Antisemitismus in der Linken

von Thomas Haury

Transkription des Vortrags am 22.01.2003, Halle/Saale

Die Frage nach Antisemitismus in der Linken hat noch in den 90er Jahren große Emotionen und auch Aggression hervorgerufen: Es sei doch unmöglich, dass Linke antisemitisch sein könnten. Wie solle das denn zusammen passen? Linke seien doch antifaschistisch, links und revolutionär und könnten somit nicht rassistisch und antisemitisch sein. Zum Einstieg seien daher fünf Statements zitiert:

  1. »Kauft nicht bei Juden!«
  2. Die »jüdische Weltbewegung« wird angeführt von »jüdischen Multimillionären, die in allen Teilen der Welt leben« und »sich immer wieder in privaten Konferenzen treffen«.
  3. Tatsache ist »die Beherrschung der Weltöffentlichkeit durch die jüdische Propaganda«.
  4. »Ziel der jüdischen Politik: Weltherrschaft?!«
  5. Das Judentum ist »der Feind aller Menschen«.

Das sind antisemitische Aussagen. Aber alle fünf Aussagen stammen aus der linken Propaganda gegen Israel: das zweite aus der Palästina-Solidaritätszeitschrift Al Karamah aus den 80er Jahren, das dritte aus dem Antiimperialistischen Informationsbulletin von 1971, das vierte von der Wiener Antiimperialistischen Koordination aus dem Jahr 2002, das fünfte von der Autonomen Nahostgruppe Hamburg von 1989. Allerdings habe ich die Zitate in einem entscheidenden Punkt gefälscht: Wo von »zionistisch« oder »Zionismus« die Rede war, habe ich dies ersetzt durch »jüdisch« und »Judentum«. »Kauft nicht bei Juden« allerdings fand sich 1982 original so im »Grünen Kalender«, erschienen in der »Edition Sonnenschein«.

Es gibt also offensichtlich Antisemitismus in der Linken, der sich als Antizionismus äußert. Für die 70er und 80er Jahre muss man feststellen, dass dies nicht einzelne Personen oder einzelne Gruppen betraf, sondern den linken Mainstream. Es gab graduelle Unterschiede, aber die Grundpositionen waren überall die gleichen. Wie lässt sich dieser antisemitische Antizionismus der Linken erklären?

Hierzu werde zuerst kurz darstellen, was generell die Kennzeichen des Antisemitismus sind und in einem zweiten Schritt die Spezifika des Antisemitismus in Deutschland nach 1945 skizzieren. Nach einer kurzen Darstellung der Geschichte des linken Antizionismus in der Bundesrepublik werde ich im vierten Teil rekonstruieren, auf welchen ideologischen Grundlagen der Antizionismus gründet und welchen ideologischen Profit er erbringt.

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