Leipzig das »Handwerkszeug« für zukünftige Journalistinnen und Journalisten. D-A-S-H wollte wissen, wie ein Experte zwischen Wissenschaft und Praxis die aktuellen Entwicklungen auf dem Medienmarkt einschätzt. Die »eingebetteten« Journalisten wurden als die neue Variante der Kriegspropaganda bezeichnet – dem widerspricht Prof. Haller. Er zeigt das Bild einer Medieninszenierung, die mit dem 11. September 2001 begann und unterschiedliche Berichterstattungen bis in den Irak-Krieg hinein hervorrief. Nicht zuletzt fordert Michael Haller gerade für die Berichterstattung in Krisenzeiten die Rückbesinnung auf das Handwerkszeug des Journalismus.

Wenn Sie sich die Informationsvermittlung der Medien zum Irak-Krieg ins Gedächtnis rufen, können Sie ein Beispiel für eine besonders gelungene oder eine besonders fragwürdige Berichterstattung nennen?

Sehr wohltuend habe ich in Erinnerung die Vor-Ort-Berichte von Rainer Maria Fröhder in den ARD-Nachrichtensendungen – da spürte man Professionalität und Augenmaß.

Was RTL betrifft, so hatte Harald Schmidt schon Recht: die Bemühung, dass die Haarfrisur auch bei Wüstenwind sitzt, war das Auffälligste. In den großen Zeitungen (Süddeutsche, FAZ, sogar die Welt) gab es immer wieder gute Berichte, die aufzuzählen den Rahmen sprengen würde.

Wie beurteilen Sie die »embedded correspondents… die diesjährige Variante der Kriegspropaganda« (Johanna Haberer in »M-Menschen machen Medien« 5/2003)?

Das ist an sich nichts Neues. Im Krieg gibt es nur Parteien, auch bei den Journalisten. Wer nicht auf einer Seite steht, der ist ein potenzieller Selbstmörder. Und wer auf der einen Seite steht, sieht nur diese, kennt nur deren Sicht der Dinge, ob eingebettet oder eingekleidet. Ich denke, Frau Haberer irrt. Der Knüller ist ein anderer: Zum ersten Mal konnte es sich eine Kriegspartei leisten, ihre Journalisten auch ganz offiziell als das zu bezeichnen, was sie in Kriegszeiten schon immer sind, aber zu verbergen suchen: Parteimitgänger. Das ist die eine Sache. Die andere ist darin zu sehen, dass wir im Westen zum ersten Mal auch handwerklich solide gemachte Gegeninformationen bekamen vor allem durch den Sender Al Jazeera. Und das dritte ist dies: Derzeit ist der ideologische Fundamentalismus in den USA so ausgeprägt, dass die Networks dort solche Gegenbilder gar nicht zeigen konnten oder wollten. Alternative Informationen, also Aufklärung waren unerwünscht.

In Ihrem Essay »Der Journalismus: Rollenspieler im Medien-Theater« in merz 6/2002 legen Sie dar, wie die Medienberichterstattung in den USA zum 11. September mehrere voneinander abgrenzbare Phasen durchlief. Diese Phasen ließen sich anhand der Berichterstattung und deren Informationsgehalt charakterisieren. Entscheidend waren aber auch das Versagen des Journalismus als Orientierungssystem durch die permanente Präsenz von Patriotismus, die »Dämonisierung« der Attentäter und Vergeltungsforderungen. Die Medienberichterstattung zum Irak-Krieg verlief ähnlich. Können Sie Parallelen benennen?

Nicht Parallelen, eher eine Fortsetzung mit Steigerungen. Eine Fortsetzung, weil es im Falle des Irakkriegs um Revanche ging. Die Bush-Administration konnte über die Medien dem Publikum einreden, dass Saddam mit Bin Laden kooperiere. Solche und ähnliche Verdrehungen haben die Medien widerspruchslos verbreitet. Sie haben in vielen Berichten, Kommentaren, sog. Experteninterviews und Statements von Prominenten für eine zunehmende Konsonanz im öffentlichen Meinungsbild gesorgt. Wenn irgendwann und irgendwo in einer Demokratie das berühmt-berüchtigte Theorem der Schweigespirale zutrifft, dann im Vorfeld wie auch während des Irakkriegs. Die Mainstream-Meinung, dass die USA der Sheriff der Welt seien und nun endlich den Gangster Saddam ausräuchern müssten, ließ keine andere neben sich gelten. Als ein renommierter Reporter der New York Times vor dem erlauchten Eltern-Publikum eines Elite-Internats über die völkerrechtlichen Probleme des Irakkrieges sprach, wurde ihm das Mikrofon abgestellt. Das ist noch krasser als im einstigen Sowjetsozialismus: Dort waren es Parteifunktionäre, die das freie Wort unterbanden. In den USA ist es derzeit das Volk selbst.

