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Interview mit dem Ostermarsch Leipzig e.V.Seit wann besteht eure Gruppe/Initiative? Gab es einen konkreten Gründungsanlass? Unsere Gruppe besteht seit 1991. Ausgangspunkt war damals der erste Golfkrieg. Da fand sich die Gruppe erstmals zusammen, um etwas gegen diesen Krieg zu machen. Ein Jahr später gab es die Idee langfristig friedenspolitisch wirksam zu sein. Im Jahre 1996 wurde dann ein Verein um die Aktion des Ostermarsches herum gegründet. Die eigentliche Aktion unseres Vereins ist der Ostermarsch, eine dreitägige Fahrradtour. Auf diese Weise sind wir in vielen Ortschaften unterwegs und diskutieren unser Anliegen mit und unter ca. 150 TeilnehmerInnen aus weiten Teilen der »Republik«, aber auch mit der Bevölkerung vor Ort. Die OrganisatorInnen sind hauptsächlich junge Leute aus unterschiedlichen friedenspolitischen Umgebungen und haben sich im Laufe der letzten 11/12 Jahre immer mal wieder »erneuert«. Von Beginn an, ist es unser Ziel offen gegen Militarismus, Rüstung und Neofaschismus einzutreten. Der erschreckend vorangetriebene Sozialabbau und die drückenden Arbeitslosenzahlen dürfen nicht hingenommen werden. Unser Anliegen ist es, für einen dauerhaften Frieden aktiv zu werden und viele Bürger für diesen Kampf zu mobilisieren. In diesem Anliegen ist auch die Förderung des Zusammenlebens aller Menschen ohne Rassismus, Krieg und Militarismus mit eingeschlossen. Für uns gehört der Widerstand gegen alle Formen der Militarisierung, der Rüstung und gegen Kriege unlösbar mit dem sozialen und dem antifaschistischen Widerstand zusammen. Worin bestehen die Schwerpunkte eurer Arbeit? – Mit welchen Aktionen und Mitteln bringt ihr euer Anliegen in die Öffentlichkeit? Unsere Aktionsformen sind Kundgebungen, Demos, Themenabende, Konzerte, Presse, Flugblätter, Oma-Zeitung usw. Verbreitet werden unseren Informationen dadurch, dass wir 3 Tage lang durch viele Ortschaften fahren. Schwerpunkte unserer Arbeit sind eine breite Bündnisarbeit, Jugendarbeit und Bildungsarbeit.
Könnt ihr ein Beispiel einer besonders wichtigen/erfolgreichen Aktion nennen? Jeder Ostermarsch ist besonders wichtig und es gibt auch in jedem Jahr besondere Erfolge. Sei es, dass wir in irgendeiner Stadt mit den Menschen besonders gut zusammengearbeitet haben (oft entwickeln sich daraus längerfristige Kontakte und auch Freundschaften) oder sei es, dass wir besonders viele Menschen auf eine friedenspolitischen Weg gebracht haben. Oder sei es, dass wir einfach jemandem oder einer Gruppe Mut und Kraft zum Kämpfen gegeben haben. In der Aktion des Ostermarsches steckt nämlich eine ganze Menge an potentieller Energie. Auf welche Probleme, Widersprüche und Fragen stoßt ihr bei eurer Arbeit? Da wir an unsere Arbeit einen recht breiten Anspruch haben, stoßen wir sehr oft an unsere Leistungsgrenzen. Wir schaffen nie alles, was wir uns vorgenommen hatten und manchmal überwiegt ein Schwerpunkt und ein anderer fällt in dem Jahr ganz unter den Tisch. Außerdem bedarf es immer wieder an neuen MitstreiterInnen, die das Interesse an schon mehrfach genannten Themen nicht nur äußern, sondern den Ostermarsch aktiv mitgestalten. Es ist oft so, dass Verantwortung für eigenes Tun und Denken nicht vollständig für sich übernommen werden will. Wir stoßen hier in Leipzig oft auf den Vorwurf: »Ihr versteift euch doch nur auf den Antifaschismus«. Das ist ein gutes Beispiel dafür auf wie viele Fragen und Widersprüche wir in unserer Arbeit stoßen. Was hat eine Gesundheitsreform oder überhaupt dieser rasante Sozialabbau (Innenpolitik) mit dem Besuch der Gedenkstätte des ehemaligen KZ Mittelbau-Dora (Antifaschismus) oder mit der Fahrt zur Colbitz-Letzlinger Heide (Größter Nato-Truppenübungsplatz – Antimilitarismus) zu tun? Was hat der Irakkrieg mit Deutschland zu tun, wieso mutiert Deutschland gerade zum Friedensengel? Und worin begründet sich Deutschlands Verhalten? (Außenpolitik) Und was bitte schön hat denn das mit wieder mit der Information von Rüstung und dessen