Aktion Analyse – Nach dem Aufstand der Anständigen

(Fotos von Armin Smailovic)

Mit einer breit angelegten Recherche ziehen Jugendgruppen in Brandenburg Bilanz: was bleibt nach zehn Jahren rassistischer Gewalt und einem Jahr Zivilcourage?

Die Schicksale von Amadeu Antonio, Noël Martin und Omar Ben Noui haben Ortsnamen wie Eberswalde, Mahlow und Guben weit über Deutschland hinaus einen besonderen Klang verliehen. Amadeo Antonio wurde 1990 in einem Wirtshaus totgeschlagen, Noël Martin ist querschnittsgelähmt, seit dem zwei Jugendliche 1996 einen Stein durch die Windschutzscheibe seines Autos warfen, Omar Ben Noui schließlich starb 1999 an den Schnittverletzungen, die er sich, auf der Flucht vor einer Jugendgruppe, bei dem Sprung durch eine Glastür zuzog. Eberswalde – Mahlow – Guben: Jagdszenen aus dem Land Brandenburg.

Man kann es nicht außergewöhnlich nennen, dass ein Vietnamese und ein Gambier am helllichten Tag in einer Fußgängerzone beschimpft und zusammengeschlagen werden. Es ist ganz sicher bemerkenswert, aber ebenso wenig ungewöhnlich, dass die lokalen Medien und Kommunalpolitiker von diesen Vorfällen, es kam niemand zu Tode, kaum Notiz nehmen. Es war, mit einem Wort, normal. In Bernau, wo sich diese beiden Ereignisse im Sommer 1998 zutrugen. Sie gaben – nicht dennoch, sondern genau deshalb – den Anstoß für die »Aktion Noteingang«, einer breit angelegten Kampagne, mit der zunächst Bernauer Jugendliche dem Panorama roher Gewalt und gutbürgerlicher Normalität den Kampf ansagten. Das Klima sollte geändert werden und Läden, Kneipen und Kultureinrichtungen mit einem einfachen Bekenntnis dazu beitragen: »Wir bieten Schutz und Informationen bei rassistischen und faschistischen Übergriffen.« Dass das Anbringen der gelben »Aktion Noteingang«-Aufkleber an den Eingangstüren nicht selbstverständlich, sondern – wenn es geschah – meist Ergebnis anhaltender Überzeugungsarbeit war, legte den Blick frei auf den Kern der Verhältnisse: Die betrunkenen Skinheads spitzen nur gewaltsam zu, was Eltern, Lehrer und Politiker letztlich auch für richtig halten.





Der Kampagne, die sich auf elf Gemeinden ausdehnte, gelang es, eine breite Diskussion zu erzeugen, deren Botschaft schließlich von den Bahnhofsvorplätzen nach Potsdam und Berlin drang: Es muss etwas passieren in Brandenburg. Nach zehn Jahren, in denen jedes Jahr hunderte Menschen geschlagen und einige getötet, die Zahl der Anschläge auf die KZ-Gedenkstätte Oranienburg nicht mehr gezählt wurden, war im Sommer 2000 die Zeit gekommen für »Zivilcourage«. Ein unpolitisch und etwas zahnlos klingender Begriff, dessen eindeutiger Adressat aber das Eingeständnis beinhaltete, dass es hier nicht um Bierlaunen randständiger Einzeltäter geht: der Rassismus kommt aus der Mitte der Gesellschaft. Die Bundes- und die Landesregierung, Parteien, Gewerkschaften und Medien gründeten Stiftungen und stifteten Bündnisse, die zunächst widersprüchlich erscheinende Aktivitäten entfalteten. Das polizeiliche Sondereinsatzkommando MEGA wurde aufgestellt, Gelder für die Förderung von Neonazi-Renegaten und antirassistische Organisationen bereitgestellt. Die Politiker riefen die »Mitte der Gesellschaft«, sich zum »Aufstand aller Anständigen« zu formieren.

Ein gutes Jahr später ist von Aufstand und Anstand keine Rede mehr und die Zeit gekommen, Bilanz zu ziehen. Was ist aus den großen Plänen, dem »Handlungskonzept Tolerantes Brandenburg« geworden, was hat die »Aktion Zivilcourage« bewirkt und was bitte tut die Potsdamer Landesregierung in den diversen Gremien, die nicht nur sich selbst, sondern den Kampf gegen rechts koordinieren sollten? Zusammengefasst: Was kommt aus der großen Politik in kleinstädtischen Jugendzentren und Flüchtlingsheimen an?

