Den Faschismus »mit Stumpf und Stiel ausgerottet« – Vergangenheitspolitik und Erinnerungskultur in der DDR

von Sylvia Gössel

Fragt man heute nach dem Umgang mit der nationalsozialistischen Vergangenheit in der DDR, so stößt man schnell auf die Formel vom »verordneten Antifaschismus«, der anderen Formen der Auseinandersetzung keinen Raum ließ. In der Tat wurde von der Staats- und Parteiführung seit der Gründungsphase der DDR ein dogmatisches antifaschistisches Konzept umgesetzt, welches die Legitimation des Staates, seiner Führung und deren Politik begründete. Es blieb bis zum Schluss fest in der politischen Staatskultur der DDR verankert. Im Folgenden stehen zunächst die Inhalte dieses staatstragenden Antifaschismus im Vordergrund. Doch soll auch umrissen werden, welche Konsequenzen sich daraus ergaben und welche Ausdrucksformen der Erinnerung sich durchsetzten. Die Frage ist zudem, ob auf dieser Grundlage eine Auseinandersetzung in der Gesellschaft stattfinden konnte. Es gibt mittlerweile unzählige Bücher und Artikel, die sich mit der offiziellen Vergangenheitspolitik der DDR beschäftigen. Derartige Analysen können aber kaum beschreiben, welche Auswirkungen das antifaschistische Konzept auf die private Erinnerung der DDR-Bürger und deren Befindlichkeiten hatte. In diesem Rahmen kann nur versucht werden, eine kleine Einführung in die Problematik zu geben. Viele Punkte bedürfen eigentlich der genaueren Ausführung. Eine Beschäftigung mit der Thematik kann sich trotz der gängigen »Aufarbeitung« des DDR-Antifaschismus nach 1989 um eine fruchtbare, unpolemische Sichtweise bemühen.

Dossier #11: Erinnerungskultur und Gedächtnispolitik

  1. Erinnerungskultur und Gedächtnispolitik
  2. Offizielles Erinnern in der BRD
    (Katharina Hamann)
  3. Vergangenheitspolitik und Erinnerungskultur in der DDR
    (Sylvia Gössel)
  4. Geglättete Erinnerung
    (Sebastian Kirschner)
  5. Wie erinnern?
    (Salomon Korn)
  6. Waagschalen-Mentalität
    (Martin Jander)
  7. Kein Mitleid mit den Deutschen
    (Marek Edelmann)
  8. Die Rolle der Medien im Erinnerungsdiskurs
    (Mathias Berek)
  9. Das Projekt Shoa.de
    (Stefan Mannes)
  10. BildungsBausteine gegen Antisemitismus
  11. Stolpersteine
  12. Literatur und Materialien