Finanzierung während des Faschismus zu tun? Wir thematisieren sowohl z.B. die Umstrukturierung der Bundeswehr als auch z.B. die momentane geschichtsrevisionistische Gedenkstättenpolitik am Beispiel der Gedenkstätte des ehem. KZ Buchenwald. Ein wichtiger Grundsatz von uns wurde oben schon genannt. Nämlich dass der Widerstand gegen alle Formen der Militarisierung, der Rüstung und gegen Kriege unlösbar mit dem sozialen und dem antifaschistischen Widerstand zusammen gehört. Denn Faschismus entsteht nicht einfach so, und auch kein Krieg »passiert« einfach, weil zum Beispiel die momentane Regierung besonders militant ist oder ähnliches… der Boden muss für solcherlei Politik wohl auch fruchtbar sein, beziehungsweise wird er auch (bes. gesellschaftspolitisch) fruchtbar gemacht. Soziale Faktoren spielen dabei unseres Erachtens keine untergeordnete Rolle. Zum Beispiel das massive Eindringen der Bundeswehr in den zivilen Bereich (Arbeitsplätze, Verträge mit Krankenhäusern, Post…) bedeutet nicht nur eine Militarisierung der Gesellschaft, sondern diese hat auch ihre Fruchtbarkeit in der Bevölkerung durch die arbeitsmarktpolitische Lage. Mit einer geringeren Arbeitslosenquote würde es wahrscheinlich keine Demonstrationen für den Erhalt von Bundeswehrstandorten geben. Diese enorm hohe Arbeitslosenquote ist also sehr nützlich und soll auch nicht wirklich verringert werden (denn es gibt genug Arbeit, es wird immer mehr auf immer weniger Schulter verteilt – damit ist nicht der Verwaltungsapparat gemeint) – hier gibt es viele Ansätze und Faktoren, die eine wichtige Rolle spielen, aber das würde jetzt wohl den Rahmen sprengen. Wir haben in jedem Jahr tw. auch sehr heftige Diskussionen um und über verschiedene Themenschwerpunkte. Und nicht immer kommen wir zu einer Einigung. Wir sind eben auch keine homogene Substanz. Doch es gibt immer den Punkt, wo wir uns einig sind und das ist der Wille zum Frieden. Und der wird weltweit und auch hierzulande immer mehr gefährdet bzw. ist schon gar nicht vorhanden und die kriegerischen »Auseinandersetzungen« werden immer brutaler, offener und werden auch uns erreichen. Außerdem ist u.a. Deutschland (indem wir nun mal leben) treibende Kraft in diesem Prozess. Dessen sind wir uns bewusst und dagegen richtet sich unsere gemeinsame Arbeit. Nicht zuletzt steht bei uns natürlich auch die Frage nach der Finanzierung, wie wohl überall. Mit welchen Projekten/Initiativen arbeitet eure Gruppe zusammen? Gab es in den letzten Monaten neue Kontakte oder Zusammenarbeit (z.B. mit den Schülergruppen), die neue Perspektiven eröffnet haben oder engagierte Menschen zu euch brachten? Es gibt sehr viele Gruppen, Einzelpersonen und Initiativen, mit denen wir zusammenarbeiten oder schon zusammengearbeitet haben. Alle aufzuzählen, dazu reicht der Platz nicht aus. Das Spektrum ist sehr breit und reicht von der Gewerkschaft bis zu Antifa-Gruppen. Beispiele aus diesem Jahr: PDS-Gruppen aus Leipzig, Halle, Sangerhausen, Nordhausen, Herreden; Attac- Halle, Rotfüchse Hettstedt, FDJ, BdA Leipzig und Nordhausen, Solid Nordhausen, Jugend für Dora e.V., Gedenkstättenleitung von Mittelbau-Dora, vereinzelt auch Bürgermeister, Friedenszentrum Leipzig e.V., Eine-Welt-Laden Halle, Aktionskreis Frieden und viele Einzelpersonen. Es gibt auch eine kontinuierliche Zusammenarbeit mit verschiedenen PDS-Gruppen (besonders aus Leipzig und dem Umland), verschiedenen Antifagruppen (aus Leipzig allerdings kaum), FDJ (Sachsen, Berlin), IG-Metall (Verdi) Leipzig, Bund der Antifaschisten Leipzig und Berlin und viele Einzelpersonen. Wie beurteilt ihr die momentane Haltung der Bundesregierung? Was ist eure Kritik? Dazu einfach ein Auszug aus unserer Presseerklärung vom 18.04.2003: … Unsere rot-grüne Regierung hat während der Wahl zweifellos von ihrem Friedensgeplänkel profitiert. Pünktlich zur Wahl hörte die uneingeschränkte Solidarität zu den USA nämlich auf. Was für eine »Demokratie« ist hier überhaupt gemeint? Soll dieses Muster in den Irak importiert werden? Welch wahrhafte Humanität!? Im