Tacheles reden! e.V. Interview mit Kirsten Döhring und Ingolf Seidel

Das Interview führte M.B. für D-A-S-H am 9.11.2002 in Weimar mit den VertreterInnen des Tacheles Reden! Gegen Rechtsextremismus, Rassismus, Antisemitismus e.V. , Kirsten Döhring und Ingolf Seidel

Wie ist der Verein Tacheles Reden! Gegen Rechtsextremismus, Rassismus, Antisemitismus e.V. entstanden?

Der Verein Tacheles Reden! Gegen Rechtsextremismus, Rassismus und Antisemitismus e.V. ist vor etwa einem Jahr entstanden. Der Hintergrund war, dass die Leute, die den Verein gegründet haben auch haGalil-online kennen gelernt haben, sowohl das Angebot im Internet als auch die Herausgeber persönlich. Und dann entstand die Idee und war das Interesse vorhanden, mehr zum Thema Antisemitismus zu arbeiten. Und dabei auch das Thema Judentum, als einen Akt der Solidarität sozusagen, jüdisches Leben zu unterstützen und gerade jüdisches Leben in Deutschland sichtbar zu machen. Das war so die Anfangsgeschichte und das ist ein Bereich von Tacheles Reden! e.V., diese auch finanzielle Unterstützung und das Bestreben Fördermitglieder zu gewinnen, die haGalil-online mitfinanzieren.

Der andere Teil war von Anfang an die inhaltliche Arbeit, d.h. in erster Linie Veranstaltungen zu machen. Die erste Veranstaltung war zum Thema Rechtsextremismus und Antisemitismus im Internet mit David Gall und mit einem Vertreter von der Jugendinitiative gegen Rechts aus Berlin, die auch ein entsprechendes Internetangebot zusammen mit dem Antifaschistischen Pressearchiv und Bildungszentrum (APABIZ) haben. Und in diesem Jahr, also 2002 laufen noch andere Vorträge, eine Veranstaltungsreihe zum Thema »Bilanz, Tendenz, Perspektive: Vom Aufstand der Anständigen zum Holocaust in Legoland«. Das ist eine Veranstaltungsreihe mit verschiedenen Referenten. Es gibt von uns auch noch weitere Bildungsangebote wie Seminare und Workshops zum Thema Rechtsextremismus, zu den verschiedenen Facetten des Rechtsextremismus, zum Thema Antisemitismus und zum Thema Judentum und jüdisches Leben.

Mitte des Jahres begannen wir zusammen mit haGalil onLine mit dem Projekt "Or – Licht. Bildung gegen Antisemitismus, welches von entimon gefördert wurde. Antisemitismus ist Bindeglied unterschiedlichster rechtsextremer Bewegungen und das charakteristische Merkmal nazistischer Ideologien. Die Bekämpfung des Antisemitismus ist daher in der Bekämpfung des Nazismus von allergrößter Wichtigkeit. Seit 1995 ist es haGalil onLine gelungen, die Dominanz nazistischer Propaganda im Internet im Bereich des Antisemitismus zurückzudrängen. Ziel des Projektes »OR – Licht. Bildung gegen Antisemitismus« ist daher die Sicherstellung und Ausweitung des breitenwirksamen Bildungsangebots von haGalil onLine und die Förderung der Plattformen interkultureller Auseinandersetzung in haGalil onLine.

Ein weiteres Modellprojekt, das von D-A-S-H gefördert wird, ist das Projekt »Spurensuche jüdischer Geschichte in Vilnius« und dessen Veröffentlichung im Internet bei haGalil onLine. Dort geht es um die Dokumentation der Geschichte des Wilnaer Ghettos, welches von 1941 bis 1943 bestand. Mit Fotos, Dokumenten und Texten will »Spurensuche« Facetten des vielfältigen Widerstands im Ghetto aufzeigen, über die Dokumentation der wenigen Spuren, die es noch gibt, an die Menschen erinnern und in einem interaktiven online – Gästebuch Jugendlichen die Möglichkeit bieten, eigene Gedanken zur Präsentation zu formulieren, Formen des Gedenkens zu reflektieren und Diskussionen zum Gegenwartsbezug der Geschichte zu führen.