Die Voraussetzungen des staatstragenden Antifaschismus

Man kann die Erinnerung in der DDR nicht beschreiben, ohne die Grundlagen des kommunistischen Antifaschismus-Konzeptes zu beleuchten. Die Basis der Interpretation der Vergangenheit war der kommunistische Faschismusbegriff. Spätestens seit dem 7. Weltkongress der Kommunistischen Internationale (Komintern) 1935 hatten KPD-Anhänger den Faschismus im Wesentlichen als eine »besonders terroristische, chauvinistische und imperialistische Form des Finanzkapitalismus« bestimmt. Mit seiner Hilfe, so die Argumentation, hätten die Monopolkapitalisten seit 1933 noch aggressiver versucht, ihre wirtschaftliche und politische Macht zu erhalten, die durch den wachsenden Einfluss der Arbeiterbewegung und die bevorstehende sozialistische Revolution gefährdet gewesen sei. Die deutsche Barbarei könne und müsse demnach durch die marxistisch-leninistische Analyse von Kapitalismus und Klassenkampf erklärt werden. Die Kommunisten, die 1945 vor allem aus dem Moskauer Exil mit der Roten Armee ins Land zurückkamen und begannen, eine Gesellschaft nach ihren Maßgaben aufzubauen, zogen daraus eindeutige Konsequenzen: Wenn die Barbarei in den sozioökonomischen Grundlagen der kapitalistischen Gesellschaft angelegt ist, so schafft man durch die Enteignung des Großkapitals und Großgrundbesitzes Verhältnisse, die (laut Definition) ein Wiederaufleben des Faschismus ausschließen. Doch verlangten die strukturellen Umwälzungen ihre Entsprechungen in personellen Veränderungen, da zunächst die alten Nazis und ihre Unterstützer handlungsunfähig gemacht werden mussten. Entsprechend des Potsdamer Abkommens vom August 1945 wurde rasch mit der Umsetzung einer umfassenden Entnazifizierung begonnen. Als die Sowjetische Militäradministration in Deutschland (SMAD) bereits im Februar 1948 die Entnazifizierung als erfolgreich abgeschlossen erklärte, war die alte Elite in der Tat fast völlig ausgeschaltet. In der Verfassung der DDR wurde die Nicht-Verjährung von Nazi- und Kriegsverbrechen festgehalten, der letzte Prozess fand im September 1989 seinen Abschluss. Allerdings reichte bezogen auf »einfache« NSDAP-Mitglieder oftmals die aktive Mitarbeit am Aufbau des Sozialismus bzw. der Eintritt in die KPD/SED, um größere Unannehmlichkeiten zu vermeiden. So wurden zahlreiche Mitläufer problemlos integriert, die vorher noch dem Hitlerregime zugejubelt hatten. Zum anderen richtete sich die Entnazifizierung auch gegen Kritiker der Partei. Die Härte gegenüber den Nazis riss selbst später noch politisch Andersdenkende in den Strudel von Säuberungen. [In autoritären oder diktatorischen Regierungssystemen heißt »Säuberung« die Entfernung politisch missliebiger Personen in großer Zahl aus leitenden, aber auch nachgeordneten Stellungen in Staat und Gesellschaft. In totalitären Staaten wurden die Säuberungen zu einer Form des Staatsterrors und gipfelten häufig in Schauprozessen. In der Sowjetunion entwickelte Stalin die Säuberung zu einem Instrument zur Durchsetzung seiner persönlichen Herrschaft (besonders 1935-39: »Tschistka«). In den sowjetischen Einflussgebieten nach dem 2. Weltkrieg spielten Säuberungen eine wesentliche Rolle bei der Durchsetzung des sowjetischen Gesellschaftssystems und zur rigorosen Durchsetzung der Parteidisziplin als Herrschaftsinstrument (Parteisäuberungen). Schauprozesse fanden bspw. 1952 in der Tschechoslowakei (gegen R.Slánský) und 1957 in der DDR (gegen W.Janka/ W.Harich) statt. Quelle: Brockhaus Wissen 2004, Mannheim 2004] Die Begründung dafür ergab sich unter anderem aus der Interpretation der Geschichte: wer die Gegner des Faschismus kritisiere, unterstütze objektiv den Faschismus. Diese Argumentation führte auch konstruktive Kritik an der Staats- und Parteiführung ad absurdum.

