Fremde Länder – Heimatländer

Die Rede von »Deutschen« und »Fremden« ist in der Einwanderungsdebatte allgegenwärtig. Was aber bedeutet das Begriffspaar eigentlich für Kinder? Eine Münchner Grundschulklasse hat in einer Projektwoche Antworten gesucht – und gefunden.

Hat eigentlich jemals jemand untersucht, wie die beiden Beteiligten ihre Gegenüberstellung in der CDU-Kampagne »Kinder statt Inder« empfanden? In der Einwanderungsdebatte der letzten Jahre werden »die Kinder« zu Kronzeugen aller möglichen und in der Regel nicht der edelsten Interessen gemacht: die Zahl und das Alter der Kinder, die Fremde nach Deutschland holen dürfen sollen, avanciert gerade zu einem der Hauptschlachtfelder des Bundestagswahlkampfes.

Angesichts der beständigen Differenzierung in »deutsche« und »fremde« Kinder, und nicht selten deren Verknüpfung mit bedrohlichen Metaphern, ist es naheliegend, sich der Frage zuzuwenden, wie dieses Reden auf das Bewusstsein von Schulkindern rückwirkt. Welche Bedeutung haben diese Begriffe überhaupt in der Wahrnehmung von Zehnjährigen?

»Ein fremdes Land ist ein Land, das ich nicht kenne«, erklärt Anna mit ernstem, etwas unsicheren Blick in die Kamera. »Das Heimatland«, so spricht die Zehnjährige weiter, »ist das Land, in dem ich aufgewachsen bin oder in dem ich lebe. Ein Mensch kann also mehr als ein Heimatland haben.« Anna geht in die Grundschule an der Südlichen Auffahrtsallee in München-Neuhausen. Die Schülerinnen und Schülern hatten, angeregt durch den Film »Aufwachsen in einer fremden Umgebung«, über die Begriffe Heimat und Fremde gesprochen und ihre diversen Lebenserfahrungen und Vorstellungen zu dem Ergebnis zusammengetragen, das Anna schließlich stellvertretend vortrug.




Die Diskussion war der Einstieg in eine Projektwoche, die von Mitarbeiterinnen des Instituts für Medienpädagogik in Forschung und Praxis unter dem Titel »Fremde Länder – Heimatländer« in der Klasse im Dezember 2001 angeboten wurde. »Die Wut auf das Fremde ist meist nur die Angst vor dem Fremden«, meint Elke Stolzenburg, die das Projekt zusammen mit zwei Kolleginnen konzipiert hatte, »Kinder aber sind neugierig und interessiert an dem Unbekannten.«

Diese Interessen auszubilden und zu verwirklichen, hatten die Kinder in den fünf Projekttagen Gelegenheit. Auf Anregung und mit Hilfe der Leiterinnen sammelten sie in drei Arbeitsgruppen Informationen über Länder und Kontinente, die sie selbst ausgewählt hatten. Das neuerworbene Wissen konnten sie sofort in Medien umsetzen, die in der Grundschule an der Südlichen Auffahrtsallee bis dahin noch nicht zur Verfügung standen: Aufnahmegeräte, Videokameras und Computer mit Internetanschlüssen. Aber auch der Gang ins Museum am Nymphenburger Schloss erschien, konnte man dort doch Informationen für das eigene Projekt finden, plötzlich interessant.

Die Kinder in der Formulierung eigener Interessen zu bestärken und ihnen Möglichkeiten und Unterstützung zu bieten, diese kreativ umzusetzen, war das Arbeitsprinzip des Projekts. Die Ergebnisse scheinen dem Konzept Recht zu geben: Nach einer Woche sahen die sichtlich erstaunten Eltern, wie ihre zehnjährigen Schulkinder nicht nur ein Online-Rätsel über China und einen Videofilm über das Leben von Kindern in Afrika erstellt hatten, sondern das Projekt auch noch auf ihrer eigenen Website präsentieren konnten.

Angesichts der langjährigen Diskussion um Jugendarbeit und Rassismus könnte man solche, für Schulen relativ leicht zu realisierenden Projekte für eine Selbstverständlichkeit halten. Aber: »Auf die Grundschule zugeschnittene Rassismuspräventionskonzepte sind in Deutschland erst noch zu entwickeln Die Präventionsprojekte sind bisher stark auf die außerschulische Jugendarbeit fokussiert«, erklärt Scharzad Farrokzad vom Kölner Lehrstuhl für Interkulturelle Pädagogik. Die Pädagogin betont, bereits im Kindergarten müsse umgedacht werden: weg von der monokulturell ausgerichteten Erziehung hin zu multiperspektivischen Konzepten, die den spezifischen Situationen von Migrantinnen- und Migrantenkindern, vor allem aber schlicht der Internationalität der Gesellschaft gerecht werden.

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