Access: Internet für alle?

Brandenburger Asylsuchende und Berliner Aktivistinnen und Aktivisten fordern Internetanschlüsse für Flüchtlinge.

»Internet für alle!« – vermutlich gibt es keine politische Forderung, die ähnlich breite Unterstützung hervorbringen könnte wie der programmatische Slogan, mit dem Bundeskanzler Gerhard Schröder im Herbst 1999 den Aktionsplan zur »Überwindung der digitalen Spaltung der Gesellschaft« verkündete. Auf dem Kongress »Chancengleichheit im Netz« am 20. September 2001 in Berlin zogen Vertreterinnen und Vertreter der Wirtschaft und der sozialen Verbände, der Bundesregierung und der Universitäten Bilanz. In seiner Eröffnungsrede klagte Bundeswirtschaftsminister Werner Müller darüber, dass »Senioren, Menschen mit geringen Einkommen und ausländische Mitbürger« zunehmend um die »Möglichkeiten zur gesellschaftlichen und politischen Teilhabe« gebracht werden: »Bei der Vertiefung von sozialen Gräben könnten die neuen Informationstechnologien als Katalysatoren und Beschleuniger wirken – wenn wir hier nicht entschieden entgegensteuern«, warnte der Minister die Kongressteilnehmerinnen und -teilnehmer.
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»Der Zugang zum Internet bedeutet Zugang zu Information. Das Recht auf Information ist ein Menschenrecht«, so einer der Redner auf dem Panel »access for all!«. Es war allerdings nicht Bundeswirtschaftminister Müller, sondern der Journalist Julien M., Sprecher einer Flüchtlingsinitiative im brandenburgischen Rathenow, der mit diesen Worten die Forderung nach freien Internetanschlüssen zusammenfasste. Als Referent in Sachen »digital divide« trat der Flüchtlingsaktivist auch nicht auf der Berliner Konferenz, sondern beim linken Netzaktivismus-Festival »Make World« am 17. Oktober 2001 in München auf. Und die Verhältnisse, von denen der Rathenower Flüchtling berichtete, ließen den egalitären Charme und erfrischenden Kampagnenflair, mit dem die Bundesregierung ein paar Wochen zuvor in Berlin für die Vernetzung aller Bürgerinnen und Bürger warb, fast obszön wirken.

Im Hintergrund: das Asylbewerberleistungsgesetz

Während, wie Werner Müller hervorhob, immerhin 27 Millionen Deutsche inzwischen am Netz sind, müssen die 8.667 registrierten Asylsuchenden in 42 brandenburgischen Sammelunterkünften mit ein paar Fernsehern und ein bis zwei Clubtelefonen pro Wohnheim auskommen. Es ist dies allerdings keine Brandenburger Besonderheit, sondern mit geringer Abweichung der bundesdeutsche Standard für Asylsuchende. Zusammengefasst heißt dies, dass in Deutschland eine ganze Bevölkerungsgruppe von 400.000 Menschen nicht einmal den Kommunikationsstandard der ärmsten Entwicklungsländer des subsaharischen Afrika erreicht – die sicherlich wesentlich höhere Zahl illegaler Migrantinnen und Migranten nicht eingerechnet.

Im Büro der Brandenburger Ausländerbeauftragten ist die Problematik nicht unbekannt: »Wir hören häufig Beschwerden aufgrund überteuerter Telefone und es gibt wohl, besonders an Wochenenden, lange Schlangen«, weiß Harald Klier, Leiter der Antidiskrimierungsstelle, zu berichten. Die Folge: Um Verbindung mit der Welt außerhalb des Heimes aufnehmen zu können, greifen viele Asylsuchende zu Mobiltelefonen, die sie eigentlich nicht bezahlen können. Ganze 80 DM Taschengeld stehen Asylsuchenden seit der Umsetzung des Asylbewerberleistungsgesetz im Juli 1999 monatlich zur Verfügung. Mit dem Gesetz wurde die Versorgung der Asylsuchenden aus dem Bundessozialhilfegesetz herausgelöst, um den vorübergehenden Charakter des Leistungsbezugs zu unterstreichen. Kritikerinnen und Kritiker sehen darin vor allem eine rassistisch konnotierte Sparpolitik auf dem Rücken der Schwächsten und Bedürftigsten. Im Unterschied zu deutschen Sozialhilfeberechtigten gilt für Asylsuchende, die generell keine Arbeitserlaubnis erhalten und so auf Sozialhilfe angewiesen sind, das sogenannte »Sachleistungsprinzip«. Konkret: Statt Bargeld erhalten Flüchtlinge Gutschein-Chipkarten, die nur den Kauf bestimmter Güter in einigen wenigen Geschäften erlauben. Und aus nicht näher erläuterten Gründen ist der Erwerb elektronischer Geräte generell ausgeschlossen.