Die Schuldfrage und der Umgang mit dem Holocaust

Widersprüchlich sind die Aussagen zur Schuldfrage des deutschen Volkes. Einerseits lieferte ihre Bejahung die Legitimation für eine autoritäre Herrschaft in der DDR, und tatsächlich gibt es offizielle Äußerungen, in denen davon die Rede ist, dass ein gefährliches Volk einer starken Führung bedürfe. Gerade in Krisenzeiten, so zum Beispiel im Zuge des 17. Juni 1953, berief sich die Parteiführung darauf, dass die wilden Horden schon einmal ausgebrochen waren. Andererseits gibt es eine Vielzahl von Bekenntnissen zum Deutschen Volk, das von einer kleinen Clique von faschistischen, imperialistischen Machthabern geknechtet und verführt worden sei. Die Opferdarstellung überwiegt dabei und befriedigte das weit verbreitete Selbstbild der deutschen Bevölkerung nach dem Krieg. Eine Auseinandersetzung mit der deutschen Kollektivschuld, wie sie ansatzweise in Westdeutschland hochkochte, brauchte es in der DDR nicht zu geben, da man hier mittlerweile ökonomische Verhältnisse geschaffen hatte, die aus den Ostdeutschen ein Heer von aktiven Antifaschisten machten. Die Bevölkerung entlastete das in starkem Maße. Auch die Führung um Walter Ulbricht brauchte sich mit einer Schuldfrage nicht auseinanderzusetzen, ihr antifaschistisches Selbstverständnis ergab sich aus den persönlichen Biografien. Auch viele nachfolgende Führungskräfte hatten die Zeit des Nationalsozialismus entweder im Exil oder in einem deutschen Gefängnis verbracht. Zudem zeigte sich, dass die politische Macht auch die Macht zur Konstruktion der Geschichte beinhaltete. Man betonte vor allem die ununterbrochene Tradition des kommunistischen Widerstandes und wähnte sich schuldlos am Zusammenbruch der Weimarer Republik sowie dem Aufstieg der Nazis. Der Hitler-Stalin-Pakt wurde völlig aus der Diskussion verdrängt, hingegen wurde die Verantwortung an die bürgerlichen Parteien delegiert. Analysen eigener Fehler sollten auch später nicht zu den Stärken der DDR-Führung gehören.
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Ein entscheidender Punkt innerhalb des offiziellen ostdeutschen Antifaschismus bestand in der Ausblendung der Judenvernichtung. In Erfahrung des Vernichtungskrieges der Wehrmacht gegen die sowjetische Bevölkerung und im Hinblick auf die unerschütterliche Dankbarkeit gegenüber den sowjetischen Befreiern wurde vor allem die Sowjetunion als das Hauptopfer des Faschismus anerkannt. Die antisemitische Rassenhetze wurde lediglich als bloßes Instrument zur Spaltung und Verwirrung der Arbeiterklasse interpretiert, welches von den faschistischen Machthabern zur bewussten Ablenkung vom Klassenkampf eingesetzt wurde. Warum dieses »Mittel« innerhalb der deutschen Bevölkerung auf fruchtbaren Boden stieß und in der industriemäßigen Vernichtung von über 6 Millionen Juden gipfelte, stand nicht zur Debatte. Auch in den eigenen Reihen der Kommunisten offenbarten sich gelegentlich antisemitische Denkweisen in der Verbindung von Judentum und Kapital. Im Zuge der Stalinistischen Säuberungen zu Beginn der 50er Jahre wurden die Kontakte vieler jüdischer Überlebender zu westlichen Hilfsorganisationen gar zu einer antikosmopolitischen Säuberungswelle benutzt, in denen zahlreiche Gemeindemitglieder pauschal der Illoyalität gegenüber der DDR verdächtigt wurden. Zur Festigung der SED-Herrschaft wurden judenfeindliche Vorurteile herangezogen, doch verstellt eine Gleichsetzung mit dem Antisemitismus der Nazis den Blick auf die damaligen historischen Zusammenhänge. Eine Erinnerung an den Holocaust wurde jedoch für lange Zeit unmöglich gemacht und selbst hochrangige Kommunisten, wie z. B. Paul Merker, gerieten durch ein aktives Eintreten für die Wiedergutmachung an jüdische Überlebende in den Strudel der Säuberungen.(1) Die Erfahrungen dieser Ära, gepaart mit einer prinzipiellen Abneigung gegenüber Religion als »Opium des Volkes«, verhinderten eine Betonung des jüdischen Leidens bis in die 80er Jahre hinein. Die »jüdischen Opfer« blieben den »kommunistischen Kämpfern« in Behandlung und Ansehen untergeordnet. Konsequenterweise gab es keine umfassenden Entschädigungsleistungen im Vergleich zur bundesdeutschen »Wiedergutmachung«, da sich die DDR nicht als Nachfolgestaat des Dritten Reiches verstand. Im Kampf um die knappen Ressourcen der Erinnerung war für die Opfer des Holocaust kein Platz. Das jüdische Leiden mitsamt seiner Ausweglosigkeit und Sinnlosigkeit passte nicht in die heroische Antifaschismuskonzeption.