Ende diesen Jahres begannen wir gemeinsam mit haGalil onLine mit der Konzeption der Ausstellung »Filmrisse. Eine Werkschau über den Umgang mit der eigenen Geschichte«. In der Ausstellung werden Bilder der Ausstellung »Stumme Zeugen« von dem Fotografen Erich Hartmann mit Bildern der Ausstellung »Denkmale über das Leben von Juden in Berlin und deren Vertreibung und Ermordung « von Michael Eun und Iris Weiss konfrontiert Wir wollen mit diesem Projekt dazu beitragen, einen Einblick in die Wirklichkeit im Umgang mit der Erinnerung zu geben.

Der Versuch, Alltag mit Erinnerung nach dem Nationalsozialismus zu begreifen und aktiv zu gestalten, kann nur gelingen, wenn sich eigene Verantwortung einstellt. Erst die Möglichkeit, sich auf die emotionalen, geschichtlichen und psychischen Strukturen des Nationalsozialismus einzulassen, schafft ein Gespür dafür, wie notwendig eine aktive Auseinandersetzung mit Erinnerung in Verantwortung für die Geschichte ist.

Arbeitet Ihr mit antifaschistischen Gruppen zusammen?

Ja, ein Projekt, das ist ja gerade schon genannt worden, mit dem wir auch im Rahmen von haGalil zusammenarbeiten, ist das Antifaschistische Pressearchiv und Bildungszentrum (APABIZ) in Berlin. Mit denen haben wir im letzten Jahr eine Dokumentation und Chronologie von antisemitischen Angriffen in Deutschland in den verschiedenen Bundesländern im Internet veröffentlicht.

Ein ganz konkretes Projekt mit dem wir jetzt sehr eng zusammenarbeiten ist das Bildungsteam Berlin-Brandenburg. Das ist auch ein kleiner Verein, die vor allem antirassistische Bildungsarbeit in Berlin und Brandenburg machen und gemeinsam entwickeln wir gerade »Bausteine gegen Antisemitismus«. Das heißt, wir konzipieren Seminare und Fortbildungen zum Thema Antisemitismus und wollen das für verschiedenste Zielgruppen anbieten und damit an Schulen gehen oder auch Schüler und Schülerinnen einladen. Wir wollen das für Jugendliche anbieten, aber auch für Lehrer, Sozialarbeiterinnen und so weiter.

Gab es da schon Interesse oder Anmeldungen von Schulen, Jugendclubs oder anderen Einrichtungen?

Es gab erste Interessensbekundungen von LehrerInnen aus Berlin von einem Projekt, Standpunkte heißen die, dass sie perspektivisch gerne mit uns zusammen arbeiten würden. Und sonst wird sich zeigen in wie weit es Interesse gibt, etwas zum Thema Antisemitismus zu machen. Ich denke, es besteht auf jeden Fall die Notwendigkeit, dazu zu arbeiten, aber das wird sich zeigen. Bedarf und Interesse sind in jedem Fall vorhanden.

Also vielleicht muss man dazu sagen, im Moment ist das Projekt der Bildungsbausteine noch in der Konzeptionsphase, das heißt konkrete Seminarangebote werden erst im nächsten Jahr gemacht und dann auch die Werbung verstärkt.

Im Moment geht es auch darum, in einen Austausch zu kommen mit anderen Projekten, die ähnlich arbeiten wie beispielsweise das Bildungswerk Thüringen, die auch das Anliegen haben, Antisemitismus in der Bildungsarbeit zum Thema zu machen. Und diese Vernetzung finden wir auch ganz wichtig.

Wenn das dann soweit angelaufen ist und es Interesse gibt von Gruppen oder Einzelpersonen, an wen wendet man sich dann, wie kann man da Kontakt aufnehmen?

Na ja über die beiden Vereine, die ich gerade schon genannt habe, also einmal überTacheles Reden! e.V. (bausteine@tacheles-reden.de, fon: 030-69516815) und das Bildungsteam Berlin-Brandenburg (mail: as-bausteine@bildungsteam.de, fon: 030-61076544)

Aber Ihr habt bis jetzt noch nicht allzu viel Erfahrung mit schon gelaufenen Veranstaltungen, vor allem mit Jugendlichen?

Im Bereich Antisemitismus nicht. Das ist eben noch ein wichtiger Punkt.