Genau das wollen die Jugendgruppen, die schon die »Aktion Noteingang« initiierten, mit der im September 2001 gestarteten »Aktion Analyse« herausfinden. Jugendliche und aktive Gruppen sind aufgerufen, selbstständig in ihren Kommunen zu recherchieren und den Veränderungen auf den Grund zu gehen. Das Ziel ist eine breitgefächerte Dokumentation des Rassismus und des Widerstandes, zusammengesetzt aus den konkreten Erfahrungen vor Ort. Die Ergebnisse sollen im Juni 2002 im Rahmen eines Wettbewerbes, den das Demokratische Jugendforum Brandenburg e.V. ausgeschrieben hat, »möglichst kreativ und interessant«, so der Aufruf zur Aktion Analyse, präsentiert werden. Die Jugendgruppen können auf die Unterstützung der Berliner Videogruppe Umbruch und des Internetprojektes D-A-S-H zählen, die von den Organisatorinnen und Organisatoren gewonnen wurden, sich an dem Projekt zu beteiligen.

Besonders interessant verspricht die Aktion zu werden, weil sie ihr Augenmerk wohl auch auf die Politik der Institutionen richten wird. Schon die »Aktion Noteingang« hatte einige Irritationen hervorgerufen, als sie im Dezember 2000 gemeinsam mit zahlreichen Brandenburger Antirassismus-Gruppen und dem Flüchtlingsrat erklärt hatte, statt mehr Polizei und akzeptierender Jugendarbeit mit Neonazis sei vielmehr eine »Abschaffung der rassistischen Gesetze« angesagt. Solange der Staat Flüchtlinge zu »Menschen zweiter Klasse« mache, stünden die Aktivistinnen und Aktivisten nicht zur Verfügung, »diesem Land den Anschein von ’Demokratie und Toleranz’ zu geben.« Starker Tobak für die Landesregierung, die konsequenterweise auch keine Fördergelder für die Initiative übrig hatte. Stattdessen wurde das Engagement der »Aktion Noteingang« mit dem »Aachener Friedenspreis« gewürdigt. Ebenso konsequent stifteten die Jugendgruppen ihr Preisgeld der »Flüchtlingsinitiative Rathenow«, die sich für die Abschaffung der Mobilitätsbeschränkung von Asylsuchenden einsetzt. Ein so kontroversielles wie aktuelles Thema: nach den Anschlägen in den USA wurden im Land Brandenburg die Urlaubsscheine für in Heimen untergebrachte Flüchtlinge gestrichen und so der Maßstab gesetzt, wo die »Mitte der Gesellschaft« nun wieder zu verorten ist.





»Ich weiß nicht, was die Landesregierung gegen Rassismus und Faschismus tut«

Das Demokratische Jugendforum Brandenburg e.V. will mit der »Aktion Analyse« antirassistisches Engagement von Jugendlichen stärken. Susanne Lang, Mitarbeiterin des Forums, beschuldigt die Potsdamer Landesregierung, mit neuen Polizeigesetzen und Rasterfahndung Feindbilder zu schaffen, statt den Kampf gegen rechts zu führen. Ein Interview von D-A-S-H.

Was ist das Ziel der »Aktion Analyse«?

Susanne Lang: Es gab den Sommer 2000, der neue Diskussionen, neue Bündnisse, Förderprogramme und Gesetze brachte. Aber was hat sich wirklich verändert? Wir wollen drei Jahre nach unserer Aktion Noteingang und ein Jahr nach dem Sommer der Zivilcourage eine neue öffentliche Diskussion provozieren. Natürlich geht es auch darum, interessierte Jugendliche ansprechen, sich politisch zu engagieren. Wir wollen wirksame Handlungsansätze zusammentragen und bekannt machen, Anregungen geben, wie man gegen Rassismus und Neonazis konkret aktiv werden kann.

Was hat sich in den brandenburgischen Kommunen getan, seit dem die Bundesregierung, Institutionen und private Träger Gelder für Initiativen gegen rechts zur Verfügung gestellt haben?