(1) Zu Paul Merker und dem Schicksal anderer siehe den »Aufarbeitung des DDR-Unrechts in der Kritik« von Martin Jander in der Jungle World 8/04

Die Instrumentalisierung des Antifaschismus

Schnell wurde deutlich, dass das Konzept des Antifaschismus in der DDR keine Abweichungen duldete, und immer offensichtlicher wurde es dem Zweck der Legitimation des eigenen Handelns untergeordnet. Die Instrumentalisierung der Vergangenheitspolitik offenbarte sich besonders deutlich im Konkurrenzkampf der beiden deutschen Staaten. Da die BRD mit ihrer Integration in den Westen und dem Wiederaufbau einer kapitalistischen Wirtschaftsordnung die Voraussetzungen für den Faschismus wiederhergestellt hatte, entzog man der Bundesrepublik die moralische Daseinsberechtigung. Vor allem in Reaktion auf die Hallstein-Doktrin, mit der die Bundesregierung 1952 versucht hatte, die DDR außenpolitisch zu isolieren, wurde es immer wichtiger, den Klassenfeind mit Verweis auf die Vergangenheit zu diskreditieren. Als es in Westdeutschland seit 1956 wieder häufiger zu antisemitischen Vorfällen kam, formulierten die ostdeutschen Medien den Vorwurf der »Refaschisierung« und legten den Finger auf die Wunde der mangelhaften bundesdeutschen Entnazifizierungs- und Rehabilitierungspraxis. Seit Ende der 50er Jahre wurden die Vorwürfe innerhalb groß angelegter Kampagnen gegen bestimmte Personen zugespitzt. So versuchte man etwa den Staatssekretär im Bundeskanzleramt, Hans Maria Globke, im Zusammenhang mit dem Eichmann-Prozess Anfang der 60er Jahre auf die Anklagebank zu bringen. Er hatte am Kommentar zu den Nürnberger Rassegesetzen mitgewirkt. Sicher waren diese Kampagnen außenpolitisch wirkungsvoll und trugen sogar zur Bildung eines Problembewusstseins in der Bundesrepublik bei. Doch wurde wiederum die Verantwortung für die Vergangenheit aus dem Gebiet der DDR verwiesen.

Am offiziellen Antifaschismus-Konzept änderte sich im Verlaufe der Geschichte nur wenig, die Basis blieb unangetastet und wurde dogmatisch verteidigt. Ansätze einer Debatte jenseits der staatlichen Vorgaben gab es erst seit Ende der 70er Jahre. Angestoßen wurde dies durch den Einfluss der einsetzenden Kontroversen in der Bundesrepublik und die Diskussionen in der evangelischen Kirche. Hier, im quasi einzigen staatsfreien Raum, begann man sich auf anderer Ebene mit der Frage nach der Schuld und dem jüdischen Leiden auseinanderzusetzen. Letztlich traten auch einige Intellektuelle für eine intensivere Beschäftigung mit der Judenverfolgung ein und forderten ein offeneres Antifaschismus-Verständnis. Allerdings bedeutete das nicht, dass eine ausgedehnte gesellschaftliche Diskussion angeregt werden konnte, offenbar fehlte es an einem breiten Problembewusstsein. Dennoch reagierte die Staats- und Parteiführung unter Honecker mit einer teilweisen Lockerung, die jedoch nicht über die herkömmlichen Interpretationsmuster hinauskam.{F So war Ende der 80er Jahre eine Öffnung in der Forschung zu verzeichnen – wurden Arbeiten zum nichtkommunistischen Widerstand veröffentlicht und diskutiert. Dies geschah jedoch weitestgehend unbeachtet innerhalb der wissenschaftlichen Institutionen der DDR.F} Selbst 1988, als mit großen Zeremonien der 50. Jahrestag der Pogromnacht begangen wurde, war offensichtlich, dass unter anderem außenpolitische und ökonomische Zwänge hinter der Öffnung der Erinnerung standen. Die Bevölkerung konnte trotz der Betonung seiner antifaschistischen Grundlage nicht an den desolaten Staat gebunden werden. Je offensichtlicher die gesellschaftliche und ökonomische Krise in der DDR wurde, desto stärker wurde letztlich auch von kleinen kritischen Teilen der Bevölkerung versucht, über eine Thematisierung der Mängel des offiziellen Antifaschismus Kritik am Staat zu üben.