Beim Thema Antisemitismus gibt es in der politischen Bildungsarbeit, sowohl mit Jugendlichen, als auch mit Erwachsenen relativ wenig Angebote. Z.B. in der Gedenkstättenarbeit und auch zum Thema Nationalsozialismus, da gibt es durchaus Bildungsangebote. Aber speziell zum Thema Antisemitismus und auch zum aktuellen Antisemitismus, also zum sekundären Antisemitismus nach 1945 oder wegen Auschwitz, da gibt es relativ wenig Angebote. Es gibt aber auch eine verstärkte Nachfrage, also es gibt schon vermehrt Lehrer und Lehrerinnen, die nachfragen, sowohl bei haGalil als auch bei anderen Anbietern, wie zum Beispiel dem Anne-Frank-Zentrum in Frankfurt am Main. Es gibt einfach eine größere Nachfrage, weil sich das Problem auch mehr stellt.

Es gibt bei uns, also in den beiden Vereinen, schon durchaus Erfahrungen im Bereich politischer Bildungsarbeit mit Seminaren, aber eben schwerpunktmäßig zum Thema Rechtsextremismus und Rassismus, das sind die Themen, wo wir auch schon sehr viel gemacht haben, sowohl inhaltlich als auch praktisch.

Auch Projekte wie Aktiv gegen Rechts haben die Idee möglichst verschiedene Jugendliche anzusprechen und auch mit verschiedensten pädagogischen Methoden zu arbeiten, die dann auch die Leute ansprechen sollen. Und wo man dann auch mal was anderes macht als nur Texte zu lesen, sondern das Ziel ist, über sich selbst zu reflektieren und über sich selbst nachzudenken und zu überlegen, was man eigentlich selbst mit dem Thema zu tun hat und was es aber auch für Möglichkeiten gibt zu handeln.

Wie schätzt Ihr das ein, sind die Jugendlichen heutzutage dazu fähig, über sich selber zu reflektieren und darüber was sie mit dem Thema zu tun haben? Sieht man Erfolge, bewegt sich da was?

Ich würde sagen, das ist sehr unterschiedlich, je nach Interesse, ob du z.B. eine Gruppe hast, die wirklich Interesse hat, die sich das Thema selbst ausgesucht hat.

Wenn Du zum Thema Rassismus arbeitest, oder auch zum Thema Antisemitismus, denke ich, dann muss ein Interesse da sein, weil sonst ist es sehr schwierig da mit Jugendlichen dran zu arbeiten. Und die Erfahrungen im Bereich Antirassismusarbeit zeigen, dass es sehr unterschiedlich ist, zum Beispiel in Seminaren in Brandenburg gibt es schon Situationen, wo du denkst, da machst du eine Woche ein Seminar zum Thema Rassismus und hast hinterher das Gefühl, dass von einer Gruppe von 20 Jugendlichen vielleicht fünf was mitnehmen und wo du dir sagst: »Okay, für die hat sich’s gelohnt.«

Ich denke halt, das Prinzip der Freiwilligkeit sollte ganz oben stehen, was halt häufig nicht der Fall ist, oft sind Seminarfahrten ein Ersatz für Klassenfahrten, was natürlich auch einen gewissen Frust hervorruft, weil für Klassenfahrten nicht genug Geld da ist und so ein Seminar immer noch billiger ist. Da kann ich die Abwehrhaltung sogar noch verstehen, bei 14- bis 16-Jährigen, aber es auch ganz oft eine Frage der Methodik. Jugendliche sind es gewohnt, in der Schule halt in den Schulbänken zu sitzen, Texte zu lesen, das macht ihnen keinen Spaß, aber es ist die Form wie sie lernen. Wenn sie dann auf einmal mit kreativen Methoden konfrontiert sind, halten sie das häufig für Spielchen und nehmen das nicht ganz ernst. Da hat man manchmal ein rein praktisches Problem. Auf der anderen Seite, sind das halt die Methoden, wo man am ehesten auch noch etwas bewirken kann und wenn sich Jugendliche erst mal darauf einlassen, haben sie auch den größten Spaß am Lernen. So nehme ich das auch in den Seminaren wahr. Das Problem ist meiner Ansicht nach, dass dieser ganze Bereich Rechtsextremismus, Rassismus, Antisemitismus, doch ziemlich stark auch in der Persönlichkeitsstruktur verankert ist, so dass man mit Kurzzeitpädagogik, das heißt innerhalb einer Woche, nur sehr begrenzt was bewegen kann, wenn die Jugendlichen dann wieder in ihre altes soziales Umfeld zurückkommen.