Welche Rolle spielte dabei die Konstruktion von Feindbildern durch die Medien: Welche Unterschiede gab es zwischen der US-amerikanischen oder britischen Berichterstattung und der bundesdeutschen?

Viele amerikanische Kollegen sagten mir, sie müssten derzeit BBC International hören oder den Guardian lesen, um sich zu informieren. Tatsächlich ist der britische Journalismus den Prinzipien der Neutralität, der Recherche und der Quellentransparenz viel eher nachgekommen als der US-amerikanische. Auch nach dem Irakkrieg war es ein Reporter von BBC, der diese Heldengeschichte der angeblichen Gefangenenbefreiung durch US-Soldaten nachrecherchierte – und feststellte, dass es weitgehend gelogen war: ein guter PR-Schachzug. Erst danach hat sich Der Spiegel des Themas angenommen und die Recherche von BBC nacherzählt. Das Beispiel zeigt: In Deutschland ist man weiter weg, hat mehr Distanz und war schon vorher zum Irakkrieg eher skeptisch eingestellt. Außerdem wollte man die Amerikaner nicht ärgern, also unterließ man eigenständige kritische Recherchen und wartete auf BBC: wenn die das bringen, dann dürfen wir auch. Typisch deutsch, sofern es dies gibt.

Wie kann der zunehmenden Inszenierung von Ereignisthemen entgegengewirkt werden?

Im Fernsehen wohl gar nicht. Sondern nur über die Zeitungen, sofern sie über den Trend zur Inszenierung kritisch – aufklärerisch schreiben.

Welche Forderungen erheben Sie an den Journalismus – besonders in Krisensituationen und bei politischen Ereignissen von Weltbedeutung?

Zurück zu den handwerklichen Tugenden des Kleinen Einmaleins.

  • Bleibe jedem (auch deiner eigenen Ansicht) gegenüber skeptisch, kurz: glaube niemand.
  • Sei neugierig und gehe allen Dingen so weit möglich auf den Grund. Kurz: halte alles für möglich!
  • Überprüfe alle wichtigen Informationen durch Gegencheck so weit wie möglich. Kurz: Stimmt es überhaupt?
  • Mache alle wichtigen Quellen, so weit sie Parteivertreter sind, kenntlich, kurz: Pflege Quellentransparenz.
  • Überprüfe deine eigenen Motive, warum Du diese Geschichte erzählen willst: Wie viel Eitelkeit, wie viel Gefälligkeiten stecken drin? Kurz: Bleibe selbstkritisch!

Vielen Dank für das Interview!

Links:

  • Reporter ohne Grenzen
    Homepage der weltweiten Organisation, die sich für die Gewährung der Pressefreiheit und die uneingeschränkte Berufsausübung von Journalistinnen, Journalisten, Fotografinnen und Fotografen und Kameraleuten einsetzt. Mit zahlreichen Berichten über die Verletzungen der Pressefreiheit und gewaltsamen Vorgehen gegen JournalistInnen besonders in Krisenregionen aber auch in allen anderen Ländern.
  • Der Irak-Krieg und die Medien
    Eingebettete Reporter, Militär-Zensur und manipulierte Bilder: In einem interaktiven Video-Dossier, das die Vorteile von Web und TV vereint, setzt sich tagesschau.de mit der Rolle der Medien im Irak-Krieg auseinander. Das Format ergänzt Video-Beiträge der ARD durch eingeblendete Zusatzinformationen, Verweise auf weiterführende Artikel von tagesschau.de und Links zu externen Angeboten im Internet.
  • Medientagung Münster
    Vom Fernsehbild zum Feindbild? Journalismus zwischen Kriegspropaganda und Friedenskultur – ausgewählte Beiträge der bereits 2001 stattgefundenen Medientagung werden hier dokumentiert.

Nächster Artikel: Nazis in der Friedensbewegung