Die antifaschistische Erinnerungskultur

Der Antifaschismus konstituierte das nationale Selbstbild der DDR Zeit ihres Bestehens. Es gelang der SED- Führung, ihn als Gründungsmythos fest im politischen Alltag zu verankern. Durch die spezifischen strukturellen Voraussetzungen entwickelte sich jedoch eine hegemoniale Erinnerungskultur, die kaum Freiraum für andere Formen bot. Der Faschismus rückte allerdings permanent ins Gesichtsfeld der Bevölkerung. Vor allem der kommunistische Widerstand und der Befreiungskampf durch die Sowjetunion standen im Vordergrund einer öffentlichen Erinnerung. Der Antifaschismus wurde in der DDR mit vielen Feldern der Alltagskultur verbunden. Zahlreiche Schulen, Straßen und Plätze wurden nach kommunistischen Widerstandskämpfern benannt, und es fanden sich auf dem gesamten Gebiet der DDR Mahnmale, die den antifaschistischen Kampf dokumentierten. Im Rahmen der zahlreichen Gedenktage, beispielsweise zum Tag der Befreiung, wurde die Überwindung der Vergangenheit beschworen. Die immer wiederkehrende Floskel, dass auf dem Boden der DDR Faschismus, Rassen- und Völkerhass »mit Stumpf und Stiel ausgerottet« seien, veranschaulichte den radikalen Bruch mit der Geschichte.

Einen herausragenden Stellenwert nahmen die Mahn- und Gedenkstätten ein. Bereits 1958 wurde Buchenwald, die wichtigste der »Nationalen Mahn- und Gedenkstätten« (NMG) eingeweiht. Die großflächigen Gedenkanlagen waren für Massenbesuche konzipiert: Soldaten der Nationalen Volksarmee (NVA) leisteten hier ihren Fahneneid und der Besuch einer Gedenkstätte war Bestandteil der Jugendweihe. Alle achten Klassen, zahlreiche Delegationen der FDJ (Freie Deutsche Jugend – zentrale Jugendorganisation der DDR) und Kollektive wurden dort bei obligatorischen Pflichtbesuchen umhergeführt. Dabei stellten die Gedenkstätten, die politisch eng angebunden waren, mit ihrer heroischen Monumentalästhetik den Sieg des Sozialismus über den Faschismus zur Schau.

In der Bildung spielte die antifaschistische Erziehung eine wichtige Rolle, so machte die Zeit des Dritten Reiches einen beachtlichen Teil des Lehrplans aus. Darüber hinaus leistete die DDR-Geschichtswissenschaft einen umfangreichen Beitrag zur Erforschung des Nationalsozialismus, obwohl auch hier die gängigen ökonomischen Erklärungen manifestiert wurden. Die größten Mängel bestanden dabei in der Vernachlässigung des jüdischen Leidens, in der Fehlinterpretation und Marginalisierung von Antisemitismus und Holocaust. Allerdings ist die Annahme falsch, es hätte in der DDR überhaupt keine Erinnerung an die verfolgten Juden gegeben. So gab es einzelne Schriftsteller und Schriftstellerinnen, Historiker und Historikerinnen sowie Filmemacher, die diese Problematik verarbeiteten.(2)