Das setzt dem Ganzen halt Grenzen. Vorhin war die Frage nach dem Antifa-Sommer, langfristige Projekte für Jugendliche, seien sie selbst verwaltet, seien sie vielleicht sozialpädagogisch oder sonst wie betreut, haben immer noch keine Chance auf eine sichere Förderung. Und beide Formen, denke ich, würden eine sehr gute Strategie gegen Rechts ergeben, wenn nicht-rechte Jugendliche da eine Möglichkeit hätten, sich zu artikulieren und ihre Plätze auch zu finden, aber dafür gibt’s nur in Ausnahmefällen Geld. Und das kann keine Kurzzeitpädagogik auch nur aufheben.

Und ich denke, ein Aspekt generell von politischer Bildungsarbeit gegen Rechtsextremismus oder gegen Antisemitismus, das hat auch immer seine Grenzen, das kann halt einfach nur, oder was heißt nur, es kann auf jeden Fall Gedankenanstöße bringen, oder bei Interessierten noch mehr Interesse wecken.

Oder vielleicht einige dazu anregen, über sich selbst nachzudenken oder auch mal zum Beispiel, was auch ein Anliegen wäre, mal in der eigenen Familie nachzufragen, was haben eigentlich meine Großeltern in der Familie im Nationalsozialismus getan.

Aber letztendlich denke ich, dass so längerfristig angelegte Projekte sehr viel sinnvoller sind und aus längerfristigen Zusammenarbeiten auch Projekte entstehen, dass Jugendliche selbst aktiv werden und sich auseinandersetzen, selbst auf Spurensuche gehen, in ihren eigenen Umfeldern. Oder sich einfach verschiedene Möglichkeiten überlegen, wie sie selbst aktiv werden können.

Wie ist Eure Einschätzung zur aktuellen Entwicklung des Antisemitismus in der BRD?

Der Antisemitismus, der sich jetzt äußert, ist eigentlich eine längerfristige Entwicklung, hat eine längere Geschichte, die anfängt mit dem Antijudaismus, und sich dann über verschiedene Epochen weiterentwickelt hat und dann zum Antisemitismus wurde, mit der Industrialisierung und mit der Entstehung des Kapitalismus. Und der Antisemitismus, der sich jetzt äußert, greift auch immer wieder auf alte Feindbilder zurück, hat aber nach 1945 durchaus noch mal eine neue Dynamik bekommen.

Diese ganze starke Erinnerungsabwehr, die in der Gesellschaft vorhanden ist, also nicht mehr erinnert werden an die Täter und an die Taten, das äußert sich auch verstärkt und wird noch mal mehr angeheizt durch die gesellschaftlichen Debatten, die geführt wurden, wie z.B. die Walser-Debatte und die Diskussion um das Holocaust-Mahnmal und jetzt noch mal die jüngsten Äußerungen von Möllemann und der Umgang der FDP damit. Dadurch konnte in der Öffentlichkeit viel gesagt werden was sowieso schon latent vorhanden war, aber was sich dadurch dann erneut verstärkt geäußert hat.

Wie kann man Euch in Eurer Arbeit als Tacheles e.V. unterstützen?

Finanziell als Fördermitglied im Verein natürlich. Außerdem sind wir auf jeden Fall interessiert an Austausch und Vernetzung mit anderen Projekten, die sich gegen Antisemitismus, Rechtsextremismus und Rassismus engagieren. Und wir sind auch interessiert an Zusammenarbeit mit Leuten, die selbst Vorträge anbieten, dass sie auch mit uns in Kontakt treten und wir so verschiedene Sachen anbieten oder uns austauschen können.

Kontakt:
Tacheles Reden e.V. Gegen Rechtsextremismus, Rassismus und Antisemitismus e.V.
Lausitzer Str. 10
10999 Berlin
Tel.: (030) 69 51 68 15
info@tacheles-reden.de
http://www.tacheles-reden.de/

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