XPedient.org: Was tun gegen Nazis im Netz?

Die Bundesregierung und die EU, die PDS und die CDU, der stern und die Antifa – gegen Cyber-Nazis wollen alle etwas tun, allein der richtige Weg ist umstritten. Glauben die einen an repressive Segnungen von Zensur und Verboten, so setzen andere auf Meinungsfreiheit, Aufklärung und Debatte. Die neue Website XPedient.org will die Nazi-Seiten kontextualisieren und gleichzeitig eine Plattform für offensive Online-Aktionen gegen rechts schaffen.

»XP« ist der Name der neuesten Windows-Version und »Expedient« die vormalige Bezeichnung dessen, was heute Vertriebsdirektor heißt. Man könnte also durchaus meinen, XPedient.org habe mit Bill Gates’ neuesten Coup, der ins XP-System integrierten Kundenprofildatenbank, zu tun. Das ist ganz und gar nicht der Fall: »expedient«, englisch für »angemessen« oder »zweckmäßig«, solle die Auseinandersetzung mit den Nazis im Netz sein, meinen die Macherinnen und Macher des neuen »Antirassismus-Netzwerks im Internet«.

Hitlerreden und Holocaust-Leugner, Bauanleitungen für Rohrbomben und die dazugehörige Listen von »Juden, Kommunisten und Systempresse« – wer weiß, wo man suchen muss, findet in den Weiten des Netzes all das, was sonst ins nazistische Hinterzimmer verbannt ist. Das Bundesamt für Verfassungsschutz schätzt die Zahl deutschsprachiger Neonazi-Homepages auf etwa 2000, wovon über 90% bei Providern in den USA gehostet werden. Das »first amendment« der US-Verfassung gibt dem Recht des Einzelnen auf freie Meinung höheren Wert als Sanktionsinteressen des Staates. Und deutsche Neonazis nutzen das US-Bürgerprivileg ausgiebig, um ihre Propaganda unter das deutsche Volk zu bringen.



»Volksverhetzung ist keine Meinungsfreiheit«, meint dagegen das jüdische Online-Magazin hagalil.com. Die Redaktion spürt Nazi-Websites auf und zieht gegen ihre Betreiber und Provider vor US-Gerichte – mit messbarem, aber mäßigem Erfolg: vom Netz genommene Nazi-Seiten tauchen in der Regel binnen Stunden unter anderer Adresse wieder auf. Innenminister Otto Schily offenbarte die ganze Hilflosigkeit des Nationalstaates gegenüber dem Internet, als er im April 2001 ankündigte, seine polizeiliche Internet Task Force werde Nazi-Websites in den USA mit »Denial-of-Service«-Attacken aus dem Netz schießen – eine Methode, die auf den Webseiten des Ministeriums gleichzeitig als »Cyber-Terrorismus« qualifiziert wurde. Es ist kein Geheimnis: In der Mega-Kopiermaschine Internet gelten andere Gesetze. Strategien, die von erprobten Repressionsmaßnahmen inspiriert sind, zeichnen sich bestenfalls durch Hilflosigkeit und Unwirksamkeit aus, wo sie nicht – und das ist meistens der Fall – negative und gegenteilige Effekte haben.

Ein deutliches Negativbeispiel ist die am 8. November 2001 verabschiedete Cybercrime-Convention des Europäischen Rates, die von allen Datenschützern und Menschenrechtsorganisationen rundweg abgelehnt wird. So war unter anderem umstritten, dass Provider nun gezwungen werden, der Polizei Extra-Schnittstellen zur Verfügung zu stellen, damit jede Internetkommunikation in Echtzeit abhörbar wird. Jetzt ist ein weiterer Kritikpunkt hinzugekommen. Die 43 Mitgliedstaaten haben eine neue Straftat eingeführt, die ab sofort verfolgt werden soll: »illegales Hosting.« In einem einstimmig angenommenen Zusatzprotokoll wird gefordert, dass »die Verbreitung rassistischer Propaganda, die missbräuchliche Speicherung von Hassbotschaften und die Benutzung des Internet zum Menschenhandel« unter Strafe gestellt werden müsse. Damit solle vor allem Rechtsextremen die Möglichkeit verbaut werden, ihre Seiten auf Server in einem anderen Land zu legen, das weniger strenge Gesetze hat. Sprich: die USA.



Davon aber will XPedient.org nichts wissen: »Wir sind prinzipiell gegen Zensur«, so der Webmaster der neuen Site, »Filtersoftware und Verbote sind Einfallstore für die Kontrolle des Netzes, und das trifft alle User.« XPedient.org will zwar die Adressen, Inhalte, Betreiber und Provider der rechten Seiten offen legen, damit sollen aber vor allem engagierten Journalistinnen und Journalisten sowie Antifa-Gruppen seriös recherchierte Informationen an die Hand gegeben werden. Anders als etwa das umstrittene Rechercheportal des Journalisten Burkhard Schröder, der neben vielen Antifa-Seiten auch mehrere hundert Nazi-Homepages verlinkt hat, steht dabei im Mittelpunkt nicht das Auffinden der entsprechenden Seiten, sondern deren Analyse und Kontextualisierung: Welche Seiten haben Gewicht für die Nazi-Szene, welche Inhalte sind besonders gefährlich und vor allem: wer sind die Provider. Gleichzeitig will XPedient.org eine Plattform für eine »Netz-Antifa« werden, die mit Online-Kampagnen gesellschaftliche Diskussion und politischen Druck auf die Nazi-Provider entfaltet. Ein gelungenes Beispiel für solchen Aktivismus sieht XPedient.org in einer Online-Demonstration, mit der antirassistische Gruppen im Sommer 2001 die Lufthansa AG unter Druck setzten, die Abschiebungen mit Linienmaschinen zu beenden.

All dies wollen die Online-Antifas von XPedient.org nicht alleine bewerkstelligen. Sie hoffen auf das Wesen und die Stärke des Netzes: Vernetzung. Die Website ist als Content Management System konzipiert, damit viele Nutzerinnen und Nutzer an der weiteren Gestaltung mitwirken können. Aktive Gruppen und engagierte Journalistinnen und Journalisten können Artikel und Kommentare schreiben, neue Links eintragen und im Forum mit anderen Usern diskutieren, so dass tatsächlich ein »Antirassismus-Netzwerk im Internet« entsteht.

http://www.XPedient.org/