(2) Ein Interview mit dem Regisseur Konrad Weiß »Eine Fahrt nach Auschwitz« über die Diskussionen in der DDR-Opposition um die Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus findet sich in der Ausgabe 44 der Zeitschrift »Horch und Guck«

Die Formen der Erinnerung unterlagen immer deutlich dem Zweck kollektiver nationaler Identitätsstiftung. Die antifaschistischen Rituale waren von einer persönlichen Erinnerung und damit von tiefgründiger Auseinandersetzung weit entfernt, was die Entlastung des ostdeutschen Gewissens begünstigte. Personenkult, beispielsweise um den ermordeten KPD-Vorsitzenden Ernst Thälmann, Mythenbildung und eine kämpferische Sprache ließen einer wirklichen Konfrontation mit der Geschichte, die immer einer starken Konkretisierung der Erinnerung bedarf, keinen Raum. Die persönlichen Erfahrungen der Nazi-Zeit wurden verdrängt, ins Private abgeschoben und entzogen sich dort der staatlichen Kontrolle.

Schlussbetrachtungen

Während in der Bundesrepublik letztlich kontroverse Erinnerungsdebatten geführt wurden, fällt bezogen auf die DDR vor allem eines auf: dass es keine gab. Neben dem gängigen Antifaschismus-Konzept konnten sich keine alternativen Vorschläge des Umgangs mit der Vergangenheit etablieren. Sämtliche öffentliche Diskurse wurden bis zum Ende hin staatlich gefüttert. Die festgefahrenen politischen Strukturen, kontrollierte Medien, fehlende Mitbestimmung und politische Repressionen gegen Andersdenkende hatten bald dazu geführt, dass eine kritische Öffentlichkeit fehlte, in der verschiedene Positionen im Umgang mit dem Nationalsozialismus diskutiert werden konnten. Unter diesen Voraussetzungen konnte eine tiefgründige gesellschaftliche Auseinandersetzung mit Nationalsozialismus und Holocaust nicht stattfinden. Der Begriff des »verordneten Antifaschismus« impliziert, dass die Masse der Bevölkerung passiv blieb. Ein umfassender eigener Antrieb zur Aufarbeitung innerhalb der Gesellschaft war offensichtlich nicht gegeben. Allerdings blieb der Antifaschismus nicht ohne Wirkung. Neuere Studien zur Bedeutung des Antifaschismus belegen, dass im Vergleich zu Westdeutschland die große Mehrheit der Ostdeutschen (durch alle Jahrgänge hindurch, im Alter sogar mit zunehmender Tendenz) eine intensive Auseinandersetzung mit der Hitlerzeit begrüßt. Zudem ist altes nationalsozialistisches Gedankengut weniger stark integriert und akzeptiert – doch schließt das rassistische und antisemitische Denkweisen nicht aus. Gegen Ende der DDR vermochte das antifaschistische Ideengebäude die Bürger nicht mehr an den Staat zu binden, auch zeigten sich Mängel in der antifaschistischen Erziehung der Jugend. Dass diese Erziehung nicht vor Rassismus und menschenverachtenden Ideologien schützte, offenbarte sich darin, dass es Ende der 80er Jahre in der DDR über 800 erfasste Neonazis gab – öffentlich thematisiert wurde das natürlich nicht. Letztlich bleibt die Frage offen, was wirklich in den Köpfen der Bevölkerung vor sich ging. Rückblickend betrachtet wird der Antifaschismus von den Ostdeutschen in erster Linie mit dem verhassten System assoziiert. Die einseitigen und abstrakten Rituale werden so nachträglich als die Erfüllung eines Pflichtprogramms empfunden. Letztlich ließ auch die fortwährende Instrumentalisierung an der Glaubwürdigkeit antifaschistischer Inhalte zweifeln. Viele Chancen eines institutionalisierten Antifaschismus wurden in der DDR schlichtweg vergeben.