Keine Informationen, keine Gedanken, kein Thema

»Internetanschlüsse für Asylbewerber? Das ist hier kein Thema!« Die erstaunt vorgetragene Versicherung des für die Belange ausländischer Mitbürger zuständigen Sachbearbeiters im Potsdamer Ministerium für Soziales ist nicht weiter erstaunlich: weder bei der Koordinierungsstelle »Tolerantes Brandenburg« noch in der Geschäftsstelle der »Regionalen Arbeitsstellen für Ausländerfragen«, weder beim »Aktionsbündnis gegen Gewalt, Rechtsextremismus und Fremdenfeindlichkeit« noch im Büro der Ausländerbeauftragten hat man sich über diese Frage jemals Gedanken gemacht.

Nicht anders sieht es bei den Pionierinnen und Pionieren der Informationsgesellschaft aus. Im Projektplan »Brandenburger InformationsStrategie 2006« wird zwar als erster Standortfaktor für die Ansiedlung von IT-Unternehmen angeführt, dass die Region Berlin/Brandenburg »ein multikultureller Raum« mit einem »bunten kulturellen Angebot« sei, von multikultureller Partizipation an der regionalen Informationsgesellschaft ist aber nicht die Rede. Die Bundesregierungs-Initiative »Internet für alle!« führt eigene Programme für Kinder, Behinderte, Frauen, Arbeitslose, Jugendliche und Alte – nicht aber für Flüchtlinge. Im Bericht »Digitale Spaltung in Deutschland« der Initiative 21, einem Zusammenschluss von 226 Unternehmen, heißt es zu diesem Thema nur, dass »keine aussagekräftigen Daten zur spezifischen Betrachtung des Internet-Verhaltens der ausländischen Bevölkerung in Deutschland« vorhanden seien. Zusammengefasst: Während die vernetzte Welt längst zur Diskussion um virtuelles Informationsmanagement übergegangen ist, bleibt der schlichte Zugang zu Informationsmedien für Asylsuchende ein unerreichbares Luxusgut.

Initiativen gegen die »Schleudersitz-Politik«

Damit will sich die Rathenower Flüchtlingsinitiative nicht abfinden. Unterstützung bekommen sie von Netzaktivistinnen und -aktivisten aus Berlin: Der Verein absent friends bietet Internet-Workshops für Flüchtlinge an. Bei Seminaren in Brandenburg wollen die Aktivistinnen und Aktivisten mit den Asylsuchenden diskutieren und Erfahrungen sammeln, um spezifische Schulungsmaterialien zu erarbeiten, die in den Heimen verteilt werden sollen. »Es bringt natürlich noch nichts, wenn man theoretisch weiß, wie man Emails schreibt und Suchmaschinen bedient, wenn man dazu keine Möglichkeit hat«, gibt Christoph Kuchenbuch von absent friends zu bedenken. »Flüchtlingen in breiterem Umfang Zugang zu Kommunikation und Information zu verschaffen, setzt eine politische Entscheidung für die Integration voraus, eine Abkehr von der Schleudersitz-Politik, die den Flüchtlingen ständig signalisiert, dass sie besser gestern als heute verschwinden sollen«. Der Verein will Flüchtlingsorganisationen und Antirassismus-Gruppen deshalb eine politische Kampagne vorschlagen, um Mittel für Computer und Internetanschlüsse zu erwirken. absent friends will die Bundesregierung beim Wort nehmen: »Wenn die Verantwortlichen in der Politik und Industrie ständig die Parole ’Internet für alle’ im Mund führen, bieten wir ihnen eine Gelegenheit zu zeigen, dass damit nicht ’Internet für alle Deutsche’ gemeint ist«, so der engagierte Programmierer.

http://absent-friends.org/access/