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Betrachtung der europäischen Sichtweise des Nahostkonflikts in IsraelIn zwei Interviews mit israelischen Schriftstellern, die bei Spiegel online veröffentlicht wurden, wird die Wahrnehmung des Nahostkonfliktes aus europäischer Sicht kritisiert und für ein einfühlendes Verständnis sowohl den Israelis als auch den Palästinenser gegenüber geworben. Amos Oz und Etgar Keret stellen sich gegen eine einseitige Positionierung der Europäer und begründen, warum es im Konflikt nicht das ultimative Opfer gibt, bzw. warum Opfer zu sein nicht heißt, das Recht auf seiner Seite zu haben. Interviewauszug mit Amos OzWie kommen Sie in einer Zeit palästinensischer Selbsttötungsattentate und israelischer Besatzungspolitik dazu, einen Friedensroman vorzulegen? Dieser Roman ist weit entfernt vom Israelbild des ZDF oder von CNN. Die ausländischen Medien kreieren ein fiktives Image, weil sie einen marginalen Aspekt des israelischen Lebens ins Zentrum stellen. Wenn ich Israel durch die Brille deutscher Medien kennen lerne, muss ich den Eindruck gewinnen, dass 70 Prozent der Bevölkerung Soldaten sind, 29 Prozent verrückte, fanatische Siedler in der Westbank und ein Prozent wunderbare Intellektuelle, die sich für den Frieden einsetzen. 70 Prozent der israelischen Juden leben jedoch ein ganz normales Leben an der Küste: Sie wollen befördert werden, sie machen sich Sorgen wegen ihres überzogenen Kontos, sie denken darüber nach, ein neues Auto zu kaufen, und manchmal begehren sie die Frau ihres Nachbarn. Welchen Weg sehen Sie, einen Frieden zu erreichen? Ohne internationale Hilfe wird es nicht gehen. Leider sehe ich die weder in den USA, noch in Europa. Besonders irritieren mich die Meinungsbildner in Europa, die sich simplifizierend auf die Seite der Palästinenser schlagen. Gewöhnlich sind europäische Analysten sehr differenziert denkende Menschen. Doch im Nahostkonflikt malen sie schwarz-weiß. Da gibt es die Guten, die man liebt, und die Bösen, die man hasst. Beide Seiten brauchen jedoch Empathie und Verständnis. Wie kommen Sie zu dem Eindruck, dass die Europäer einseitig zugunsten der Palästinenser Partei ergreifen? Oft höre ich von Deutschen, angesichts der Leiden sei es doch ganz normal, dass sich die Palästinenser wehren. Andererseits hätten die Juden in ihrer Geschichte bereits so viel Schreckliches erfahren, dass es man sich wundern müsse, wie sie nun so gewalttätig sein könnten. Das heißt: Solange die Palästinenser leiden, hat man Verständnis für ihre Gewaltakte, wenn sich aber Juden wehren, hat man keines. Außerdem heißt Opfer zu sein nicht unbedingt, das Recht auf seiner Seite zu haben. Es liegt ein sonderbarer Schatten auf den europäisch-israelischen Beziehungen. Wie erklären Sie sich das von Ihnen behauptete europäische Ressentiment gegenüber Israel? Sind die Europäer Antisemiten?* Nein. Es hat mit dem Verhältnis Europas zur Dritten Welt zu tun. Die Europäer sagen oft: Die Dritte Welt ist so arm, da fordern wir keine ethischen Grundsätze ein. Ich halte dies für eine fast rassistische Haltung. Denn kein Mensch verdient moralische Zugeständnisse, keiner eine ermäßigte Moral. Sie meinen, die Europäer fühlen sich gegenüber den Palästinensern in der Schuld, weil ihnen die Dritte Welt ein schlechtes Gewissen macht? Das Mitfühlen mit den armen und unterdrückten Staaten geht zudem einher mit Antiamerikanismus. Und wenn Amerika der Teufel ist, dann ist Israel Rosemaries Baby. Das schlechte Gewissen gegenüber der Dritten Welt paart sich auf sonderbare Weise mit einer verqueren Mythologie. Grob gesagt: Saddam ist ein guter Freund von Gaddafi, Gaddafi ist ein Liebling von Fidel, Fidel war der Bruder von Che, Che war Jesus, Jesus Liebe, und daher müssen wir Saddam lieben. ungekürzte Version des Interviews Interviewauszug mit Etgar KeretSie haben einmal für eine Zeitung das Unmögliche versucht: den Nahost-Konflikt in 600 Worten zu erklären. In diesem Artikel kamen Ihre Mutter, eine Nachbarin und ein palästinensischer Freund zu Wort. Die wollten Ihnen alle erklären, wieso Sie ihr jeweiliges Leid niemals verstehen könnten … Genau das ist das Kernproblem des ganzen Konflikts hier. Sowohl Israelis als auch Palästinenser glauben, sie hätten ein Monopol auf das Leiden, ihre Probleme seien schlimmer als die der anderen Seite und niemand werde je das Ausmaß ihrer Schmerzen verstehen. Jeder hält sich für das ultimative Opfer. Und das Schlimme ist: Jeder denkt, dass dieses Leid ihm das Recht gibt, alles zu tun. Zum Beispiel? Zum Beispiel Selbstmordattentate. Wie oft höre ich Leute, die Verständnis für diese Anschläge äußern! Man müsse doch bedenken, wie verzweifelt jemand sein muss, damit er eine solche Tat begeht. Ich habe da überhaupt kein Verständnis. Diese Haltung, alles sei legitim wegen der Schmerzen, die man selbst erlitten hat, ist absolut unakzeptabel. Ich kenne genug Palästinenser, die gegen die Besatzung kämpfen – aber mit anderen Mitteln, als vier Jahre alte Kinder in die Luft zu sprengen. Warum also begehen diese Menschen solche Attentate? Nicht weil ihr Leben so schrecklich ist und sie so verzweifelt sind. Sondern weil sie in einer Gesellschaft aufgewachsen sind, die solche Verbrechen legitimiert. In Wirklichkeit ist ihre Situation auch nicht verzweifelter als das anderer Menschen in der Welt. Es gibt also kein ultimatives Opfer? Natürlich nicht. Leiden ist Leiden. Niemand ist die Nummer eins. Und Israelis oder Palästinenser schon gar nicht. Das ist nur eine Frage der Wahrnehmung. Ein Freund von mir war einmal in einer Lepra-Kolonie in Indien. Den Leuten dort geht es wirklich dreckig. Sie haben Lepra und verhungern auf der Straße. Aber als sie meinen Freund, einen Israeli, sahen, haben sie zu ihm gesagt: Ihr tut uns so Leid, ihr und die Palästinenser, ihr müsst so sehr leiden. Er antwortete: „Nein, nein, mir geht’s eigentlich ganz gut. Schaut euch doch an!“ Darauf meinten die Kranken, das könne man nicht vergleichen; sie hätten im Fernsehen gesehen, wie schlecht es den Menschen im Nahen Osten gehe. Diese Menschen verüben keine Selbstmordattentate gegen die Regierenden oder die reichen Sikhs. Das Argument, man habe keine andere Wahl, ist Unsinn. Es gibt viele Optionen. Meine Eltern haben den Holocaust miterlebt. Und sie wären nie auf die Idee gekommen, ein Selbstmordattentat zu begehen. Macht diese Überzeugung, Opfer und nicht Täter zu sein, die beiden Seiten taub für Kritik? Ja, sowohl wir als auch die Palästinenser tendieren dazu, jegliche Kritik als Rassismus auszulegen. Wer Israel kritisiert, ist gleich ein Antisemit, und wer Palästinenser kritisiert, hasst Araber. Wir versuchen nie, auch mal einen anderen Standpunkt einzunehmen und auch das Leiden des anderen zu akzeptieren. Können es die beiden Seiten alleine schaffen, diese eingeschränkte Sichtweise zu überwinden? Ich fürchte nein. Wir bräuchten wohl einen internationalen Vermittler. Es käme natürlich darauf an, wer eine solche Rolle einnehmen würde. Amerikaner und Franzosen fallen aus. Erstere werden von den Palästinensern zu Recht verdächtigt, absolut einseitig und pro-israelisch zu sein. Das gleiche gilt umgekehrt für die Franzosen. Wer kommt also in Frage? Die besten Vermittler wären wahrscheinlich europäische Länder wie Deutschland oder Großbritannien. Sie könnten am ehesten eine neutrale Position einnehmen. Natürlich werden auch sie den Vorwurf der Parteilichkeit hören, sobald sie eine der beiden Seiten kritisieren, aber das wird jedem Vermittler so gehen. ungekürzte Version des Interviews AudioGesprächsrunde Innenansichten des Nahost-Konfliktes vom Deutschlandradio Berlin Nächster Artikel: Dialog mit dem Feind |
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Letzte Änderung: 2005-05-22 22:55:56 | info@d-a-s-h.org Impressum |