SL: Das ist so kurz nicht zu beantworten und deshalb Gegenstand der Aktion Analyse. Grundsätzlich ist zu den Fördergeldern zu sagen, dass Initiativen nicht durch Geld entstehen, sondern wenn es engagierte Leute gibt, die Möglichkeiten sehen, sich einzubringen. Mit der finanziellen Unterstützung können die Gruppen dann eventuell einfacher agieren. Das Problem ist aber nach wie vor, dass ein Großteil der Gelder nicht zugänglich ist, weil die Antragswege zu langwierig und kompliziert sind. Das Geld ist oft nur für gemeinnützige Vereine vorgesehen, was Antifa-Gruppen und Jugendinitiativen per se ausschließt.

Was tut die Potsdamer Landesregierung gegen Rassismus und Faschismus in Brandenburg?

SL: Es gibt ein Aktionsbündnis gegen Rechtsextremismus und Gewalt, das unabhängig von der Landesregierung ist, obwohl die Geschäftsstelle durch Mitarbeiter der Ministerien besetzt ist. Wir haben länger nichts von Aktivitäten gehört und über unseren Aufnahmeantrag konnte das Bündnis bislang auch noch nicht entscheiden, obwohl wir den bereits im Juli 2000 gestellt haben. Dafür gibt es ein neues Polizeigesetz. Nach wie ist Brandenburg das einzige Land, in dem die Zentrale Anlaufstelle für Asylbewerber keine Beratungsstelle unterhält, was dazu führt, dass die Annahmequoten in Brandenburg wesentlich geringer sind als bundesweit. Zudem gibt es bei der Frage der Residenzpflicht für Flüchtlinge und der Heimunterbringung keinerlei Bewegung seitens der Landesregierung. Ganz ehrlich: Ich weiß nicht, was die Landesregierung gegen Rassismus und Faschismus tut.

Welche Forderungen stellt das Demokratische Jugendforum?

SL: Kurz gesagt: Gleiche Rechte für alle. Die strukturelle Schlechterstellung von Menschen bestätigt und fördert rassistische Vorurteile. Wir sind dagegen, dass Flüchtlinge Gutscheine statt Sozialhilfe bekommen, wir sind gegen das Isolieren und Zusammenpferchen in abgelegenen Heimen und wir sind auch gegen die Abschottungspolitik. Der Bundesgrenzschutz betreibt an der deutsch-polnischen Grenze eine Menschenjagd, die eine konsequente Umsetzung der rassistischen Forderung »Ausländer raus« darstellt.

Das Preisgeld aus dem Aachener Friedenspreis spendete das Demokratische Jugendforum einer Flüchtlingsinitiative, die sich gegen die sogenannte »Landkreis-Residenzpflicht« wendet. Warum?

SL: Es wird seit dem Sommer 2000 viel davon gesprochen, dass Aktivitäten gegen Rassismus gefördert werden müssen. Das ist gut, und wir denken, dass Menschen, die Opfer einer rassistischen Bestimmung sind und sich dagegen zu Wehr setzen, am meisten Unterstützung brauchen und verdienen.

Seit den Anschlägen in den USA ist vom Kampf gegen rechts nicht mehr viel zu hören. Wirkt sich der neue Trend zu Polizeikontrollen und schärferer Migrationspolitik auf die Arbeit antifaschistischer und antirassistischer Gruppen in Brandenburg aus?

SL: Das bleibt abzuwarten, ist aber zu befürchten. Der 11. September wird ganz offensichtlich von Innenministern, die sich bisher noch mit Bürgerrechten arrangieren mussten, genutzt, um Sicherheitsfantasien auszuagieren. Erste Zeichen sind die Rasterfahndung, die es auch in Brandenburg gab, und vor allem die skandalöse Tatsache, dass seit dem 11. September in vielen Asylbewerberheimen keine Urlaubsscheine mehr ausgestellt werden.

Wie können sich Jugendgruppen an der »Aktion Analyse« beteiligen?

SL: Ganz einfach: Flyer und Wettbewerbsmaterialen durchlesen und einfach mitmachen! Jede Gruppe kann selbst überlegen, was Rassismus und Faschismus im eigenen Lebensumfeld ist und wie man dagegen etwas tun kann. Genau das gilt es dann zu dokumentieren und einzuschicken.

Susanne Lang arbeitet an der Multimedia-Dokumentation der »Aktion Analyse«. Das Demokratische Jugendforum e.V. ist ein sozial- und jugendpolitisches Forum, das sich als »Netzwerk selbstbestimmter Jugendgruppen für politisches Handeln und kritische Kultur in Brandenburg« versteht und dem zur Zeit 15 Initiativen angehören.

http://www.aktion-analyse.org/