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Cyber-Palästina
von Peter Schäfer, Ramallah
Am 23. September 1996 öffnete der damalige israelische Ministerpräsident Benjamin Netanjahu einen umstrittenen Tunnel unter dem muslimischen Felsendom in der Jerusalemer Altstadt. Daraufhin rief der palästinensische Präsident, Jassir Arafat, zum Streik im Westjordanland und dem Gazastreifen auf. Den zweiwöchigen, teilweise bewaffneten Konfrontationen fielen 86 Palästinenser und 15 Israelis zum Opfer. Damals war der Frieden zwischen beiden Konfliktparteien zwar erst drei Jahre alt, bröckelte aber schon stark. Die Landenteignung in den besetzten palästinensischen Gebieten ging weiter, israelische Siedlungen wurden ausgebaut. Gleichzeitig verstärkte Israel die Abriegelung palästinensischer Ortschaften mit schweren Folgen für deren noch junge Wirtschaft. Israel stellte den neuen Ausbruch der Feindseligkeiten allerdings unabhängig von dieser Entwicklung dar. Im Unterschied zu vormaligen Unruhen konnten die Palästinenser im September 1996 aber erstmalig ihre eigene Sicht der Lage darstellen, ungefiltert durch Dritte. Das Internet feierte damals seinen ersten Geburtstag in den besetzten Gebieten. Palästinensische und ausländische Aktivisten arbeiteten zusammen, um Augenzeugenberichte online zugänglich zu machen. Sie boten Aufklärung über einen Konflikt, der international vorrangig als religiös motiviert wahrgenommen wurde. Bewohner eines Konfliktgebietes nutzten damit zum ersten Mal das World Wide Web als alternatives Medium. (Studenten aus Bosnien-Herzegowina folgten dem Beispiel wenige Wochen später mit Berichten aus dem Jugoslawienkrieg. E-Mail wurde zu diesem Zweck zum ersten Mal bereits während der Niederschlagung der Revolte auf dem Tienanmen-Platz 1989 in Peking genutzt.) Zuvor war den Palästinensern durch den israelischen Militärerlass Nr. 1279 vom 15. Juni 1989 die Nutzung von Telefonleitungen zur Übermittlung von »Faxen, elektronischer Mail oder anderen elektronischen Übertragungsformen« verboten. Darüber hinaus zählte die Unterbrechung der Telefonverbindungen durch die israelische Besatzungsbehörde zu regelmäßig angewandten Maßnahmen. So waren beispielsweise vom 16. März 1988 bis zum 9. April 1989 überhaupt keine internationalen Ferngespräche möglich. Dabei stellte, so die palästinensische Menschenrechtsorganisation al-Haq, »die schnelle (internationale) Ankündigung drohender Übergriffe das effektivste Mittel dar, das uns zur Verfügung stand«. Lokale Telefonverbindungen wurden ebenfalls zeitweise unterbrochen. Bis 1993 hielt Israel die Telefondichte in den besetzten Gebieten bei 2,9%, die niedrigste Rate der gesamten Region. 120.000 Haushalte warteten auf einen Telefonanschluss, manche seit über 20 Jahren. Die israelisch-palästinensischen Verträge und Abkommen ab 1993 änderten diese Lage in Westjordanland und Gazastreifen. Die neugegründete Palästinensische Autonomiebehörde erhielt die Kontrolle über die Telekommunikations-Infrastruktur in den dichter besiedelten Gegenden und erhielt 1995 die Erlaubnis zum »Aufbau und Betrieb eines separaten und unabhängigen Kommunikationssystems und der diesbezüglichen Infrastruktur, einschließlich eines Telekommunikations-Netzwerks«. Die daraufhin gegründete palästinensische Telekom überzog die gesamten Gebiete mit modernen Fiberglas-Verbindungen. Die Warteliste von 1993 ist bereits abgearbeitet, alle Ortschaften sind erschlossen. Und die politische Situation blieb Schrittmacher der Internetentwicklung. »Viele Palästinenser erhalten von Israel nicht die Genehmigung zum Verlassen der besetzten Gebiete«, erklärt Marwan Tarazi, Direktor des Computerzentrums der Birzeit-Universität im Westjordanland. »Über das Internet können wir uns endlich an internationalen akademischen und politischen Diskussionen beteiligen.« Vor allem aber werde durch die neue Technologie die Zusammenarbeit innerhalb Palästinas selbst gestärkt. »Wir aus Ramallah können manchmal nicht einmal die zehn Kilometer zur Universität zurücklegen«, so Tarazi weiter. »Trotzdem sind wir nun in der Lage, Dokumente, Fotos und anderes schnell, billig und in guter Qualität zu verschicken.« Der Beginn der zweiten Intifada am 29. September 2000 beschleunigte die politische Nutzung des Internet weiter. Der »israelisch-palästinensische Cyberwar« machte von sich reden, als die Websites israelischer Ministerien tagelang gestört waren. »Das waren Palästinenser aus den USA oder dem Libanon«, nimmt Marwan Tarazi an. »Ich wäre froh, wir hätten Computerleute mit solchem Wissen in den besetzten Gebieten. Dann wäre die Internetentwicklung hier schon viel weiter.« Aber so nahm das kleine Team, das bereits die Website zu den 1996-Unruhen aufbaute, wieder die Vorreiterrolle ein. Bereits drei Tage nach Beginn des Aufstandes war die neue September-Clashes Website online. Vor allem in den ersten beiden Monaten des Aufstandes lieferte die Gruppe aktuelle Berichte von der Lage in den besetzten Gebieten. »Die anfänglich permanenten Aktualisierungen haben wir aber zugunsten der Glaubwürdigkeit aufgegeben«, sagt Adam Hanieh, einer der Betreiber der Seite. »Wir haben damit begonnen, den Wahrheitsgehalt der eingehenden Informationen zu prüfen und sie dann nur einmal pro Tag als Bericht zu veröffentlichen, denn die Vermischung von Nachricht und Propaganda ist ein großes Problem in Palästina.« Schon wenig später stellten viele andere Organisationen ihre Sites ins World Wide Web. Heute sind der größte Teil der Palästinensischen Autonomiebehörde und Hunderte von Nichtregierungsorganisationen im Netz, und Adam Haniehs Richtlinien haben sich – bis auf einige Ausnahmen in der Autonomiebehörde – breit durchgesetzt. Die Website des Palästinensischen Roten Halbmondes in Gaza enthält jeweils die aktuellsten Zahlen der Toten und Verletzten. LAW bietet einen Überblick über Menschenrechtsverstöße in den besetzten Gebieten und die rechtlichen Probleme der israelischen Politik. Das Health, Development, Information and Policy Institute erforscht die körperlichen und psychischen Auswirkungen der Besatzung. Fast jede mittlere Organisation betreibt eine Website mit mehr oder weniger aktuellen "Intifada-News”. Links zum Medienecho
indymedia – independent media centreAuch in Palästina und Israel finden sich Medienaktivistinnen und Aktivisten, die sich der unabhängigen Berichterstattung verschrieben haben. Beachtung sollte diese Einrichtung vor allem auf Grund der freien Meinungsäußerungen und Diskussionen in den Foren finden, allerdings wird oftmals nicht vor der Verwendung von antisemitischen oder rassistischen Stereotypen halt gemacht. Ein kritischer Blick ist daher gefragt: Nächster Artikel: Die europäische Sichtweise |
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Letzte Änderung: 2005-05-22 22:55:56 | info@d-a-s-h.org Impressum |