Nach dem Zusammenbruch der DDR 1989/90 wurde im öffentlichen Diskurs sehr bald auch der Antifaschismus in Frage gestellt, der ja die Legitimation der Führung begründet hatte. Mit der Suche nach dem neuen deutschen Geschichtsverständnis kam es zu seiner pauschalen Abwertung. Einer kritischen Erweiterung des Konzeptes stand plumpe Polemik im Weg. Stattdessen wurden bzw. werden immer wieder die Gemeinsamkeiten von SED-Diktatur und Nationalsozialismus hervorgehoben. Dabei kann ein Vergleich, beispielsweise der gesellschaftlichen Strukturen, durchaus sinnvoll sein. Doch werden solche Versuche allzu leicht als politische Munition in der öffentlichen Auseinandersetzung genutzt. Man könnte sich freuen: immerhin gibt es ja eine solche Auseinandersetzung und man kann heute ohne Probleme z.B. Artikel für Internetprojekte schreiben. Doch befriedigend verlaufen die heutigen Debatten deshalb noch lange nicht. Sie werden meist sehr heftig, laut und emotional geführt, bleiben bei näherer Betrachtung aber kurzlebig und oberflächlich.

Geht man davon aus, dass jede Erinnerung ihren Bezug in der Gegenwart hat, stellt sich abschließend die Frage, ob es eine Auseinandersetzung mit der Vergangenheit aus reinem Selbstzweck überhaupt geben kann. Erinnerung macht vor allem dann Sinn, wenn man versucht, eigene Lehren aus der Geschichte zu ziehen, um die Gegenwart besser und erträglicher zu gestalten. In diesem Zusammenhang ist es übrigens durchaus spannend, sich trotz allem mit Ansätzen zu beschäftigen, die Kapitalismus und Nationalsozialismus miteinander in Beziehung setzen.

Sylvia Gössel
Magistra Artium; studierte Kulturwissenschaften, Politikwissenschaft und Allgemeine und Vergleichende Literaturwissenschaft; Magisterarbeit über: »Das Gedenkjahr 1988. Die kulturellen und politischen Aktivitäten der DDR im Umfeld des 50. Jahrestages der Pogromnacht. Antifaschistische Praxis im Schatten von Legitimationsverlust und Krise«

Literaturtipps

  • Jeffrey Herf, Zweierlei Erinnerung. Die NS-Vergangenheit im geteilten Deutschland, Berlin 1998.
  • Olaf Groehler/Ulrich Herbert (Hg.), Zweierlei Bewältigung. Vier Beiträge über den Umgang mit der NS-Vergangenheit in den beiden deutschen Staaten, Hamburg 1992.
  • Peter Reichel, Politik mit der Erinnerung. Gedächtnisorte im Streit um die nationalsozialistische Vergangenheit, München-Wien 1995.
  • Jutta Illichmann, Die DDR und die Juden. Die deutschlandpolitische Instrumentalisierung von Juden und Judentum durch die Partei- und Staatsführung der SBZ/DDR von 1945-1990, Frankfurt/Main 1997.
  • Stefanie Endlich, Geschichte und Zukunft der NS-Gedenkstätten in der vormaligen DDR, in: Schoeps/ Nachama (Hg.), Aufbau nach dem Untergang, Berlin 1992.
  • Finker, Kurt: Zwischen Integration und Legitimation. Der antifaschistische Widerstandskampf in Geschichtsbild und Geschichtsschreibung der DDR, Leipzig 1999.
  • Leo, Annette/ Reif-Spirek, Peter (Hg.): Vielstimmiges Schweigen. Neue Studien zum DDR-Antifaschismus, Berlin 2001

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