Entwicklung des Antizionismus in der Bundesrepublik

von Thomas Haury

Direkt nach 1945 war in Deutschland ein relatives Beschweigen und Verdrängen der Verbrechen des Nationalsozialismus und insbesondere der Judenvernichtung vorherrschend. Ab Ende der 40er Jahre setzte sich innerhalb der nichtorthodoxen Linken, sprich der SPD, die Forderung nach einer Wiedergutmachung an die Juden durch. Auch katholische und linksliberale Kreise wurden in dieser Richtung initiativ. Als der Bundestag 1953 das schließlich mit Israel abgeschlossene Wiedergutmachungsabkommen ratifizieren sollte, gelang dies nur dank der Stimmen der SPD, da Adenauer im eigenen Lager nicht genügend Stimmen dafür zusammen bekommen hätte. Auch die KPD stimmte gegen das Abkommen.

Die nächsten Jahrzehnte war in SPD und dem linksliberalen Spektrum ein allgemeiner Philosemitismus verbreitet, der Israel penetrant glorifizierte. Die Palästinenser und deren Vertreibung dagegen waren völlig aus dem Blickfeld. Insbesondere engagierte sich die SPD für die Aufnahme diplomatischer Beziehungen zu Israel, welche die Adenauer-Regierung lange hinausschob, um die Beziehungen zu den arabischen Staaten nicht zu belasten. Erst 1965 wurde Israel durch die Bundesrepublik diplomatisch anerkannt.

In der sich damals schon herausbildenden außerparlamentarischen Opposition zeichnete sich seit Mitte der 60er Jahre zwar eine israelkritischere Position ab, doch immer unter Anerkennung des Existenzrechtes Israels und im Bewusstsein historischer Verantwortung. Den Wendepunkt, an dem sich die Haltung der Neuen Linken zu Israel rapide zu verändern begann, war der Sechs-Tage-Krieg 1967, als Israel unter Beifall der westlichen Welt und der bei der APO verhassten Springerpresse die Armeen der umliegenden arabischen Staaten in einem Präventivkrieg besiegt hatte. Bereits 1967/68 verurteilte die Neue Linke Israel als »imperialistisch-faschistisches Staatengebilde« und ergriff gleichzeitig blind Partei für die Al Fatah, die zum revolutionären Subjekt per se stilisiert wurde. Alle ihre Aktionen wurden bejubelt, ihre Statements, insbesondere die palästinensische Nationalcharta, in der Israel das Existenzrecht ausdrücklich abgesprochen wurde, wurden kritiklos abgedruckt.

Zwar gab es seinerzeit Kritik von Altlinken wie Jean Paul Sartre, Ernst Bloch, Herbert Marcuse und Jean Améry, die eine Differenzierung zwischen der Existenz des Staates und der Politik der israelischen Regierung einforderten. Auch Ulrike Meinhof bezeichnete 1967 noch die Vernichtungsdrohung der arabischen Staaten als unerträglich, Isaak Deutscher wies auf die »nationalistische Demagogie« der Araber hin. Doch derlei Interventionen fanden in der Neuen Linken bereits keinen Wiederhall mehr, der Umschwung zum militanten Antizionismus war nicht mehr aufzuhalten. Ab 1969 wurde der Palästina-Konflikt nur noch wahrgenommen als ein Bestandteil des Kampfes der unterdrückten Völker der Dritten Welt gegen den Imperialismus.

Bereits am 9.11.1969, das Datum war bewusst gewählt, verübten die »Schwarzen Ratten/Tupamaros Westberlin«, eine Vorläufergruppe der »Bewegung 2. Juni«, einen ersten »antizionistischen« Anschlag und verkündeten stolz in ihrem Bekennerschreiben: »Am 31. Jahrestag der faschistischen Kristallnacht wurden in Westberlin mehrere jüdische Mahnmale mit ›Schalom und Napalm‹ und ›El Fatah‹ beschmiert. Im jüdischen Gemeindehaus wurde eine Brandbombe deponiert. Der wahre Antifaschismus ist die klare und einfache Solidarisierung mit den kämpfenden Fedayin. Denn aus dem vom Faschismus vertriebenen Juden sind selbst Faschisten geworden, die in Kollaboration mit dem amerikanischen Kapital das palästinensische Volk ausradieren wollen.«

Damit war der Antizionismus in der Linken keineswegs diskreditiert, vielmehr erlebte er in den 70er Jahren seine Hochkonjunktur. Zahlreiche Palästina-Solidaritätskomitees gründeten sich, ihre Organe trugen so martialische Titel wie »Die Front« oder »Die Revolution«. Als 1972 ein Kommando der palästinensischen Organisation »Schwarzer September« die israelische Olympiamannschaft als Geisel nahm – bei einem missglückten Befreiungsversuch durch die Polizei kam es zu zahlreichen Toten – , äußerte die RAF in einer Erklärung ihre Begeisterung über den beispielhaften Charakter dieser »antiimperialistischen, antifaschistischen und internationalistischen« Aktion. Mitverfasserin dieses Papiers war Ulrike Meinhof – ihre Biografie steht exemplarisch für den Umschwung der Neuen Linken zum blinden Antizionismus.

1976 gab es ein weiteres markantes Ereignis: die Entführung eines Flugzeuges nach Entebbe durch ein Kommando der palästinensischen PFLP, das durch zwei Angehörige der »Revolutionären Zellen« unterstützt wurde. Der deutsche RZ-Angehörige Wilfried Böse organisierte im Flugzeug die räumliche Trennung der jüdischen – und nicht nur israelischen – Passagiere von den nichtjüdischen Insassen. Durch diese Geiselnahme der Juden sollten Palästinenser aus israelischen Gefängnissen freigepresst werden. Auch dieser ungeheuere, an Selektionspraktiken erinnernde Vorgang rief innerhalb der deutschen Linken so gut wie keine Reaktionen hervor. Antizionismus war weiterhin en vogue.

Die Welle der Empörung, die 1982 durch die Libanon-Invasion der israelischen Armee und die Massaker in den Flüchtlingslagern von Sabra und Schatilah hervorgerufen wurde, erschreckte durch ihr zwanghaftes Bedürfnis, Israel mit dem Nationalsozialismus gleichzusetzen – eine Analogisierung, die von den Palästina-Komitees bis hin zu den Grünen Anklang fand. Doch die Schlagzeilen über eine von Israel betriebene »Endlösung der Palästinenserfrage« in der linken Presse stießen erstmals auf eine breitere innerlinke Kritik. Ab jetzt kam es anlassbezogen zu immer breiteren Auseinandersetzungen über einen Antisemitismus von links: 1987/88, als infolge der ersten Intifada die antiisraelische Propaganda der Palästinagruppen erneut Hochkonjunktur hatte; im Zuge des Golfkrieges 1991 und der irakischen Raketen auf Israel; auch seit der im September 2000 begonnenen sogenannte Al-Aksa-Intifada werden wieder verstärkt antiisraelische Stimmen laut; ihnen gegenüber sind jedoch in zahlreichen Städten Bündnisse gegen Antisemitismus und Antizionismus mit Demonstrationen, Publikationen und Veranstaltungsreihen über Geschichte und Gegenwart des Antisemitismus aktiv geworden.

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