Zusammenhang mit den deutschen KriegsgegnerInnen wird häufig von antiamerikanischen Vorurteilen gesprochen. Welche Einschätzung habt ihr zu den betreffenden Parolen und Äußerungen? Auf den Massenkundgebungen gegen den Irakkrieg in vielen Städten Deutschlands gab es schon eine antiamerikanische Tendenz, wobei die Erscheinung regional unterschiedlich war. Wir denken aber auch, dass diese Friedensbewegung im Sinne der Regierung gefördert wurde, wobei die Medien eine große Rolle spielten und damit auch das neue Feindbild: USA. Als wir 1999 gegen den Jugoslawienkrieg demonstrierten, sprachen wir vor ca. 150 Menschen. Als wir auf einer Leipziger Kundgebung gegen den Irakkrieg sprachen, standen wir vor etwa mehreren tausend Menschen. Das hatte einen arg bitteren Beigeschmack. Die Rolle Deutschlands wurde auf den Demonstrationen so gut wie gar nicht berührt. Wie kann es möglich sein, dass unsere Regierung heute von verletzten Menschenrechten, von Abwendbarkeit des Krieges, von diplomatischer Lösung spricht, während sie gestern mit einer unglaublichen Leidenschaft für einen Krieg in die Bresche sprang! Ist die selbe Regierung in so kurzer Zeit etwa friedlich geworden? Die USA machen nämlich das Gleiche wie vier Jahre zuvor die BRD. Sie bombardieren ein souveränes Land ohne UN-Mandat! Sie bombardieren es nicht nur, sie machen es platt und wirtschaftlich abhängig. Die Zivilbevölkerung bleibt nicht verschont. Im Gegenteil, es gibt viele Beispiele dafür, dass bewusst nicht militärische Stellungen bombardiert wurden. (Bewusst? Nun, wenn die Brücke von Vavarin beispielsweise dreimal in kurzen Abständen beschossen wird. Diese befand sich weitab jeglicher militärischer Stellung. Dabei wurden aus Versehen leider ein paar zivile Opfer in Kauf genommen. Nämlich Kinder, die extra aus der gefährdeten Stadt aufs Dorf geholt wurden, um sie keiner Bombe auszusetzen.) Für uns gilt, dass wir jede Friedensbewegung unterstützen, in dieser Zeit besonders die in den USA sowie die des Irak. Dass wir Formen finden gegen diesen noch nicht beendeten Krieg sowie gegen jeden Krieg zu kämpfen. Wir wollen gegen Kriegstreiber und Kriegsmacher mobil machen und nicht gegen Völker! Kann eine Friedensbewegung auch Feinde und Feindbilder haben? Jeder Kriegstreiber ist ein Feind einer Friedensbewegung. Damit ist nicht unbedingt die Einzelperson gemeint, sondern in erster Linie die Institution (Siemens, Deutsche Bank, …) sowie das gesellschaftliche Umfeld, welches dieses fördert, unterstützt oder/und selber vorantreibt (Regierung, div. Medien, neofaschistische Elemente usw.). Traten bei Euren Protesten auch rechte Jugendliche auf? Wenn ja: Wie wurde auf sie reagiert – wurde sich mit ihren Parolen auseinandergesetzt – nahmen sie an den Demonstrationen teil? Bei uns herrscht absoluter Konsens: Es wird kein Nazi zwischen uns auf unserer Friedenstour geduldet! Wir treffen dafür in jedem Jahr neue Vorbereitungen. Da wir relativ häufig auch Gedenkstätten ehemaliger Konzentrationslager besuchen, dreht sich mir bei der Vorstellung allein, bei uns würden Nazis mitradeln, schon der Magen herum. Welche Perspektiven seht ihr für die Protestbewegung nach Ende des Irakkrieges? Wie wird eure weitere Arbeit aussehen? Unsere Arbeit bestand bisher nie nur aus aktuell-politischen Themen. Auch die TeilnehmerInnenzahl am Ostermarsch hängt komischerweise nicht an einer momentan besonders aktiven Friedensbewegung. Viele TeilnehmerInnen setzen sich auch wirklich zum ersten Mal während des Ostermarsches mit bestimmten Themen auseinander. Unsere Arbeit haben wir gut gemacht, wenn sie sich beim nächsten Ostermarsch organisatorisch, inhaltlich oder sonst wie einbringen. Also aktiv werden und dazulernen. Vielen Dank für das Interview! Ostermarschseiten im Netz:Nächster Artikel: Linkliste |
Dossier #8: Friedensbewegung 2003: Neue Koalitionen und Feindbildkonstruktionen » Gesamtes Dossier als PDF-Datei
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Letzte Änderung: 2005-05-22 22:55:56 | info@d-a-s-h.org Impressum |